© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Das Ende eines Verdachts
Verfassungsschutz I: Wie die "Beobachtung" der JF nach elf Jahren still und leise kassiert wurde / Hintergründe
Hans-Peter Rissmann

Es war die Top-Nachricht auf der Pressekonferenz der JUNGEN FREIHEIT zum 20jährigen Bestehen: Am 24. Mai gab JF-Chefredakteur Dieter Stein vor einem Dutzend Hauptstadtjournalisten bekannt, daß die Zeitung seit dem 22. Mai aus dem Visier der deutschen Verfassungsschutzbehörden offiziell verschwunden ist. Mit dem an diesem Tag vorgestellten Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für 2005 wird die JUNGE FREIHEIT in keinem Bericht der Länder oder des Bundes mehr "erwähnt".

Damit endete, so Dieter Stein gegenüber den Journalisten, eine 11jährige Ära, in der die Zeitung im Visier von Verfassungsschutzbehörden stand: ab 1995 in Nordrhein-Westfalen, seit 1998 im Bund, seit 2000 in Baden-Württemberg. Die JUNGE FREIHEIT hat sich von Anfang an dagegen zur Wehr gesetzt, daß man staatlicherseits behauptete, bei ihr lägen "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf rechtsextremistische Bestrebungen" vor, wie es der NRW-Verfassungsschutz als erster widerrechtlich zu verbreiten pflegte, um gleichzeitig bis heute den Beweis für diese rufschädigende Unterstellung schuldig zu bleiben.

1996 erhob die JF deshalb Klage gegen das Land NRW. Es folgten zwei Urteile (Verwaltungsgericht Düsseldorf 1997, Oberverwaltungsgericht Münster 2001), die die NRW-Praxis vorübergehend stützten. Die JF beschritt daraufhin den Weg der Verfassungsbeschwerde. Vertreten wurde sie zunächst durch den Münchner Anwalt und prominenten Euro-Kläger Manfred Brunner (einst FDP-Landesvorsitzender von Bayern), dann vom ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl.

Die JF hat einen - von Fachleuten aufmerksam registrierten - hohen Aufwand bei ihrem juristischen Kampf gegen den Mißbrauch des Verfassungsschutzes betrieben. Telefonbuchstarke Klageschriften, Erwiderungen und Erwiderungen zur Erwiderung gingen zwischen den Parteien hin und her.

Am 24. Mai 2005 beschied nach jahrelanger Prüfung dann das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der JF positiv, die Erwähnung der Zeitung in NRW-Verfassungsschutzberichten sei verfassungswidrig.

Als Konsequenz auf diese Karlsruher Entscheidung stellten die Innenministerien die Praxis der "Erwähnung" der JF nun flächendeckend ein. Aber: Wie Dieter Stein auf der Pressekonferenz erklärte, fehle nicht nur eine öffentliche Entschuldigung für die in der Vergangenheit ausgeübte Diskriminierung der JF, es fehle auch eine Erklärung für diesen Schritt.

Durch die diskriminierenden Wertungen in Verfassungsschutzberichten ist der JF massiver Schaden entstanden. Es kam serienweise zu Ablehnungen von Anzeigen, Absagen von Interviewpartnern und Autoren, Zurückhaltung von Abonnenten und Kioskkäufern. Spektakulär war die Kündigung des JF-Hauptgeschäftskontos 2001 durch die Postbank, die sich dabei direkt auf den NRW-Verfassungsschutz berief. Abgewendet werden konnte die Kündigung nur durch einen Prominenten-Appell, den unter anderem Focus-Herausgeber Helmut Markwort und der CSU-Politiker Peter Gauweiler unterzeichneten.

Insgesamt bezifferte der JF-Verlag den geschätzten jährlich entstandenen Schaden infolge der Verfassungsschutz-Diskriminierung auf rund eine halbe Million Euro. Eine Schadensersatzklage gegen die verantwortlichen Behörden behält sich der Verlag vor.

Das in elf Jahren seitens staatlicher Behörden verbreitete Negativbild der Zeitung läßt sich nicht von heute auf morgen beheben. Es wird viele Jahre dauern, so Dieter Stein, bis die JF diese Beschädigung überwunden hat.

Der JF ist mit ihrem Prozeß gegen den Verfassungsschutz aber nicht nur in eigener Sache gelungen, demokratischen Grundrechten gegenüber den Verfassungsschutzbehörden einen höheren Stellenwert zu erkämpfen. Eine aktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg zeigt, daß die JF-Entscheidung Auswirkungen auf andere Fälle hat. Hier hatte die rechtskonservative Partei Die Republikaner gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht 1997 des Landes Berlin geklagt - und recht bekommen (siehe auch untenstehender Bericht). Bemerkenswert hierbei: Das Gericht stützt sich in mehreren entscheidenden Punkten auf den "JF-Beschluß" der Karlsruher Richter von 2005.

Ein Aufsatz in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) findet im Urteil der Berliner Richter eine besondere Erwähnung. Der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek hatte in der NVwZ (2/2006, 16. Februar 2006) eine juristische Bewertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur JF veröffentlicht. Hier kommt Murswiek zum Ergebnis, der "JF-Beschluß" des BVerfG setze "neue Maßstäbe für den Verfassungsschutzbericht". Murswiek: "Der Beschluß markiert eine Wende der Rechtsprechung und schränkt die Voraussetzungen, unter denen im Verfassungsschutzbericht eine Organisation als 'extremistisch' eingestuft werden darf, erheblich ein." Was der Laie nicht weiß: Der Verfassungsschutz hatte sich in den letzten Jahren schleichend eine bis in die politische Mitte willkürlich dehnbare Grauzone eröffnet, in der er nach parteipolitischem Gusto meint "Verdachtsfälle" an den Pranger stellen zu dürfen. Für einen Verdacht reichte es (wie im Falle der JF) dabei schon aus, gegen die Rechtschreibreform, gegen den Euro, gegen die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit oder gegen die hochumstrittene und später zurückgezogene "Wehrmachtsausstellung" gewesen zu sein.

In der bisherigen Rechtsprechung bis zum Karlsruher JF-Beschluß war den Verfassungsschutzberichten lediglich der Status einer "Meinungsäußerung" des Innenministers, nicht aber grundrechtseingreifender Charakter zugesprochen worden.

Konsequenz des JF-Beschlusses nach Murswiek: "Erstens reicht ein geringfügiger, auf wenige oder wenig aussagekräftige Anhaltspunkte gestützter Verdacht nicht aus. Vielmehr müssen Anhaltspunkte 'hinreichend gewichtig' sein. (...) Zweitens reicht es nach der neuen Entscheidung nicht mehr aus, daß für den Verdacht irgendwelche einleuchtenden Anhaltspunkte genannt werden und seine Äußerung somit nicht als willkürlich erscheint. Vielmehr verlangt das BVerfG jetzt, daß der Verdacht konkret begründet wird. (...) Dazu gehört notwendigerweise, daß nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände in Betracht gezogen werden. (...) Nur wenn mit dem Ziel der Wahrheitsfindung, also vom Ansatz her neutral, ermittelt wird und positive ebenso wie negative tatsächliche Umstände in gleicher Weise in die Sachverhaltsermittlung eingehen, kann konkret beurteilt werden, ob das Gefahrenpotential so groß ist, daß es die Warnung im Verfassungsschutzbericht rechtfertigt." Diese geforderte Sorgfalt hat insbesondere der NRW-Verfassungsschutz bislang gänzlich vermissen lassen.

Mit dem Karlsruher JF-Beschluß ist das Ende der Verdachtsberichterstattung der Verfassungsschutzbehörden eingeläutet, zumindest wurde der willkürlichen Instrumentalisierung der Behörden für parteipolitische Interessen eine erhebliche Hürde entgegengesetzt. Man wird die künftige Praxis und weitere juristische Entscheidungen aufmerksam beobachten müssen.

Info: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Beethovenstraße 7 b, 60325 Frankfurt a. M., Internet: www.nvwz.de

Alexander von Stahl, Kampf um die Pressefreiheit, Die Verfassungsbeschwerde der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT wegen Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit durch Verfassungsschutzberichte des Landes NRW. 2. erw. Aufl., Edition JF, Berlin 2005

Fotos: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (r.) und Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm: Verfassungsschutzbericht ohne JF

Dieter Stein auf der JF-Pressekonferenz am 24. Mai 2006: Eine Schadensersatzklage behält sich der Verlag vor


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