© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Rückzug des Staates
Tierzuchtgesetz: EU-Vorgaben gefährden Qualitätsstandards
Harald Ströhlein

Im Mai hat das Bundeskabinett dem Neuentwurf des Tierzuchtgesetzes zugestimmt. Stimmt auch der Bundesrat zu, dann wird die Novelle Ende dieses Jahres beschlossene Sache werden. Diesem Aktivismus vorausgegangen war das 2003 aus Brüssel erhobene Vertragsverletzungsverfahren gegen die deutsche Gesetzgebung, die der Waren- und Wettbewerbsfreiheit in der EU nicht mehr genügte.

Doch es ist kein leichtes Unterfangen, das Tierzuchtgesetz so zu formen, daß es dem EU-Zeitgeist entspricht. Denn seit den Ursprüngen galt diese Gesetzgebung als ein verläßliches Regelwerk, um die Tierzucht auf Kurs zu halten und gleichzeitig an die sich wandelnden Erfordernisse anzupassen. Stand beispielsweise über lange Zeit die Milchleistung im unbestrittenen Mittelpunkt züchterischen Strebens, sind es heute mehr Gesundheits- und Qualitätsaspekte, für die es zu züchten gilt.

War Fett in jeglicher Form noch vor wenigen Jahrzehnten in einer hungernden Bevölkerung über alle Zweifel erhaben, konnte seitdem mit Hilfe der Zucht als ein taugliches Marktinstrument auf die immer anspruchsvolleren Verbraucherwünsche reagiert werden.

Zudem ist unsere Tierzucht - abgesehen von den lausigen BSE-Zeiten - international unbestritten. So wurden im vergangenen Jahr über 70.000 Zuchtrinder mit einem Ausfuhrvolumen von mehr als 80 Millionen Euro exportiert. Alleine die bayerischen Züchter freuten sich über einen 120prozentigen Zuwachs gegenüber 2004; fast 8.000 Rinder waren in 19 Ländern der Welt gefragt.

Daß die Modellierung des bewährten Tierzuchtgesetzes mehr oder weniger vehement diskutiert wurde und noch wird, ist verständlich. Im Kern geht es darum, ob bzw. in welchem Ausmaß sich der Staat aus der Tierzucht zurückziehen wird und seine bisher wahrgenommene Aufgabe auf Zuchtorganisationen überträgt.

Damit verbunden steht nun im Raum, wie es dann um die absolut notwendige Objektivität und Neutralität in der Leistungsprüfung und Zuchtwertschätzung bestellt ist - sofern diese beiden Säulen der Tierzüchtung wegen der enormen Kosten in bisheriger Form überhaupt aufrechterhalten werden können.

Glaubt man indes dem Bundeslandwirtschaftsministerium, sind solche Befürchtungen unbegründet. Demnach führe eine Übertragung der Aufgaben auf Zuchtorganisationen nicht zu "Verwerfungen" und in Fragen der Finanzierung stehe den Ländern offen, Mittel für die Tierzucht bereitzustellen.

In welchem Kleid sich das neue Tierzuchtgesetz auch präsentieren mag: Durch die aus Brüssel erzwungene Marktöffnung wird sich Deutschland zu einem Rummelplatz für Spermahändler entwickeln. Man muß kein Prophet sein, um abzusehen, daß dies bei einem ohnehin schrumpfenden Markt zu einem unerbittlichen Verdrängungswettbewerb führen wird. Gut für den Züchter, dem der Zugang zu internationaler Genetik mit immer günstigeren Preisen erleichtert wird.

Dabei ist nur zu hoffen, daß das vielgerühmte Züchterauge den Durchblick in einem dann eher unüberschaubaren Markt nicht verlieren wird - zum Wohle des eigenen Betriebes und zum Wohle der Tierzucht als solcher.


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