© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Hasardspiel im virtuellen Raum
Medien: Der Axel Springer Verlag will seine Onlinedienste zu Lasten von Zeitungen ausbauen
Andreas Wild

Wird hier womöglich ein neues Zeit(ungs)alter eröffnet? Der Verlag Axel Springer kündigt umwälzende Veränderungen für seine "blaue" Zeitungsgruppe (Welt, Welt kompakt, Welt am Sonntag, Berliner Morgenpost) an. "Leitorgan" dieser Gruppe soll ein gemeinsamer Onlinedienst werden, welcher mit sage und schreibe 400 Redakteursstellen ausgestattet sein wird.

Zum Chefredakteur in spe wurde der bisherige Chef der Welt am Sonntag, Christoph Keese (41), berufen, der aber auch Chef der WamS bleibt. Der bisherige "Herausgeber" von Welt und Berliner Morgenpost, Jan-Eric Peters, wird zum 1. Januar 2007 mit seinen ebenfalls erst 41 Jahren auf den Seniorenposten eines Chefs der Springer-Journalistenschule abgeschoben. Diese bekommt jedoch einen höheren Rang in der Konzern-Hierarchie: Sie wird eine "Akademie", an der künftig vor allem neue, zukunftweisende Strategien für Onlinedienste und für die publizistische Nutzung des Internets überhaupt ausgedacht und gelehrt werden.

Für viele zünftige Journalisten und Internet-Enthusiasten, die einen festen oder wenigstens halbfesten Job suchen, klang die Nachricht aus dem Hause Springer wie eine Verheißung. 400 neue Stellen! Da erschien endlich wieder einmal eine schöne Bonanza am Horizont, ein richtiger warmer Regen nach so vielen staubtrockenen, stellensparenden Maßnahmen bei Springer und überall sonst an der Medienfront während der letzten Zeit.

Doch inzwischen ist die Begeisterung bereits wieder verrauscht. Schnell stellte sich nämlich heraus, daß Springer keineswegs neue Stellen schaffen, sondern seine alten weiter abbauen will. Die 400 "neuen" Onlinedienstler sind identisch mit den 400 Redakteuren, die bereits jetzt in den "blauen Gruppe" angestellt sind. Sie sollen künftig außer für ihre jeweiligen Zeitungen auch (und sogar in erster Linie) für Online zur Verfügung stehen.

"Synergie-Effekt" heißt immer Stellenabbau

Der neue Onlinedienst der "blauen Gruppe" soll also einen sogenannten "Synergie-Effekt" entfalten, d. h. er soll die einzelnen Objekte noch enger zusammenführen, als es bisher schon der Fall war, soll die einzelnen Ressorts von Zeitung zu Zeitung direkt miteinander verknüpfen und sie gegenseitig austauschbar machen. So "bündelt" man Kräfte und spart Stellen. Als Zielpunkt ist eine einzige Welt kompakt anvisiert, mit der Welt am Sonntag als ihrer Sonntagsausgabe und der Berliner Morgenpost als ihrer Hauptstadtausgabe.

Wobei der Akzent deutlich auf dem "kompakt" liegt. Der Onlinedienst soll die Zeitungen nicht nur zusammenführen, sondern auch und vor allem "entlasten", also "kompakter" machen. Das klassische Geschäft der Nachrichtengebung, so die Überlegung der Planer, wird immer mehr und schließlich zur Gänze von den Printmedien auf den Onlinedienst übergehen, so daß sich die ersteren auf (knappe) Hintergrundberichte, Analysen und Reportagen konzentrieren können. Am Ende wird es, faktisch und planstellenmäßig, nur noch den "blauen" Onlinedienst geben, mit der - dann siebentägig erscheinenden und Hauptstadt-konzentrierten - Welt kompakt gewissermaßen als täglichem "Ausdruck".

Kann so etwas gutgehen? Eröffnet es eine realistische Perspektive? Manche Auguren in der Branche sprechen von Abenteurertum und Hasardspiel. Die Onlinedienste, argumentieren sie, werden auch in der voll entfalteten Medienwelt von morgen eine (zwar zunehmend wichtige, aber dennoch) sekundäre, dienende Rolle spielen. Primäres Verkaufsobjekt der Verlage, mit denen sie bei guter Strategie auch gute Gewinne machen können, bleibe die gedruckte Zeitung mit den traditionellen Text- und Anzeigenseiten.

Und das gilt auch, so fahren sie fort, für den Fall der Einführung von neuartigen elektronischen Hardware-Produkten, beispielsweise der berühmten "Computerzeitung im Brieftaschenformat", die man in der Jackentasche oder im Handtäschchen trägt und in der man jederzeit nach Belieben nachlesen kann, was der jeweilige Anbieter an Nachrichten, Analysen oder Reportagen auf den Bildschirm setzt. Die morgendliche gedruckte Zeitung aus dem Briefkasten ist ein kulturelles Erfolgsmodell, das auch solche Erfindungen überleben wird, selbst wenn diese ein Optimum an Bedienungskomfort und Lesbarkeit erreichen.

Bei aller jugendlichen Begeisterung für das Herumsurfen im Internet - der sich informierende Mensch ist ein naives Wahrnehmungstier, das so wenig Technik wie möglich zwischen sich und der Information haben will; das bißchen Papier der Zeitung, das er nicht "bedienen" muß, um an die Infos heranzukommen, sondern nur in der Hand zu halten braucht, ist ihm gerade recht. Je älter er wird, um so mehr recht ist es ihm, und unsere Gesellschaft wird bekanntlich immer älter. Der verläßlichste Medienkunde von heute ist kein Elektronik-Freak, sondern ein deutlich angegrautes älteres Semester mit Vorliebe für Geschriebenes.

Das Internet ist vor allem Spielfeld und Hobbykeller

Ist er von Berufs wegen oder vom Temperament her an sofortiger Kenntnisnahme neuester Nachrichten interessiert, so geht er nicht ins Internet, sondern schaltet das Radio ein, wie es ja auch die Mehrheitseignerin des Springerkonzerns, Friede Springer, tut. Ansonsten ist ihm nichts lieber als die klug und charmant arrangierte Info-Mixtur seiner gewohnten Zeitung. Ins Internet geht er nicht als Leser, der eine gute Info-Tagesübersicht bekommen will, sondern als Nutzer von und Teilnehmer an speziellen Weblogs, die ihn zusätzlich interessieren, oder er benutzt es als eine Art erweiteres Lexikon. Wikipedia statt Brockhaus.

Das Internet ist, genau betrachtet, gar keine erstrangige Informationsinstanz, wie es die Zeitung, das Radio und, eingeschränkt, das Fernsehen sind. Es ist ein Spielfeld und ein Hobbykeller, vor allem eine Bühne, wo noch der trübste Zeitgenosse sich wichtig machen kann, und - nicht zu vergessen - ein Freigelände für Dissidenten, Nichtzugelassene, Verbotene, freilich auch für Terroristen und alle möglichen Halunken, die dort ihre Botschaften und Forderungen absetzen.

Daß die Verkaufszahlen der gedruckten Presse, speziell der "seriöseren" Zeitungen, zur Zeit insgesamt zurückgehen, liegt gewiß nicht am Internet, ja nicht einmal an Internet plus Fernsehen plus Bild-Zeitung. Es liegt vielmehr daran, daß "Blaue Gruppe" & Co. sich immer mehr dem Stil jenes Konglomerats ("Glotze plus Bild", um mit Gerhard Schröder zu sprechen) anpassen, daß bald überall nur noch derselbe Käse in nur noch derselben Weise serviert wird und die allgemeine Verblödung darüber rapide zunimmt. Vielleicht wird tatsächlich gerade ein neues Zeitalter eröffnet, aber es ist wohl leider das falsche.


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