© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Preußisches Ethos unter erschwerten Bedingungen
Die Autobiographie Hans-Georg Löfflers, General in der Nationalen Volksarmee bis 1990, eröffnet Einblicke in die "verschwundene Armee"
Klaus Motschmann

Der friedliche Verlauf der sogenannten Wende von 1989/90 in der DDR und der relativ problemlose Prozeß der Vereinigung Deutschlands haben einige Tatsachen aus dem kollektiven Bewußtsein unseres Volkes verdrängt, die zum Verständnis dieser Entwicklung jedoch von großem Belang sind.

Dazu gehört vor allem das Verhalten der Nationalen Volksarmee (NVA) in dieser durchaus auch kritischen Phase unserer Geschichte. Dabei ist zum Vergleich nicht unbedingt an die "Pekinger Lösung" zu denken, nach der die chinesische Demokratiebewegung im Sommer 1989 von der Armee blutig niedergeschlagen wurde. Es hätte genügt, daß in der massenpsychologisch brisanten Situation in Leipzig, Berlin oder anderswo einige Offiziere der NVA die Nerven verloren hätten, wie es einst beim Ausbruch der Märzrevolution im Jahr 1848 in Berlin geschah. Bis heute blieb ungeklärt, wer damals die beiden Schüsse nach dem Abschluß einer friedlichen Demonstration vor dem Berliner Schloß abgegeben hat, die innerhalb kürzester Zeit brave Bürger zum fanatischen Barrikadenkampf veranlaßten, dem 250 Menschen zum Opfer fielen. Oder was wäre passiert, wenn gewaltbereite Gegner der deutschen Einheit die Wachen und Munitionsdepots der NVA hätten plündern können?

Diese wenigen angedeuteten Überlegungen sind keine müßigen Spekulationen, sondern ein Hinweis zum Verständnis für den friedlichen Verlauf der "Wende" und die Übernahme von 50.000 Angehörigen der NVA in die Bundeswehr. Diese Erinnerung wirft zahlreiche Fragen auf, die im Interesse der Überwindung noch immer gehegter ideologischer Vorurteile allmählich gelöst werden sollten.

Mit der Autobiographie Hans-Georg Löfflers - eines der letzten 24 Generale und Admirale der NVA - liegt ein aufschlußreicher Beitrag zur Auseinandersetzung mit diesem Thema vor. Löffler geht es nicht um die in Mode kommende Verklärung der Verhältnisse in der DDR, sondern um eine sachliche Klärung der Struktur und Funktion einer Armee, die in ein festes ideologisches System und in das nicht minder feste politisch militärische Bündnissystem des Warschauer Paktes eingeordnet war. Wie immer man, je nach politischem Standort, diesen "Primat der Politik" auch beurteilen mag: Er kann nicht der alleinige Maßstab militärischer Ordnung und militärischen Handelns sein. Löffler ist zu dieser Überzeugung nicht erst von Stufe zu Stufe seiner militärischen Karriere gekommen, sondern aufgrund seiner persönlichen Prägung durch das Elternhaus in Mecklenburg, wo sein Vater Stationsvorsteher war. "Dort galten klare Regeln für Disziplin, Pflicht und Ordnung. Das hatte mich geprägt. Als ich den Waffenrock anzog, mußte ich mich nicht umstellen. Es gab eine Aufgabe und ein Ziel - und den Ehrgeiz, dieses Ziel zu erreichen."

In diesem Zusammenhang erinnert Löffler an den Spruch über dem Portal der einstigen preußischen Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde: "Der preußische Gehorsam ist der einer freien Entscheidung, nicht einer unterwürfigen Dienstwilligkeit." Löffler hat die jeweiligen Etappenziele seiner Karriere aufgrund dieser persönlichen Einstellung mit hervorragenden Leistungen erreicht, unter anderem das Diplom der sowjetischen Militärakademie in Moskau. Maßgebend für ihn war nicht in erster Linie ideologische Linientreue, sondern seine hervorragende Fähigkeit der Menschenführung und sein umfassendes Organisationsvermögen.

Aus dieser Einstellung erklärt sich ein bewußtes Bekenntnis zu den progressiven Traditionen der preußischen Heeresreformer. Noch als Major hingen in seinem Dienstzimmer die Porträts von Clausewitz und Scharnhorst, die allerdings den Unwillen eines aus dem Kaukasus stammenden sowjetischen Militärberaters erregten. "Um der Waffenbrüderschaft und des lieben Friedens willen" wurden diese Bilder dort ab- und in der Privatwohnung aufgehängt. Aber die Tatsache, daß sie lange Zeit im Dienstzimmer eines hohen NVA-Offiziers unbeanstandet hängen konnten, gestattet den Rückschluß, daß Löffler mit seiner Einstellung in der NVA offensichtlich nicht alleine stand.

Verständlicherweise entwickelte sich aus dieser Einstellung im Laufe der Zeit und aus verschiedenen Anlässen Widersprüche zur offiziellen Militärdoktrin der SED, allerdings kein grundsätzlicher ideologisch-politischer Widerstand. Vor allem die weltpolitischen Entwicklungen im Zuge der "Entspannungspolitik" in den siebziger Jahren verlangten aus rein militärischer Sicht immer wieder Entscheidungen, die von den "armeefernen" Gremien der SED und der DDR-Regierung nicht sachgemäß getroffen wurden. Daraus erklären sich erhebliche Probleme in der Truppenführung und eine stetig schwindende Motivation der gezogenen Rekruten.

Entsprechende Erscheinungen zeig-ten sich in noch stärkerem Maße in den Armeen der "Bruderländer" bei gemeinsamen Manövern, vor allem in der polnischen, ungarischen und rumänischen Armee. Sie haben wesentlich zum Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus im Ostblock beigetragen, weil durch die Fixierung auf ideologische Doktrinen elementare Grundsätze der Menschenführung und Motivationen mißachtet worden sind, und damit die wichtigsten Voraussetzungen für eine verantwortungsbewußt handelnde Armeeführung. "Im Interesse einer guten Zukunft in unserem gemeinsamen Vaterland Deutschland" - so die letzte Zeile seines Buches - sollten diese Erfahrungen General Löfflers beachtet werden, und zwar nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch in zivilen Bereichen. Daß dies möglich ist, hat General a.D. Löffler durch seine erfolgreiche Tätigkeit in einem großen Ingenieurunternehmen nach der Wende bewiesen.

Foto: General Hans-Georg Löffler führt Parade an, Ost-Berlin 1984: Clausewitz im Dienstzimmer

Hans-Georg Löffler: Soldat der NVA von Anfang bis Ende. Edition Ost, Berlin 2006, broschiert, 280 Seiten, 14,90 Euro


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