© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Ein Märchen aus Erinnerungen
"Geh' nach Hause und weine da": Sophia Lorens Sonderschau über ihr Leben und Werk in Rom
Paola Bernardi

Kein Blick auf die nahen sonnenbeschienenen Kuppeln von Rom; auch die zu Füßen liegenden Foren scheinen niemanden hier zu interessieren: Die Menge, die sich an diesem herrlichen Nachmittag zum Complesso del Vittoriano im Herzen von Rom hinaufwindet, hat anderes im Sinn, nämlich die Sonderschau zu Leben und Werk von Sophia Loren. Der Titel lautet: "Scicolone, Lazzaro, Loren". Scicolone ist der eigentliche Name des Filmstars, Lazzaro war ihr erster Künstlername in jungen Jahren.

Vor allem sind es Römer, die sich drängeln. Sie kommen aus allen Schichten, es sind Männer und Frauen, jung und alt, sogar Kinder werden mitgeschleppt. Sophia Loren, nunmehr im 72. Lebensjahr stehend, wirkt alterslos, schlägt ihre Landsleute noch immer in Bann; läßt Männer jeden Alters die Lippen schnalzen und Frauen verträumt ihre Porträts anstarren. Sie ist nicht nur ein internationaler Star, sondern sie ist vor allem eine Italienerin, das heißt eine Frau, die gleichermaßen "La Mamma" wie auch die "Madonna" verkörpert.

Die große Ausstellung mit ihren über 4.000 Exponaten manifestiert die Karriere dieser außergewöhnlichen Frau. Alle ausgestellten Exposés stammen aus der Privatsammlung der Schauspielerin. Die Loren hat ihr biographisches Märchen selber aus Erinnerungsstücken zusammengestellt. "Normalerweise hebe ich sie in meinen Kellern oder in Privatschränken in Genf, Los Angeles und Neapel auf", so die Schauspielerin auf der Pressekonferenz in Rom. Und dann gestand die Loren, bei der ersten Besichtigung dieser Schau tief gerührt gewesen zu sein. "Doch dann habe ich mir gesagt: 'Du darfst nicht weinen! Sei ganz kühl und dann geh nach Hause und weine da.' Und so habe ich es auch gemacht."

Es herrscht eine seltsame Andächtigkeit in dieser Ausstellung. Durch den dunkel ausgeschlagenen Gang mit den hell erleuchteten Vitrinen zu beiden Seiten, in denen die ersten Fotos ihrer Kindheit ausgebreitet sind, beugen sich konzentriert die Besucher. Hier sehen sie die ganz junge Sophia zusammen mit ihrer schönen Mutter in Pozzuoli bei Neapel, wo sie aufgewachsen ist. Sophia war ebenso ein uneheliches Kind wie ihre Schwester Maria. Ihren Vater, der in Rom lebte, hat sie kaum kennengelernt. Im Schoße der Familie ihrer Mutter wurde sie unter ärmlichen Verhältnissen aufgezogen. Doch schon die frühen Fotos der zwölfjährigen Sophia vermitteln bereits den ersten Schimmer ihrer späteren intensiven Schönheit.

Ihre Schönheit hätte Tote auferwecken können

"Ich wurde nicht als Schauspielerin geboren, ich habe beschlossen, es zu werden, um aus dem kleinen mühsamen Alltag herauszukommen", so die Loren. Sophia Loren, das ist ein wahr gewordener italienischer Traum. Schon mit 15 Jahren gewann sie den ersten Wettbewerb, wurde "Reginetta del mare" (kleine Königin der Meere); ein Jahr später bereits Miss Italia im Kurort Salsomaggiore, fotografiert noch im züchtigen zweiteiligen Röckchen-Bikini. Denn Italien gab sich damals sehr prüde. Die ersten Stufen zur Karriere waren erklommen. Die üblichen Geier - kleine Produzenten, Werbemanager - wurden auf die junge Schönheit aus dem Süden aufmerksam. Man engagierte sie unter dem Künstlernamen Lazzaro für die in den fünfziger Jahren so beliebten "Fotoromanzi", bunte, romantische Schundhefte mit verheißungsvollen Titeln wie "Ich kann dich nicht lieben", "Prinzessin im Exil" oder "Favoritin". Ihr damaliger Entdecker preist noch heute ihr Aussehen: Sie sei so schön gewesen, "daß ihre Schönheit Tote hätte auferwecken können".

Ein einziges Mal während ihrer gesamten Film-Karriere hat sich die Loren busenfrei ablichten lassen. Das Foto erregt auch jetzt noch nach über fünfzig Jahren Aufsehen. In der Ausstellung bilden sich kleine Menschenaufläufe davor. " Mamma mia, wie schön sie ist", flüstern die Besucher.

Sophia Loren war und blieb selbst in Italien, dem "Land der Diven", immer eine imponierende Erscheinung: hier, wo die kleinen Mädchen mit Ausrufen "Bella, Bellissima!" von der gesamten Verwandtschaft groß werden. In einem Land, wo die Frauen noch immer verehrt werden und ihr Geburtsdatum ein ewiges Geheimnis bleibt - selbst da war die Loren eine außergewöhnliche Erscheinung, war stets ein kurvenreiches Vollweib, jenseits aller Salat-Diät.

Es war Carlo Ponti, der italienische Filmproduzent, der ihre Ausstrahlung und ihr außergewöhnliches Talent sehr früh erkannte. Mit 19 Jahren begann dann auch ihre große Liebesgeschichte mit dem um 20 Jahren älteren verheirateten Produzenten, die bis heute andauert. Ponti versuchte, sich scheiden zu lassen. Doch Scheidungen waren in jenen Jahren im christdemokratisch regierten Italien nicht erlaubt. Da nützte auch keine Heirat in Mexiko (1957), nützten auch keine französischen Pässe und keine weitere Heirat in Paris ( 1966), Italiens Grenzen blieben verschlossen. Sophia blieb verfemt, wurde als Ehebrecherin nicht nur vom L'Osservatore Romano öffentlich gebrandmarkt, sondern bei der Einreise nach Italien drohte ihr sogar Gefängnis.

Längst war sie zu einer großartigen Charakter- Schauspielerin herangereift. Wie keine andere zuvor verkörperte sie die "popolana" (Frau aus dem Volk), die die Nöte und Tapferkeit der einfachen Frau aus dem Süden auf der Leinwand zeigte und ihr zu neuen Würden verhalf.

In Italien drohte ihr als Ehebrecherin Gefängnis

In der Ausstellung sieht man auch das Kittelkleid, das sie im de-Sica-Film "Gestern, heute und morgen" als hochschwangere Adelina trug, als sie die Gefängnistore in Neapel durchschritt, um in ihr düsteres Altstadtviertel Forcella zurückzukehren. Denn wieder einmal war es ihr als Urbild einer italienischen Mutter auf "typisch weibliche Art" gelungen, den Staatsanwalt auszutricksen. Kein italienischer Film hat das Klischee von der italienischen "Mamma" so menschlich und verständnisvoll geprägt wie dieser 1963 gedrehte Film. Sophia Loren und Marcello Mastroianni waren die Hauptdarsteller und brillierten in dieser neapolitanischen Tragikomödie; der Film gewann sogar einen Oscar.

Internationale Regisseure rissen sich um die Loren; sie spielte unter Altman, Visconti, Wertmüller, Charlie Chaplin, Rosi, Scola und natürlich unter Carlo Ponti. Ihre Partner waren Frank Sinatra, Omar Sharif, Cary Grant, Marlon Brando, Richard Burton und Jack Lemmon. Längst war sie ein internationaler Star - doch nach Italien durfte sie nicht einreisen.

Es war immer diese Glut, diese Menschlichkeit, Leidenschaft und Erotik, die sie auf der Leinwand ausstrahlte. Die Loren in ihren Rollen, das war Hassen, Lieben, Heulen - Gefühlskino im Superlativ. Immer war es mehr als genug, um das Publikum zu fesseln und in Bann zu schlagen.

Längst lächelte sie von allen Luxus-Covers der internationalen Magazine. Sie wurde überhäuft mit Preisen: Oscars, Leonis, Bambis, Telegatti etc., all diese Trophäen nunmehr in Rom ausgestellt und glänzend geputzt. Modeschöpfer und Starfotografen rissen sich um sie: Zu Beginn ihrer Karriere war es noch der Florentiner Emilio Schubert, der ihre Abendkleider schuf, mit denen sie sich vor der Queen von England verneigte, später wurde sie das Lieblingsmodell von Giorgio Armani. Er schneiderte ihr die rotglühenden und schwarz glänzenden Roben auf den Leib, die alle in dieser Ausstellung zu sehen sind.

Noch ganz benommen von dieser Ein-Frau-Show sieht man junge Mädchen plötzlich mit neuem Hüftschwung die Treppe des Vittorians herabschreiten. Jede möchte einmal eine junge Loren sein.

Am kommenden Sonntag endet die Ausstellung in Rom. Anschließend geht sie nach Argentinien, und im Herbst kommt sie unter anderem nach Berlin.

Foto: Sophia Loren: Männer jeden Alters schnalzen die Lippen, Frauen starren verträumt ihre Porträts an


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