© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wählerwille
Karl Heinzen

Wie selten zuvor erweist sich in diesen Tagen, daß die Bundesrepublik Deutschland weiterhin als eine Solidargemeinschaft ihrer Bürger verstanden werden kann. Das notorische Loch im Staatshaushalt droht vollends auszuufern, und nun müssen eben alle zusammenstehen, damit uns eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Neuverschuldung erspart bleibt.

30 Milliarden Euro zusätzlich sollen die Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie die Kürzungen von Pendlerpauschale und Sparerfreibetrag in die öffentlichen Kassen spülen. Anders als zu den Zeiten Gerhard Schröders werden sogar die sogenannten Besserverdienenden einen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten dürfen. Die Kritik, daß die "Reichensteuer" mit einem zu erwartenden Gesamtvolumen von etwa 125 Millionen Euro eher symbolischen Charakter hätte, ist dabei nicht nachzuvollziehen. Auch hier gilt nämlich: Es ist besser, nur ein Zeichen zu setzen, als gar nichts zu tun. Wer Wohlhabende zu stark belastet, beraubt sie nicht allein jeglicher Motivation, auf freiwilliger Basis etwas Gutes für das Gemeinwesen zu leisten. Er treibt sie darüber hinaus in die Steuerflucht und verleitet sie dadurch zu mitunter sogar strafbarem Handeln.

Sicherlich ist es zutreffend, daß die Bundesregierung Gutverdienende, Vermögende und prosperierende Unternehmen in ihren Bemühungen um Mehreinnahmen schont. Dies zu beanstanden heißt jedoch, einen Gerechtigkeitsbegriff zugrunde zu legen, der nicht mehr zeitgemäß ist und von den maßgeblichen politischen Kräften auch längst verabschiedet wurde. Zurück zur Sozialen Marktwirtschaft will eigentlich nur noch die Linkspartei. Diese konnte bei den Bundestagswahlen aber gerade einmal acht Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Alle anderen Wähler gaben modernen Vorstellungen von Gerechtigkeit den Vorzug - und sie wußten dabei genau, was sie tun. CDU, CSU und SPD sind folglich demokratisch legitimiert, nun das umzusetzen, was sie den Bürgern angekündigt haben. Handelten sie anders, würden sie den Wählerwillen mißachten.

Beanstanden ließe sich allenfalls, daß natürlich auch diese drakonische Steuerreform zu keiner nachhaltigen Besserung der Lage führen wird. Eine solche ließe sich wohl nur durch Einschnitte in die Eigentumsordnung bewirken, die durch das Grundgesetz nicht abgedeckt wären. Auch hier ist die Kritik aber nicht an die Parteien, sondern an die Wähler zu richten: Radikale Positionen, die man des Klassenkampfes bezichtigen könnte, sind ihnen halt unheimlich. 


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