© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

"Herr Schäuble, handeln Sie!"
Bernd Stichler, Vorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, über die jüngsten Stasi-Provokationen in Berlin
Moritz Schwarz

Herr Stichler, sechzehn Jahre nach dem Ende der DDR macht die Stasi wieder mobil.

Stichler: Es ist kaum zu glauben! Ehemalige SED-Kader haben sich zwar schon Anfang der neunziger Jahre organisiert, aber dieses Auftreten stellt eine neue Qualität dar.

In Berlin haben sie mehrfach Veranstaltungen, die dem Gedenken gewidmet waren, mit massivem Personaleinsatz zu kippen versucht.

Stichler: Die Alt-Stasis haben sich vor allem in der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung (GRH) organisiert, die seit 1993 existiert. Die Ereignisse kommen also keineswegs aus dem Nichts. Wir Opferverbände sehen daher durchaus eine Mitschuld bei Medien und etablierten Parteien, vor allem bei SPD und Grünen, daß es überhaupt so weit gekommen ist.

Die Grünen haben jetzt den Einsatz des Verfassungsschutzes gegen die GRH gefordert.

Stichler: Wir begrüßen diesen Vorstoß, aber Grüne und SPD haben durch ihr nach links verschobenes Geschichtsbild maßgeblich dazubeigetragen, daß die Opfer des Kommunismus zu Opfern zweiter Klasse wurden und die Akzeptanz von PDS und Altgenossen so weit wachsen konnte.

Allerdings richtet sich die GRH wohl kaum aktiv kämpferisch gegen das Grundgesetz.

Stichler: Wir würden uns wünschen, die Gesellschaft würde sich über die GRH ebenso aufregen, wie sie das über die Neonazis tut. Aber bis heute hat man es etwa versäumt, ein entsprechendes rechtliches Instrumentarium zu schaffen. Der Skandal um den Paragraphen 130 StGB "Volksverhetzung" macht dies deutlich. Als Kommunismus-Opfer versucht haben, rote Geschichtsrelativierer wegen Volksverhetzung anzuzeigen, mußten wir lernen, daß dies ausdrücklich nur bei der Relativierung von NS-Verbrechen möglich ist. Was für ein unglaublicher Skandal! Das ist das offene Bekenntnis unserer Gesellschaft zu einem Zwei-Klassen-Opfer-System! Außerdem: Wäre die GRH ein Neonazi-Verein, hätte sie der Bundesinnenminister schon längst verboten. Handeln Sie, Herr Schäuble!

 

Bernd Stichler ist Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS). Geboren wurde der ehemalige politische Häftling der DDR 1944 in Halle/Saale.

Kontakt und Informationen: Stresemannstraße 90, 10963 Berlin, Telefon: 030 / 26 55 23 80, Internet: www.vos-fg.de 

 

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