© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

"Sagen wir Nationalstolz"
Karlheinz Weißmann über linken Selbsthaß, die Trendwende zum Patriotismus und die Pflicht, sich nicht zufriedenzugeben
Dieter Stein

Herr Dr. Weißmann, wir haben gegenwärtig eine Debatte über die Notwendigkeit eines deutschen Patriotismus. Gehen jetzt Ihre politischen Träume in Erfüllung?

Weißmann: Bestimmt nicht. Das ist doch ganz substanzlos. Die Politische Klasse und ihre journalistische Claque versuchen nur immateriell auszugleichen, was sich materiell nicht mehr ausgleichen läßt. Im Prinzip folgt man einem Muster, mit dem Kohl ohne Erfolg experimentierte und das dann Schröder mit einer gewissen Virtuosität handhabte. Als er uns das "Wunder von Bern" als Modell für die gemeinsame Kraftanstrengung vorführte, war das ähnlich durchschaubar wie die Kampagne "Du bist Deutschland", nur geschickter gemacht. Auch auf Patriotismus als Standortvorteil im wirtschaftlichen Wettbewerb war er schon verfallen.

Die vielen Ersatzvaterländer der Bürgerlichen

Aber spricht nicht gerade der Hinweis auf Schröder dafür, daß sich die Linke besinnt?

Weißmann: Daran glaube ich in keinem Fall. Die deutsche Linke hat in den vergangenen Jahrzehnten alles getan, das Vaterland zu diffamieren, am liebsten wäre ihr dessen Auslöschung gewesen. Die "Antideutschen" mögen eine isolierte Minderheit sein, aber sie sind auch symptomatisch, sie sprechen offen aus, was ein großer Teil der Linken an Selbsthaß gespeichert hatte und hat. Denken Sie an den Historikerstreit, die Agitation zugunsten des 8. Mai als "Tag der Befreiung", die ganzen Versuche, die Wiedervereinigung zu sabotieren, das Forcieren der Einwanderung, die Installation der Vergangenheitsbewältigung als Zivilreligion. Auf Patriotismus verfällt die Linke nur, wenn sie sich gar nicht mehr zu raten weiß, etwa als man nach dem Kollaps der DDR mutmaßte, es werde zu einem neuen Nationalismus kommen; da hantierte sogar die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit "aufgeklärtem" Patriotismus. Und Oskar Lafontaine, derselbe, der die Mauer am liebsten stehen gelassen hätte, polemisiert bei Gelegenheit gegen "Fremdarbeiter", weil er sich Sorgen wegen eines "nationalen Sozialismus" macht. Das hält aber immer nur so lange, wie die Bedrohung realistisch erscheint, dann ist es wieder vorbei, und man kehrt zur bunten Welt-Republik zurück.

Anhänger der multikulturellen Gesellschaft gibt es doch nicht nur auf der deutschen Linken.

Weißmann: Nein, sicher nicht. Vergleichbare Überzeugungen finden Sie bei der französischen, der britischen oder der US-amerikanischen Linken. Das sind aber nur weitere Indizien dafür, daß die Linke grundsätzlich antipatriotisch ist. Das Vaterland ist eine historisch-konkrete Einheit, und gegen das Historische wie das Konkrete hat die Linke einen untilgbaren Affekt. Wenn es ihr taktisch klug erscheint, dekoriert sie um, aber sobald sie in den Besitz der Macht kommt, ist das Vaterland zu viel oder zu wenig.

Zu viel oder zu wenig?

Weißmann: Zu viel, weil das Vaterland anarchistischen Gelüsten im Weg steht, zu wenig, weil es sich nicht ohne Probleme menschheitlich erweitern läßt.

Heißt das, es gibt keine linken Patrioten?

Weißmann: Doch, die gibt es. Natürlich waren Friedrich Ebert oder Julius Leber oder Kurt Schumacher deutsche Patrioten, aber sie waren es gegen die stärkere Tendenz in ihrer eigenen Partei. Schauen Sie sich nur an, wie jämmerlich Ebert von der SPD behandelt wurde und wird, wie isoliert Leber war und wie die Sozialdemokratie aufatmete, als Schumacher starb. Erhellend ist heute noch die Schrift "Die neue Armee" des französischen Sozialistenführers Jean Jaurès, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg erschien. Dort hat er scharf mit dem Antipatriotismus der Linken abgerechnet, der - wenn er sein Ziel erreiche - die Welt einer "riesigen Mittelmäßigkeit" oder einem "kolossalen Militarismus" ausliefern werde. Wobei die Mittelmäßigkeit wie der Militarismus im Namen der universalen Einheit auftreten dürften. Ich sehe keinen Sinn darin, daß von konservativer Seite immer wieder versucht wird, der Linken einzureden, daß sie doch eigentlich das Vaterland liebe. Sie tut es nicht, dabei sollte man es belassen oder auf Liebesbeweise warten.

Und wenn schon nicht die Linke, gibt es dann vielleicht Indizien für eine bürgerliche Wende? Wolfram Weimer schrieb im letzten "Cicero", daß eine "Restauration" der konservativen Werte bevorstehe, zu denen auch der Patriotismus gehöre.

Weißmann: Es sei zugegeben, daß die Bürgerlichen niemals die gleiche Aversion gegen das Vaterland pflegten wie die Linke. Aber besonders entschlossen fiel die Verteidigung auch nicht aus. In der Bundesrepublik hatten sie doch immer ihre Ersatzvaterländer bei der Hand, das Kantönli oder Europa oder die Westbindung. Jetzt sehen sie mit wachsender Deutlichkeit, daß die Linke der Mut verläßt bei ihren Utopien und Visionen, daß die nachwachsende Generation pragmatisch ist, den Selbsthaß der Altvorderen degoutant findet und geneigt scheint, sich an der Normalität zu orientieren. Gerade die Weltläufigen machen im Ausland die Erfahrung, daß dort jeder für sein Land Partei nimmt. Und damit entsteht die Frage, warum man nicht tun sollte, was alle tun. So wagt sich auch das juste milieu etwas weiter aus der Deckung, denn das scheint jetzt gefahrlos. Man sagt offener, was man vorher nur hinter der vorgehaltenen Hand sagte, und außerdem möchte man den nächsten Trend nicht verpassen.

Wahrscheinlich werden Sie auch das neue Buch des "Spiegel"-Kulturchefs Matthias Matussek in diesen Zusammenhang einordnen. Der hat allerdings über das Gesagte hinaus auf die Nationalneurose der Deutschen hingewiesen, ihre masochistische Neigung zu Selbstverkleinerung und Schuldfixierung.

Weißmann: Na, das ist ja großartig, daß Herr Matussek endlich da angekommen ist, wo die intellektuelle Rechte schon vor dreißig Jahren angekommen war. Das Elend ist nur, daß Matussek kaum jemals Armin Mohler, Bernhard Willms, Hellmut Diwald oder Robert Hepp seine Reverenz erweisen wird, die immer wieder auf die Anomalie und Gefährlichkeit der deutschen Pathologie hingewiesen haben und auf die damit verbundene Möglichkeit der politisch-moralischen Erpressung.

Besser eine späte Einsicht als keine.

Weißmann: Selbst wenn ich vom Aspekt der Gerechtigkeit absehe, möchte ich doch darauf hinweisen, daß es nicht gleichgültig ist, wann man zu einer Einsicht kommt. Wenn man den Patriotismus früher als entscheidenden Bezugspunkt aufgefaßt hätte, in den siebziger, achtziger oder wenigstens in den neunziger Jahren, wäre uns viel erspart geblieben und müßten wir uns nicht mit dieser Art von Substanzverlust abfinden, der überall mit Händen zu greifen ist.

Was meinen Sie genau mit "Substanzverlust"?

Weißmann: Zuerst einmal den Verlust an Volkssubstanz durch Geburtenrückgang und Massenabtreibung, dann den Verlust an kultureller Substanz durch das willkürliche Abreißen der Überlieferung und schließlich den Verlust an staatlicher Substanz durch das Wuchern des Parteiensystems und die systematische Zerstörung der öffentlichen Debatte, vor allem das Zensieren aller Auffassungen, die eben das vertraten, was jetzt eingefordert wird: Patriotismus.

"Leitkultur" ist auch so eine unbrauchbare Ersatzvokabel

Wenn Ihnen der neudeutsche Patriotismus nicht behagt, was schwebt Ihnen denn als Alternative vor?

Weißmann: Legen wir zuerst einmal den Begriff beiseite. Der klingt doch zu sehr nach Schwundstufe. Sagen wir Nationalstolz. Denn vor allem anderen muß verbürgt sein, was Max Weber das "spezifische Pathos" nannte, die Grundvoraussetzung jeder Bezugnahme auf die eigene Nation. Das heißt die Harmlosigkeit muß aufhören, das Muntere, Aufgesetzt-Optimistische, Orangefarbene. Wenn man sich jetzt auf das Vaterland beruft, dann, weil das Vaterland in Gefahr ist, und die größte Gefahr ist der endgültige Geschichtsverlust. Viele Agenten des neuen Patriotismus sprechen von Deutschland, als ob das erst 1989 zu existieren begonnen habe oder 1968, äußerstenfalls 1945. Was davor stattfand, taugt nur als Kontrastmittel, als dunkle Folie, von der sich die lichte Gegenwart abhebt. Diese Art, das Vaterland zu "konstruieren", kann man schlau finden, aber es fehlt die historische Tiefendimension, die notwendig ist, um ein Gefühl hervorzubringen, das man Liebe zum Vaterland nennen darf.

Es geht hier nicht um die Frage, welche Produkte wir herstellen oder wie gekonnt man bei uns kocht, es geht nicht einmal um unsere industriellen Standards oder die Attraktivität des deutschen Frolleins, sondern um die Rückgewinnung unserer Identität. Identität ist ein politischer Faktor ersten Ranges und wird in den politischen Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts eine entscheidende Größe sein, Fehlen oder Vorhandensein wird mit darüber entscheiden, welche Stellung eine Nation einnimmt, welche Bindungskräfte sie entfaltet oder in welchem Maß Erosion um sich greift, welche Chance zur Verteidigung der eigenen Interessen sie hat und welche nicht. Das heißt, das Nationale ist nichts Dekoratives, sondern etwas Politisches, es gewinnt die Schärfe seiner Konturen durch Entgegensetzung: "Wir" - "Nicht-Wir". Dem versucht man natürlich auszuweichen, die FAZ brachte letztens schon einen Leitartikel mit der Überschrift "Deutsche Interessen: keine".

Identitätspolitik wird gegenwärtig vor allem als Frage der Innenpolitik betrachtet, im Zusammenhang der Leitkulturdebatte.

Weißmann: "Leitkultur" ist auch so eine Ersatzvokabel, deren Unbrauchbarkeit sich in der Praxis sofort zeigt. Da wird dann irgendein Wertekanon geschaffen, für den man sich etwas hübsch Unverbindliches ausdenkt, ohne Bezug zu dem, was ich oben schon als das Historisch-Konkrete charakterisiert hatte. Wer wenigstens einen Teil der hier lebenden Einwanderer integrieren will, darf die Hürden nicht an der falschen Stelle aufbauen und nicht zu niedrig halten. Er muß dem Ankömmling Anpassung abverlangen und ihm mit dem Selbstbewußtsein entgegentreten, das einem großen Volk und einer alten Kulturnation gebührt. Dann sehe ich durchaus Möglichkeiten des Gelingens. Jemand hat das einmal auf das anschauliche Beispiel gebracht, daß zu den erfolgreichsten U-Boot-Kommandanten der kaiserlichen Marine ein Mann mit dem klangvollen, aber nicht sehr deutschen Namen Lothar Ar-nauld de la Périère gehörte. Warum sollte sich nicht zukünftig ein deutscher Truppenkommandeur auszeichnen, der Peter Orhan Acar heißt? Bei alldem bin ich nicht zu pessimistisch.

Sehen Sie in der gegenwärtigen Debatte also einen Schritt in die richtige Richtung?

Weißmann: Ich sehe die richtige Richtung, aber nicht, daß man sich bewegt, nicht einmal schrittweise.

Und wo bleibt das Positive?

Weißmann: Das kann man bis auf weiteres nur in dem Bewußtsein verankern, daß hier der notwendige Rechtsruck nur simuliert wird, daß man wie immer mit dem Kulissenschieben auskommen möchte. Wir haben die besseren Analysen und die besseren Begriffe, wir haben die krisenhafte Entwicklung früh abgesehen und vor den Folgen gewarnt. Wir sind immer für diese Nation eingetreten, auch wenn das nicht gerade in Mode war, keine Meriten und keine Dotationen einbrachte. Und darum haben wir die Pflicht, uns nicht vorschnell zufriedenzugeben. Und wenn das immer noch nicht genügt, muß genügen, was Mishima gesagt hat: "Habe sieben Leben und diene deinem Land!"

 

Dr. Karlheinz Weißmann gilt als Hauptvertreter und Vordenker des Konservatismus in Deutschland. Zuletzt erschien in der Edition An-taios, Schnellroda, ein Gesprächsband mit ihm unter dem Titel "Unsere Zeit kommt" (JF 22/06). 1959 geboren, studierte er Geschichte und Evangelische Theologie in Göttingen. Seit 1983 unterrichtet der promovierte Historiker als Studienrat an einem Göttinger Gymnasium.

Wichtigste Veröffentlichungen: Zeichen des Reiches. Symbole der Deutschen (1989), Rückruf in die Geschichte. Die deutsche Herausforderung (1992), Westbindung. Chancen und Risiken für Deutschland (als Mitherausgeber, 1993), Arnold Gehlen. Vordenker eines neuen Realismus (2000), Nation (2001), Mythen und Symbole (2002), Männerbund (2004), Die Besiegten. Die Deutschen in der Stunde des Zusammenbruchs 1945 (als Herausgeber, 2005)

 

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