© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Gysi und Lafontaine triumphieren
Gewerkschaften: Auf dem DGB-Kongreß zeigt sich die Nähe der Arbeitnehmerorganisation zur Linkspartei / "Rote Karten" für Müntefering
Ronald Gläser

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sind unbestritten das talentierteste Populistenduo in der politischen Landschaft weit und breit. Ohne Gysi wäre die PDS nach 1990 stärker eingebrochen. Ohne Lafontaine hätte es 2005 kein so formidables Comeback der Postkommunisten gegeben.

Vor dem DGB-Kongreß in Berlin in der vergangenen Woche haben die beiden Fraktionschefs in ihrer Parteizentrale in Berlin-Mitte zusammengesessen und die Taktik festgelegt. "Wir müssen gut vorbereitet sein", dieser Gedanke stand dabei im Vordergrund ihrer Überlegungen. Was herausgekommen ist, kann sich sehen lassen: Es ist Tag zwei der Megakonferenz, der Tag der sogenannten Parteiabende. An diesem Dienstag laden SPD, Grüne, Linkspartei und auch die Union die Delegierten zu vier separaten Partys ein.

Diese Parteiabende sind auch ein Gradmesser: Wer hat die stärkste Anziehungskraft auf die Arbeitnehmervertreter? Genauer gesagt: Wer hat die stärkste Anziehungskraft nach der SPD, denn die richtet traditionell die größte Party aus. Morgens finden die Gewerkschaftsfunktionäre jeweils eine Einladung vor: SPD, Grüne und die Union haben ein Blatt mit einer formlosen Terminankündigung lustlos durch den Kopierer jagen lassen. Die Linkspartei dagegen lockt die Kollegen mit einer extra gedruckten blutroten Einladungskarte.

Abends also die Werbeveranstaltungen der Parteien. Rund 600 Delegierte füllen den großen Ballsaal der SPD im Estrel Convention Center. In der Mitte, am Promi-Tisch Nummer 22, sitzen Kurt Beck, Frank Bsirske, Michael Sommer und Jürgen Peters. Beck hat wenige Tage zuvor die eigenen Parteifreunde in Berlin mit einer Videobotschaft abgespeist. Doch die Heerschau des DGB läßt sich der Ministerpräsident nicht entgehen.

Der SPD gehen die Gäste aus

Gleich nebenan feiert die PDS. Anfangs sieht es auch hier mau aus. Bis Gregor Gysi seine Rede beginnt. "Honecker", sagt er, "wollte, daß seine Leute sich den Mongolen stärker verbunden fühlen als den Westdeutschen. Er ist gescheitert. Kohl wollte, daß die Westdeutschen stets nur an ihre Brüder und Schwestern denken. Er ist auch gescheitert." Und schon hat Gysi die Lacher auf seiner Seite, ist das Publikum von seinen Ausführungen begeistert.

Der Sozialist spricht über den "neoliberalen" Zeitgeist, den es zu brechen gelte. Gysi nimmt lieber "Lahmarschigkeiten" in Kauf, als daß er die Privatisierung weiterer Staatsbetriebe zuläßt. "Öffentliche Daseinsvorsorge" muß sein, lautet sein Tenor. Damit spricht er offen aus, was auch viele Genossen von der SPD insgeheim denken. Die ersten enttäuschten DGBler kommen indes aus der großen Halle der SPD hinüber zur Linkspartei.

Dann geißelt der Populist die "Entsozialdemokratisierung der SPD": "Kohl hat sich nicht getraut, was die SPD jetzt gemacht hat. Kohl war nicht Thatcher", findet Gysi. Zeitgleich habe Schröder dagegen die Unternehmenssteuern gesenkt und den Rentnern die Leistungen gestrichen. Es wird immer voller, Sitzplätze gibt es längst keine mehr. Ein Gewerkschafter im Flanellhemd murmelt: "Ich hätte gleich herkommen sollen." Der Gewerkschafter pflichtet Gysi bei: "Bei der SPD wirst du nur verarscht. Der Schröder hat uns mißbraucht."

Gysi ist jetzt richtig in Fahrt, sieht sich im Aufwind: "Ich hätte nie damit gerechnet, daß wir so schnell, nach nur 16 Jahren schon wieder eine solche Chance bekommen. Die anderen haben eben zu viele Fehler gemacht."

Zur gleichen Zeit im großen Saal: Längst ist die Hälfte der Gäste bei der SPD verschwunden. Auch bei den Grünen sitzt nur eine Handvoll Sympathisanten. Die CDU feiert mit knapp 200 Gästen in einem anderen Gebäudetrakt. Es besteht also kein Zweifel: Die Linkspartei hat optimal abgeschnitten im Schaulaufen beim DGB. Und das, obwohl der angekündigte Oskar Lafontaine nicht einmal aufgetaucht ist.

Die Verdi-Fankurve jubelt begeistert

Der kommt am folgenden Tag. Vorher aber spricht der Vizekanzler. Früher wäre dieser Auftritt ein Heimspiel für einen SPD-Arbeitsminister gewesen. Die Gewerkschafter hätten ihn umjubelt wie einen der Ihren. Doch jetzt ist Franz Müntefering der Mann, den die Gewerkschafter für die Rente mit 67 verantwortlich machen. Er weiß, daß er Prügel abbekommen wird, als er den Saal betritt. Müntefering bekommt viele roten Karten zu sehen, vor allem aus dem Verdi-Block. Lafontaine grinst.

Nach dem Ex-SPD-Vorsitzenden Müntefering spricht der Ex-SPD-Vorsitzende Lafontaine. Er wiederholt seine Lieblingsbotschaft: Die Lohnabschlüsse sind zu niedrig, die Steuern für Reiche auch. "Wir werden die Voraussetzungen schaffen, Französisch zu lernen", kün-digt er großspurig an und meint damit: "Ich bewundere, daß es den Franzosen gelungen ist, die Regierung Chirac in die Knie zu zwingen und die Lockerung des Kündigungsschutzes zu verhindern." Wenn die Quote für Sozialabgaben von 34 Prozent, "die in Deutschland viel zu niedrig ist", auf europäisches Niveau gehievt würde, dann ließen sich alle Sozialleistungen weiter bezahlen.

Lafontaine rechnet vor: 4.000 Milliarden Euro Geldvermögen gibt es im Land. Die Hälfte dieses Geldes gehört einem Prozent der Bevölkerung. Wenn man dieses eine Prozent fünf Prozent Vermögensteuer zahlen läßt, dann ist alles in Butter. "Wir wollen, daß der Wohlstand unserer Nation wieder mit Arbeit erwirtschaftet wird, und nicht mit totem Kapital", lautet seine Quintessenz, seine Kritik am Kapitalismus. Die Verdi-Fankurve steht auf und applaudiert. Rote Karten hat Lafontaine nicht zu sehen bekommen. Er setzt sich in die erste Reihe, um seinen Triumph still zu genießen: Lafontaine lächelt.


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