© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

"Abgesandte der Nation"
Der Ex-Nato-Oberbefehlshaber und Inspekteur des Heeres Hans-H. von Sandrart über Auslandseinsätze und Patriotismus
Moritz Schwarz

Herr General, am Donnerstag, den 1. Juni hat die Bundeswehr das Kommando über die Isaf-Truppe in Nord-Afghanistan übernommen und der Bundestag den Einsatz deutscher Soldaten im Kongo beschlossen. In Masar-i-Scharif entsteht nun das größte Feldlager der Bundeswehr weltweit mit 1.700 Mann. In die kongolesische Hauptstadt Kinshasa sollen im Juli 7.80 Soldaten entsandt werden. Damit betrüge die Gesamtzahl deutscher Truppen im Ausland über 7.600 Mann in elf Ländern auf drei Kontinenten und einem Seegebiet. FDP, PDS und Deutscher Bundeswehrverband haben den Einsatz im Kongo heftig kritisiert. Die Mehrheit der Deutschen ist laut Umfrage gegen diese Ausweitung unserer Auslandseinsätze.

Sandrart: Man sollte verstehen, daß in einer globalisierten Welt Bedrohungen nicht mehr unbedingt unmittelbar auftreten, sondern Folge von Instabilitäten außerhalb unseres europäischen Sicherheitsraumes sein können. Denen heißt es vor Ort zu wehren, ehe die Instabilität zu uns kommt.

Sie meinen also kurz gesagt, "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt"?

Sandrart: Das ist natürlich etwas verkürzt, trifft aber den Punkt: Unsere Sicherheitsinteressen liegen weitgehend außerhalb unserer Hemisphäre.

Der Asien- und Afrika-Experte Peter Scholl-Latour sieht das anders. Er meint: "Man stützt den proamerikanischen Vasallen Karsai ab und erlaubt den Energiekonzernen der USA einen lukrativen und relativ sicheren Abtransport von Erdöl und Petroleum in Richtung Indischer Ozean. Dafür wird das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel gesetzt."

Sandrart: Natürlich gibt es bei diesen Engagements immer auch spezielle amerikanische Aspekte. Dennoch geht eine Gefahr wie der Terror uns alle an. Und es kommt noch etwas hinzu: Wir sind Mitglied der Europäischen Union. Es gibt wohl kein Land, das solch ein Interesse daran hat, daß diese ein Erfolg wird, wie Deutschland. Mit unserer kontinentalen Mittellage und mit unserer Vergangenheit müssen wir ein Vertrauensanker in Europa werden. Wenn also die Europäer gemeinsamen beschließen, ein Einsatz wie der im Kongo sei notwendig, dann sollte sich Deutschland nicht selbst ausschließen.

Die klassische Lehre ist, der Einsatz der Armee folgt nationalen Interessen. Sie definieren nun, Vorrang haben politische Verpflichtungen wie die Europäische Union.

Sandrart: Interessen sind nicht mehr so zu verstehen wie noch im 19. Jahrhundert. Internationale Verflechtungen - Wirtschaft, Energie, Arbeit, Soziales, Sicherheit - können von einem Land, das von dieser Verflechtung lebt, nicht ignoriert werden und es kann ihnen nicht allein begegnen. Deshalb ist Europa unser nationales Interesse.

Der Sicherheitsexperte und ehemalige stellvertretende Nato-Oberbefehlshaber Gerd Schmückle warnt: " Wir bringen uns in eine Zwangslage, daß andere nur auf den Knopf drücken müssen, und wir können dann in alle Welt unsere Soldaten schicken."

Sandrart: Natürlich muß jeder Fall genau abgewogen werden. Ein Automatismus darf sich aus dieser Argumentation natürlich nicht ergeben. Man muß auch den Mut haben, "Nein" zu sagen. Aber den vorausschauenden Charakter einer abstrakten Gefahrenanalyse in einer abstrakten Welt nicht zu erkennen, halte ich für etwas einfältig. François Mitterrand hat das treffende Wort gesprochen, nach Ende des Kalten Krieges befänden wir uns wieder in der "alten Weltunordnung".

"Ihr seid deutsche Soldaten! Seid stolz darauf!"

Warum folgen nur wir Deutschen dieser abstrakten Definition von nationalen Interessen? Richard von Weizsäcker etwa berichtet, als sich 1993 das "Weimarer Dreieck" traf, sprach Lech Walesa über polnische, François Mitterrand über französische Interessen. Allein von Weizsäcker versuchte "über das gemeinsame 'Weimarer Dreieck' zu sprechen".

Sandrart: Es stimmt, Deutschland ist in dieser Hinsicht so etwas wie ein Solitär. In Osteuropa etwa ist man noch viel stärker als bei uns auf seinen Nationalstaat fixiert. Was man auch verstehen kann, haben sie ihre nationale Unabhängigkeit doch erst vor einigen Jahren errungen. Man muß ihnen Zeit geben, diesbezüglich noch dazuzulernen.

Wie kommen wir darauf, daß ausgerechnet unser "solitärer" Weg allen anderen überlegen sein soll?

Sandrart: Ich habe 25 Prozent meiner Laufbahn in integrierten oder Nato-nahen Strukturen gedient. Dort lernt man, daß der gemeinsam gefaßte Beschluß am Ende doch allen nationalen Lösungen überlegen ist. Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker nannte dies den "europäischen Mehrwert".

Die Bundeswehr ist also nicht mehr die Nationalarmee Deutschlands, sondern Kontingent im Instrumentarium der westlichen Staatengemeinschaft?

Sandrart: Nein, ich habe als Inspekteur des Heeres immer versucht, der Armee ein klares nationales Bewußtsein zu geben: "Ihr seid deutsche Soldaten! Seid stolz darauf!" Aber: Wir sind - zum ersten Mal in unserer Geschichte und zum Glück - integriert in ein Bündnis. Wir sollten "patriotische Kosmopoliten" sein. Ich glaube übrigens, daß die Bundeswehr heute bewußter deutsch ist, als sie es vor 1989 war.

"Tapfer kämpfen um den Feind von Deutschland fernzuhalten"

Inwiefern?

Sandrart: Weil die gemeinsamen Operationen der westlichen Verbündeten mehr den Charakter einer Koalition als eines Bündnisses haben. In Koalitionen tritt die jeweilige Truppe eher als Abgesandter einer Nation in Erscheinung als in einem integrierten Großbündnis wie der Nato.

Warum kommt es dann nicht zu einer Wiederentdeckung der nationalen Tradition der Bundeswehr, wie wir sie von Engländern, Franzosen, Russen und Amerikanern kennen? Statt dessen erleben wir seit den neunziger Jahren mit dem Ausräumen von Traditionsräumen oder der Umbenennung von Kasernen eine zunehmende Distanzierung von unserer nationalen Militärgeschichte.

Sandrart: Ein berechtigte Frage. Bei aller Kritik, die auch ich vor allem gegenüber dem Führungskorps der Wehrmacht übe, sehe ich doch, daß unsere Zeit den Fehler macht, mit unangemessenen Maßstäben ein moralisches Urteil zu fällen, und man sich nicht in die Zeit versetzt, über die man richtet. Der militärische Widerstand gegen Hitler steht bei mir persönlich ganz oben, dennoch würde ich keinen Stein nach einem Soldaten werfen, der tapfer an der Ostfront mit dem Ziel gekämpft hat, die Sowjets von Deutschland fernzuhalten, solange er sauber gekämpft hat. Insofern bin ich manchmal traurig über das, was bei uns mitunter geschieht. Der Umgang mit unserer Geschichte - die auch ihre sehr dunklen Seiten hat - scheint mir oftmals mit mangelnder Liebe und mit mangelnder Souveränität vonstatten zu gehen.

Der eben verstorbene General Johann Adolf Graf von Kielmansegg (JF 23/06) definierte sein Verständnis von Tradition trotz aller Brüche in einem Interview mit dieser Zeitung einmal so: "Ich habe in meinem Leben drei Staaten gedient, aber immer einem Vaterland."

Sandrart: Ich möchte mit einer Anekdote erwidern: Als ich einmal als Inspekteur Helmut Kohl zu einem Treffen mit Mitterrand begleitet habe, ließen die Franzosen ein Regiment paradieren, das als vom Kardinal Richelieu im 17. Jahrhundert gegründet vorgestellt wurde. Nun vergegenwärtigen Sie sich, welche - zum Teil sehr blutigen Brüche - die französische Geschichte seitdem gehabt hat. Dennoch existiert dieses Regiment immer noch und paradiert immer noch und sieht sich immer noch in der Tradition seiner Gründung! Was gäbe es in Deutschland für Diskussionen, wenn jemand bei uns versuchen würde, solch eine Tradition zu beleben? Nicht auszudenken! Da haben uns Franzosen, Briten, Amerikaner vieles voraus, die mit ihrer Vergangenheit besser umzugehen wissen.

Ihr Sohn ist ebenfalls Offizier der Bundeswehr. Haben Sie sich bemüht, für ihn diese Wunde zu schließen, oder haben Sie die Last einfach weitervererbt?

Sandrart: Bei ihm habe ich das schon versucht, aber ich kann unsere Geschichte nicht heilen. Ich selbst habe nach meiner Pensionierung einmal Auschwitz-Birkenau besucht. Das war der schwerste Tag meines Lebens. Wir sind nun mal eine gebrochene Nation.

"Ohne Deutschland gäbe es Europa gar nicht"

Der Kultur-Chef des "Spiegel", Matthias Matussek, hat mit seinem jüngsten Buch "Wir Deutsche" eine neue Patriotismus-Debatte in den Feuilletons angestoßen. Matussek schrieb über den Umgang mit diesem Bruch in einem Aufsatz für die "Welt am Sonntag": "Nach dieser Formel ist unser Land nicht zukunftsfähig, denn es ist jenseits der Holocaust-Gedenkkultur gedächtnislos bis zur Schwachsinnsgrenze."

Sandrart: Da kann ich Herrn Matussek nur beipflichten. Wir brauchen keinen "Hurrapatriotismus", aber wir brauchen ein Bewußtsein unser selbst. Daß wir das nicht haben, macht uns unsicher. Ich habe mich nie geschämt, Deutscher zu sein. Denn bei all dem Schrecklichen, was von uns ausgegangen ist, hat Deutschland doch auch Unendliches für Europa geleistet. Wir haben Kultur empfangen, aber auch gegeben. Ohne Deutschland gäbe es Europa gar nicht. Das müßte wieder in das Bewußtsein unserer heutigen Generation treten.

 

Hans-Henning von Sandrart, General a.D. Der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Europa Mitte (1987 bis 1991) und Inspekteur des Heeres (1984 bis 1987) entstammt einem alten preußisch-hugenottischen Adelsgeschlecht, dessen Soldatentradition bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. 1956 trat der Artillerist in die Bundeswehr ein, 1991 nahm er als Vier-Sterne-General seinen Abschied. Geboren wurde von Sandrart 1933 in Argentinien.

 

weitere Interview-Partner der JF


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen