© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

CD: Klassik
Balancen
Jens Knorr

Wir sollten im Mozart-Jahr mehr Beethoven hören. Mozart hat Anfänge provoziert, Beethoven hat sie aufgegriffen.

Vermutlich bereits als Elfjähriger komponierte Beethoven 1781 die 12 Variationen F-Dur op. 66 über "Ein Mädchen oder Weibchen" und vermutlich 1801 die 7 Variationen Es-Dur WoO 46 "Bei Männern, welche Liebe fühlen" für Violoncello und Klavier. Sowohl die Arie des Papageno, welche sein Mädchen zum erstenmal herbeiruft, als auch das rätselvolle Duett zwischen Papageno und Pamina, das eigentliche Liebesduett der "Zauberflöte", Mozarts deutscher Oper, kommen als einfache, "volkstümliche" Nummern daher, die es aber kompositorisch in sich haben. Das Volk, wissen wir spätestens seit Hanns Eisler, ist nicht tümlich.

Ist es noch Papageno, der von seinem Zwicken spricht, wenn das Thema eingangs der zweiten Variation zu einer Sache auf Leben und Tod ausharmonisiert wird, in der 19. und 20. in untröstliche Klage aufgeht und in der Schlußvariation erst durch den Quintenzirkel irrt, um dann unter Absonderung konventioneller Floskeln doch noch einen Ausgang zu finden?

Oder spricht hier vielmehr Beethoven, der unerwidert Liebende? Sind es denn noch Pamina und Papageno, die ihr zeit- und ortflüchtiges, in unerreichbare Zukunft sanft übersetzendes Hohelied der voraussetzungslosen, zweckfreien Liebe anstimmen, wenn Klavier und Cello, Weib und Mann, in gleichberechtigtem Wechselspiel das Thema um- und umformen, bis seine Anfangsphrase am Ende der letzten Variation als Hornruf erklingt, der von alters her zur Jagd und zur Liebe, zur Jagd nach Liebe treibt? Oder ist es vielmehr der Junggeselle, der das Hohelied der Gattenliebe anstimmt?

An Beethovens Gebrauchs- und Gelegenheitswerken für Cello und Klavier - zu den Variationswerken zählen noch die frühen zwölf Variationen G-Dur WoO 45 über ein Thema aus Händels "Judas Maccabäus" - läßt sich der geschichtsphilosophischen Differenz zwischen dem Komponieren des Jüngeren, Beethoven, und dem des Älteren, Mozart, um so besser nachhören, als sich der Bruch hier spielerisch zu vollziehen scheint. Mozart " ist die Idee von Einheit als Form", nach Adornos Wort, "noch so unerschüttert, daß sie die äußerste Belastung erträgt, während Beethoven (...) die Einheit weit straffer anspannt: sie präformiert das Viele a priori und bändigt es dann um so triumphaler".

Komponieren heißt bei Beethoven, das musikalische Material nicht lediglich frei zu variieren, sondern durchzuarbeiten, die traditionellen Formen aus Freiheit zu rekonstruieren. An den fünf Cellosonaten ließe sich trefflich demonstrieren, wie der "frühe" Beethoven Sonaten- und Sonatenhauptsatzform adaptiert, der "mittlere" sie ausentwickelt und der "späte" in die Krise bringt.

Doch Alfred und Adrian Brendel demonstrieren nicht - sie musizieren. In ihrer Gesamteinspielung von Beethovens Werken für Cello und Klavier machen sie, ohne zu überreden, musikalische Strukturen beredt (Philips 475 379-2). Vater und Sohn agieren so selbstverständlich aufeinander eingestimmt, daß Irritationen ob des Beethovenschen Experimentierens mit der Form, unerwarteter Aufeinanderfolge der Teile, gewagter Tonartenbezüge, abrupter Schlüsse, bedeutender Pausen, gar nicht erst aufkommen wollen. Die Schwierigkeit, den Klang des modernen Konzertflügels auf den des Cellos abzustimmen, ersteren zurückzunehmen und trotzdem in Dialog zu bleiben, wird als Problem gar nicht hörbar. Brendels und Brendels Spiel lädt den Hörer dazu ein, gemeinsam über Beethovens Musik nachzudenken, sie durch Nachhören nachzudenken. Diese ist eine Ergänzung zu der unerreichbaren Aufnahme mit Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim - ebenso notwendig wie schön. 


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