© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Seine beste Schülerin
CDU/CSU: Unruhe in der Union nach Entscheidung zum Antidiskriminierungsgesetz / Merkel auf den Spuren von Kohl
Paul Rosen

Wieviel Sozialismus erträgt die CDU? Diese Frage stellt sich unerwartet plötzlich wieder, nachdem die größte Koalitionspartei einen merkwürdigen Kurs in der Großen Koalition erkennen läßt. Hinterbänkler von CDU und CSU im Bundestag regen sich bereits intern auf, daß Kanzlerin Angela Merkel dem Koalitionspartner SPD zuviel Freiheit und Gestaltungsspielraum im Regierungsbündnis läßt. Das Antidiskriminierungsgesetz und die Vorschläge der Drogenbeauftragten Sabine Bätzing (SPD) zur Freigabe von Heroin für Schwerstabhängige könnten sich zu Sprengstoff für die CDU/CSU-Fraktion entwickeln, wo hinter vorgehaltener Hand längst die Frage nach der Identität der Union gestellt wird.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der in seinem Regierungsamt eine für viele Beobachter und alte Weggefährten enttäuschende Rolle spielt, wies bereits auf die Probleme hin und forderte eine klare Abgrenzung der Union vom Koalitionspartner. "Auf dem Stimmzettel bei den nächsten Wahlen steht aber nicht die Große Koalition", sagte Glos. Die Unverwechselbarkeit der politischen Kräfte müsse klar erkennbar bleiben.

Im Punkt Unverwechselbarkeit sieht es derzeit für die Union nicht gut aus. Für die eigene Partei überraschend setzte Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Koalitonsausschuß ihren Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes durch. Die SPD-Politikerin gab dem Entwurf einen anderen Namen. Er heißt jetzt "Allgemeines Gleichstellungsgesetz", trägt aber im wesentlichen weiter die alten rot-grünen Inhalte, wonach bei Vermietung oder im Geschäftsleben niemand wegen seiner Hautfarbe, sexuellen Einstellung oder seines Alters diskriminiert werden darf. Während der Lesben- und Schwulenverband jubelte, herrscht in Teilen der CDU Entsetzen. Schließlich war das Antidiskriminierungsgesetz ein zentraler Punkt im Wahlkampf gegen Rot-Grün gewesen. Und im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, europäisches Recht eins zu eins umzusetzen und nicht draufzusatteln. Doch genau das tat Zypries. "Die Glaubwürdigkeit der Regierung ist gefährdet", befindet Hans-Joachim Henke, der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates.

Fraktionschef Kauder gilt als Fehlbesetzung

Lange hatten die internen Rivalen von CDU-Chefin Angela Merkel, die besonders in den Reihen der Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) und Christian Wulff (Niedersachsen) zu finden sind, geschwiegen. Zu erfolgreich schien die Kanzlerin zu sein, besonders auf dem Gebiet der Außenpolitik, wo es ihr gelang, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und deren Präsidenten George W. Bush wieder zu normalisieren, ohne zugleich eine Eiszeit im Verhältnis mit Rußland und Frankreich zu riskieren.

Doch jetzt schickte Koch den hessischen CDU-Landtagsfraktionsvorsitzenden Christean Wagner vor. Wagner warf der Regierung vor, mit dem Antidiskriminierungsgesetz "weit über das Ziel hinausgeschossen" zu sein. Er warf dem Kabinett Merkel vor, mit dem Gesetz eine "Kultur des Mißtrauens zwischen den am Geschäftsverkehr Beteiligten" zu schaffen. Das sind ungewohnte Töne in einer CDU, die seit Merkels Einzug ins Kanzleramt nicht mehr diskutiert hat, sondern nur noch ehrfürchtig nach Berlin blickt. Geholfen hat das nicht: Am Montag nickte das CDU-Präsidium den Entwurf ab.

Die Parteiseele ist auch in einer anderen Frage tief getroffen. CDU- und CSU-Stammwähler wollen von einer Freigabe von Drogen nichts wissen. Selbst die Legalisierung von Haschisch dürfte diesen Wählern nicht vermittelbar sein. Mit großem Erstaunen regierten Stammwähler auf die Vorstellungen der Drogenbeauftragen Bätzing. Heroin an Schwerstabhängige abzugeben. Viele Abgeordnete bekamen Proteste zu hören. Zum ersten Mal seit der Krise um ihren Parteivorsitzenden Stoiber stellte sich die CSU gegen die Koalition in Berlin: "Die CSU wird keinem Gesetz zustimmen, das den Staat zum Drogendealer macht", sagte Generalsekretär Markus Söder. Heroin auf Rezept werde es mit seiner Partei nicht geben.

Die Frage ist, wie es so weit kommen konnte. Die SPD verhält sich in der Koalition ganz anders. Sie besetzt wichtige Schlüsselressorts. Trotz starker sachlicher und rechtlicher Bedenken schaffte es die SPD, ihren Vorschlag der "Reichensteuer" im Koalitionsausschuß durchzusetzen. Der Union fehlt, obwohl sie im Kanzleramt herrscht, die Durchsetzungskraft. Nicht einmal in der eigentlich kleinen Frage der Übernahme von Kosten neuer Auslandseinsätze der Bundeswehr konnte sich die Union durchsetzen. Zwar erreichte sie im Koalitionsvertrag die Formulierung, daß neue Auslandseinsätze nicht mehr zu Lasten des Verteidigungsetats gehen sollen. Dennoch mußte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bereits einräumen, daß er das bevorstehende Kongo-Abenteuer aus dem Bundeswehr-Etat bezahlen muß.

Die Gründe für die Schwäche der Union in dieser Bundesregierung liegen in der Person Merkel. Die Kanzlerin hat viel, ja sogar alles, von Helmut Kohl gelernt. Sie ist die beste Schülerin des Mannes, dem sie schließlich die Fäden in der Partei aus der Hand nahm, um ihm erst im Parteivorsitz und schließlich ins Kanzleramt zu folgen.

Kohl wurde in Bonn als "Aussitzerkönig" verspottet. Und nicht anders verhält sich Merkel. Sie moderiert die Koalition, führt die Regierung aber nicht. So macht im Prinzip jeder, was er will, wobei es die Unionsminister derzeit bei Ankündigungen belassen, während die SPD-Seite weiterarbeitet, als wäre man noch in einer rot-grünen Koalition und Gerhard Schröder nicht bei der russischen Pipeline-Gesellschaft, sondern im Kanzleramt. Auf Fraktionsebene kommt erschwerend hinzu, daß der CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder zwar ein treuer Weggefährte von Merkel ist, aber gegen seinen hemdsärmeligen und oft lautstarken SPD-Kollegen Peter Struck eine Auseinandersetzung nach der anderen verliert. Kauder gilt als Fehlbesetzung.

Moderatorin Merkel kommt bisher dennoch ganz gut über die Runden. Die Umfrageergebnisse für die Union sind zufriedenstellend, die SPD kommt aus dem Tal noch nicht heraus. Doch die Berliner Regentin muß aufpassen: Ihre Koalition kann bisher auf zentralen Feldern wie dem Arbeitsmarkt keine Erfolge vorweisen, nicht einmal Strategien. Eine Serie von Steuererhöhungen droht jeden Aufschwung zu ruinieren. Merkels außenpolitisches Wirken macht Eindruck, aber Wahlen werden mit der Innenpolitik gewonnen.

Foto: Angela Merkel und Helmut Kohl am Montag im Berliner Zeughaus: Vom "Aussitzerkönig" gelernt


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