© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Sächsischer Einheitsweg
DDR-Bürgerrechtler
Felix Menzel

Sprechen Westler über die untergegangene DDR, so imitieren sie die hohlen Reden der kommunistischen SED-Funktionäre oft im sächsischen Dialekt. Viele Sachsen finden dies ungerecht, denn laut Statistik waren die südlichen DDR-Bezirke gar nicht so besonders partei- und linientreu. Sachsen spielte vielmehr eine bedeutende Vorreiterrolle für die bürgerbewegte Opposition. Leipzig und Dresden waren neben Berlin Schauplätze einiger der wichtigsten Demonstrationen und Ereignisse im Revolutionsjahr 1989.

Der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse hat in einem Sammelband sechzehn teils sehr persönliche Berichte von sächsischen Bürgerrechtlern zusammengetragen, die Auskunft geben über ihre Erlebnisse und Erfahrungen in den wilden Jahren der "Wende". Spannend ist der Band insofern, als er das breite Meinungsspektrum der Oppositionellen zur Frage einer möglichen deutschen Einheit verdeutlicht. Zu den Autoren gehören sächsische CDU-Politiker wie Arnold Vaatz, Herbert Wagner und Matthias Rößler, die schon früh die Forderung nach einer Wiedervereinigung erhoben und rückblickend die bedeutende Rolle Helmut Kohls hervorheben. Vaatz betont aber auch den Verzicht des sowjetischen Machthabers Gorbatschow, zugunsten der wankenden SED-Spitze einzugreifen. Nur so konnte die Revolution friedlich verlaufen. Rößler hofft, die Erinnerung an und der Stolz auf die historische Leistung der DDR-Bürger 1989 /1990 könnten Grundlage eines neuen deutschen Patriotismus werden.

Mit Nationalgefühl und Patriotismus hatten und haben dagegen die meisten der eher linken Bürgerrechtler wenig im Sinn. Die Teilung, so eine wiederkehrende Denkfigur, sei gerechte kollektive Strafe für die deutsche Schuld gewesen. Einer meint sogar, die "nationale Frage" sei ein Tabuthema der Opposition gewesen. Viele hofften noch 1989 auf einen reformierten Sozialismus. Sie wollten ihr Land zwar von SED und Stasi befreien, nicht aber die Eigenstaatlichkeit aufgeben. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner war und ist ihre strikte Ablehnung der SED- PDS. 

Eckhard Jesse (Hrsg.): Friedliche Revolution und deutsche Einheit. Sächsische Bürgerrechtler ziehen Bilanz, Ch. Links Verlag, Berlin 2006, broschiert, 302 Seiten, 24,90 Euro


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