© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

Postkommunist Napolitano soll versöhnen
Italien: Der künftige Premier Prodi muß seine schwierigen linken Bündnispartner zusammenhalten / Der starke Mann heißt D'Alema
Paola Bernardi

Einunzwanzig Kanonenschüsse wurden vom Gianicolo-Hügel an diesem 15. Mai in den blauen römischen Himmel abgefeuert, und die große Glocke des Parlaments läutete. Jeder in Rom wußte nun, daß das Land einen neuen Staatspräsidenten hat, der soeben seinen Eid auf die Verfassung abgelegt hatte.

Vier Wochen, nachdem die turbulente Parlamentswahl, in der die Linke unter Romano Prodi mit einer hauchdünnen Mehrheit von 25.000 Stimmen siegte, das Land völlig entzweit hat, wurden nicht nur ein neuer Parlamentspräsident und ein neuer Senatspräsident gewählt, sondern auch ein neuer italienischer Staatspräsident mußte gefunden werden. Und so geriet auch die jüngste Wahl des Staatsoberhauptes in die Wogen des Wahlkampfes.

Die Linke hat nun alle wichtigen Posten besetzt

Der nur knapp unterlegene Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dessen fünfjährige Amtszeit nun endete, hatte während seiner Wahlkampagne immer wieder seine Vorwürfe erneuert, daß "die Linke, einmal an der Macht, ein Regime errichten und alle institutionellen Posten für sich besetzen" werde. Und er setzte stets hinzu, "und damit das Land entzweien".

Die Wahlen haben nun diese düsteren Prophezeiungen bestätigt. Alle drei Parteien, die nach 1991 aus dem Stammbaum der Kommunisten (Partito Comunista Italiano/PCI) hervorgingen, einst die mitglieder- und stimmstärkste KP Westeuropas, beteiligen sich an der neuen Regierungskoalition linken Mitte unter Romano Prodi.

Die größte Nachfolgepartei sind die postkommunistischen Linksdemokraten (Democratici di Sinistra/DS), die sich bis 1998 PDS (Partito Democratico della Sinistra) nannten. Mit 18 Prozent ist die DS die stärkste Kraft im linken Bündnis, obwohl das Wahlergebnis enttäuschend war und unterhalb der Erwartungen lag - Berlusconis Forza Italia erreichte fast 25 Prozent.

Die DS gehört im Europaparlament allerdings zur sozialdemokratischen Fraktion und hat sich längst in der althergebrachten Jagd auf Posten und Machstellungen profiliert - inklusive bezeichnender "kapitalistischen" Verwicklungen in die jüngsten Banken-Skandale. Im Gegensatz dazu haben sich die altkommunistische "Wiedergründung" (Rifondazione Comunista/PRC) unter Fausto Bertinotti und die teilweise noch radikalere, aber kleinere PdCI (Partito dei Comunisti Italiani), die 1998 von dem einst Moskau-treuen PCI-Funktionär Armando Cossutta gegründet wurde, zu Vertretern der ultralinken Szene und der radikalen Globalisierungsgegner entwickelt.

Sie versprechen damit zum Dauerkonfliktstoff innerhalb der künftigen Regierung zu werden. Denn alle diese Parteien werden im neuen Kabinett mit Ministerposten vertreten sein. Zwischen ihnen zu vermitteln, wird für Prodi ständige Mühe kosten. Das zeigt zum Beispiel der jüngste Vorfall der Verbrennung der Flagge Israels in Mailand. Das radikale Protestpotential bleibt nach wie vor aktiv und wurde auch nicht von der Regierungsteilnahme entschärft.

Der italienischen Abgeordnetenkammer sitzt nun der 66jährige PRC-Chef Fausto Bertinotti vor. Im Senat gelang es Prodi nur nach vielen Schwierigkeiten, seinen Kandidaten, den 73jährigen ehemaligen christdemokratischen Gewerkschaftsführer und heutigen linksliberalen "Margherita"-Demokraten, Franco Marini, durchzubringen. Es waren reine Machtspiele innerhalb der linken Koalition, die sich öffentlich der Wählerschaft darboten: So hatte die DS als stärkste Partei im linken Spektrum ganz selbstverständlich damit gerechnet, daß ihr Chef Massimo D'Alema das Amt des Parlamentspräsidenten besetzen würde. Doch die PRC drohte, die Koalition zu sprengen. Prodi, der künftige Ministerpräsident, mußte der Erpressung nachgeben, denn andernfalls hätte er bereits vor Regierungsantritt vor einem Scherbenhaufen gestanden. D'Alema machte den Platz für Bertinotti frei. Erst im vierten Wahlgang, als nämlich nur die einfache Mehrheit erforderlich war, konnte dann dieser bestätigt werden.

Marini, der Prodi nun künftig als Senatspräsident die Mehrheit der Linken verschaffen muß, siegte ebenfalls erst im vierten Wahlgang. Schon jetzt kann man es als Zweckoptimismus bezeichnen, wenn Prodi nach diesen Wahlen eine "starke" Regierung für die nächsten fünf Jahre in Aussicht stellt.

In diese aufgeheizte Stimmung fiel nun auch noch die Wahl des Staatspräsidenten, ein Amt, das über den Parteien stehen sollte. Wieder schickten die Linksdemokraten Massimo D'Alema ins Rennen. Als sich dann abzeichnete, daß er auch viele Gegner im eigenen Lager hat, wurde der 80jährige Giorgio Napolitano aufgestellt. Und wieder begann ein Pokerspiel der linken Parteien. Der DS-Senator ging als Kompromißkandidat ins Rennen. Erst wiederum im vierten Wahlgang wurde dann der Ex-PCI-Funktionär nur mit den Stimmen von Prodis Union zum elften Staatspräsidenten Italiens gewählt. Der rechte Block unter Berlusconi stimmte mit leeren Wahlzetteln ab.

"Italien ist nun das Kuba Europas", so der Kommentar eines rechten Abgeordneten. Dabei erfreut sich der ruhige und elegante Jurist, der eine Musterkarriere in der PCI hinter sich hat, allgemeiner Beliebtheit. Viele nennen ihn wegen seiner Ähnlichkeit mit dem letzten italienischen König Umberto II. von Savoyen den "roten Prinzen". Bereits 1953 schaffte er den Sprung ins Parlament.

Aus dem Ruhestand ins Präsidentenamt

In den sechziger Jahren rückte er zum Außenminister im Schattenkabinett der PCI auf. Aktiv arbeitete er zusammen mit PCI-Generalsekretär Enrico Berlinguer für den "historischen" Kompromiß mit den Christdemokraten (DC), der allerdings nie zustande kam. 1992 wurde er Parlamentspräsident. Von 1996 bis 1998, als Prodi erstmals Regierungschef war, bekleidete Napolitano das Amt des Innenministers. Als die damalige Regierung durch den Auszug von Bertinotti endete und D'Alema ins Amt kam, wurde er nicht übernommen. Napolitano zog sich ins Privatleben zurück.

Erst im letzten Jahr wurde er von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi wieder in die Politik einbezogen, als dieser ihn zum Senator auf Lebenszeit ernannte. Zwar tritt Napolitano als der "salonfähigste" unter seinen "Genossen" auf, doch er verkörpert die alte PCI, obwohl er immer wieder als Verfechter der Sozialdemokratisierung der Partei gilt. Die Wette, die größte kommunistische Nachfolgepartei zur "SPD Italiens" zu machen, darf man trotz aller Anstrengungen als noch offen bezeichnen.

Im Prinzip hat also fast niemand etwas gegen die Persönlichkeit dieses neuen Staatspräsidenten. Doch nach wie vor hängt ihm die Methode an, wie er in sein neues Amt gehievt wurde, und erhebliche Zweifel werden laut, ob er wirklich die Person sein könnte, die ein zutiefst gespaltenes Italien vereinen kann.

Wenn Prodi demnächst sein Kabinett vorstellt, ist klar, daß der künftige starke Mann dort D'Alema sein wird. Er, der zweimal einen Schritt rückwärts machte, wird nun belohnt: D'Alema soll nicht nur Vizepremier, sondern auch Außenminister werden.


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