© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Unverschämte Einmischung
Andreas Mölzer

Die Türkei müsse die von der EU gestellten Bedingungen akzeptieren, forderte US-Außenministerin Condoleezza Rice in Athen, der ersten Station ihrer Europareise. Die Sorge der Amerikaner, der EU-Beitrittsprozeß könnte ins Stocken geraten, ist nicht unberechtigt. Denn Ankara hat das EU-Mitglied Zypern nicht anerkannt, und im Bereich der Menschenrechte gibt es statt des bisherigen Stillstandes einen Rückschritt. Wegen der Kurdenunruhen (JF 18/06) kündigte die türkische Regierung ein Antiterrorgesetz an, das nicht nur gewaltlose Demonstrationen unter Strafe stellt, sondern auch die Befugnisse der Sicherheitskräfte erheblich erweitert.

Für Washington ist der EU-Beitritt der Türkei ein Mittel, um insbesondere Deutschland und Frankreich, die im Vorfeld des Irak-Krieges eine eigenständige Außenpolitik betrieben hatten, an die kurze Leine zu nehmen. Denn die Aufnahme des islamischen Anatolien würde wegen der tiefgreifenden Probleme und wegen des demographischen Gewichtes des Landes das Ende der europäischen Integrationsbemühungen bedeuten; die EU wäre im Falle einer Mitgliedschaft der Türkei nur mit sich selbst beschäftigt.

Die Aussagen von Rice stellen eine offene Einmischung in EU-Angelegenheiten dar. Washington will mit Hilfe seines kleinasiatischen Militärpartners sein Weltmachtstreben vorantreiben. Wegen der erwähnten inneren Schwächung der EU würden die Europäer im Falle eines Türkeibeitrittes unentrinnbar in die kriegerischen Auseinandersetzungen des Nahen Ostens hineingezogen. Wenn die EU-Außengrenze quer durch das Kurden-Gebiet verläuft und direkt an das Bürgerkriegsland Irak angrenzt, wird sich Brüssel nur schwer den Anordnungen der Kriegsherren in Washington widersetzen können.

Die fehlenden Reaktionen auf die US-Einmischungen werfen einen dunklen Schatten auf das Gerede des EU-Polit-Establishments von einer "europäischen Außenpolitik". Brüssel ist weder in der Lage, Washington in der Frage eines EU-Beitritts der Türkei in die Schranken zu weisen, noch widersetzt es sich den US-Aktivitäten in Osteuropa. Daß Washington in der Ukraine unter dem Deckmäntelchen der "Verbreitung der Demokratie" eifrig an der Einsetzung einer USA-treuen Regierung arbeitete und das im Falle Weißrußlands gegenwärtig tut, um seinen Einfluß in der Region auszuweiten und um einen Keil zwischen Europa und dessen natürlichen strategischen Partner Rußland zu treiben, wird von Brüssel kommentarlos hingenommen. Dabei wäre es die ureigenste Aufgabe einer europäischen Außenpolitik, in der Nachbarschaft für Stabilität und für die Einhaltung demokratischer Standards zu sorgen. Offenbar als Ausgleich für die Bedeutungslosigkeit im eigenen Haus will die EU nun im fernen Kongo den Sheriff spielen.

Wenn die EU wirklich eine "europäische Außenpolitik" betreiben will, dann wird sie nicht umhinkommen, ihre Interessensphären zu definieren und in diesen, insbesondere im Verhältnis zu den USA, auf dem Prinzip der Nichteinmischung zu beharren. In Abwandlung eines Schlagwortes der Monroe-Doktrin, "Amerika den Amerikanern", müßte "Europa den Europäern" der Leitgedanke einer europäischen Außenpolitik sein.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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