© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

Ein fauler Kompromiß
Die Bundesregierung begeht fatale fiskalpolitische Fehler
Bernd-Thomas Ramb

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat recht. Die Bürger verlangen mehrheitlich einen fürsorgenden Staat, beklagen sich aber, wenn dazu Steuern abverlangt werden. Die geplante Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent und die spektakuläre "Reichensteuer", aber auch die wie Steuererhöhungen wirkende Minderung steuerfreier Bezüge (Senkung des Sparerfreibetrags, Streichung der Kurzstrecken-Fahrtkosten) dienen nicht einmal der Ausweitung der staatlichen Wohltaten. Steuererhöhungen sind schon zur Aufrechterhaltung der bestehenden Staatsleistungen notwendig. Mehr noch - sie werden zur Minderung der kreditfinanzierten Staatsausgaben herangezogen.

Nach ersten Schätzungen wird das alles nicht ausreichen, um künftig den Staatsaushalt auszugleichen. Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen, Defizite stehen weiterhin auf der Tagesordnung, und der Schuldenberg wird noch höher. Selbst die Eilmeldungen der Steuerschätzer über bislang unerwartete Steuermehr-einnahmen in Milliardenhöhe ändern daran nichts. Wohl aber führt dies bei einigen Steuererhöhungskritikern zur voreiligen Forderung, daher auf ebendiese zu verzichten. Umgekehrt würde damit bei einer demnächst durchaus zu erwartenden negativen Korrektur der Steuerschätzung ein stichhaltiges Argument für eine Steuererhöhung geschaffen.

Auch wenn er nur im Denkansatz begangen wird, dies ist der erste fatale Irrtum der Steuerdiskussion. Steuern dürfen nicht auf steuerkonjunkturelle Zufälle ausgerichtet sein. Sie unterliegen grundlegenden und langfristig ausgelegten Entscheidungen. Da aber die Haushalte so knapp zugeschnitten sind, daß sich jeder wirtschaftliche Flügelschlag zur staatlichen Finanzierungskatastrophe ausweiten kann, greifen auch sonst bedächtige Finanzpolitiker vermehrt zum Argument der Notwendigkeit eines fiskalpolitischen Gegensteuerns. Die Unwirksamkeit fiskalpolitischer Konjunkturpolitik sollte nach fast vierzig Jahren vergeblicher Übungen eigentlich auch dem wirtschaftspolitisch unbedarftesten Abgeordneten innerlich sein.

Ein Kardinalfehler ist die schludrige Modellierung des Steuerpakets nach Gerechtigkeitsmotiven. Die nur geringe Steuererträge bewirkende "Reichensteuer" muß als plumper Populismus klassifiziert werden. Noch schlimmer ist, daß damit ein Präzedenzfall geschaffen und die Jagd auf die Besserverdienenden zum staatspolitischen Muß stilisiert wird. Die Folge ist nicht nur eine verstärkte Flucht der Reicheneinkommen in ausländische Steueroasen, das Signal heißt vor allem: Wirtschaftliche Leistungskraft (Voraussetzung für hohes Einkommen) wird vom Staat bestraft. Ergo, halte dein Licht unterm Scheffel und verlange noch mehr staatliche Alimentation. Die aber wird mit dem weitgehenden Fortfall der Pendlerpauschale ebenfalls gekürzt - und keineswegs so klammheimlich, wie das die Finanzpolitiker gerne hätten.

Der Hauptfehler dieser Politik ist eine weitere Erhöhung der Staatsquote. Noch mehr persönlich erwirtschaftetes Einkommen wird den Bürgern entzogen und den Staatsfunktionären zur Disposition übertragen. Da helfen auch nicht die Argumente, die Parlamentarier und Bürokraten wären letztlich von den Bürgern dazu demokratisch legitimiert und das Geld käme schließlich wieder allen Bürgern zugute. Die freie Verfügung über privates Eigentum wird mehr als zuvor verhindert. Wäre mit der Übertragung auf die staatlich organisierte Verwendung gesichert, daß die Finanzmittel effizienter eingesetzt werden, könnte dieser Lösung noch etwas Positives abgerungen werden. Aber selbst unter dem quälenden Aspekt der "sozialen Gerechtigkeit" ist dies zu bezweifeln. Sicher ist allein, daß die zusätzlichen Mittel zusätzliche Bürokratie finanzieren und staatliche Verschwendungssucht verstärken.

Ein Fehler ist letztlich auch die zaghafte Festlegung der Steuererhöhungswerte. Nicht, daß damit die Erhöhung nachträglich als sinnvoll und richtig eingestuft wird. Es geht um die "innere Logik" in einem fehlerhaften System. Das Paket der Steueränderungen reicht nicht aus, um einen langfristig ausgeglichenen Etat herbeizuführen, geschweige denn die Schulden zu senken. Weder wirkt es wachstumsstimulierend noch im Ergebnis sicher die Einnahmen erhöhend. Dagegen ist das allgemeine Protestgeschrei groß. Politikökonomisch effizienter wäre eine noch größere Steuererhöhung gewesen, die das Wehklagen nur unwesentlich verstärkt, die Staatseinnahmen aber deutlicher ausgeweitet hätte.

Der parteipolitische Schaden, der selbst durch die gröbste Vergeßlichkeit der Wähler nicht behoben wird, ist insbesondere bei den Unionsparteien groß, ein Nutzen nicht zu erkennen. Fundamentale Grundsätze werden offensichtlich bedenkenlos über den Haufen geworfen, um - ja, um was zu erreichen? Den Ruf, sozialdemokratischer als die SPD zu sein? Einen drohenden Bruch der großen Koalition abzuwenden? In den Restjahren der gemeinsamen Regierungszeit um so heftiger Kompromißbereitschaft vom Koalitionspartner einfordern zu können? Selbst die phantasievollsten Gegengeschäfte wiegen nicht den immensen Glaubwürdigkeitsverlust auf.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen