© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

Bewahren und überliefern
Sudetendeutscher Tag: Traditionelles Pfingsttreffen in Nürnberg / Nachwuchs im Blick / Streit um das Motto "Vertreibung ist Völkermord"
Johannes Schmidt

Bereits im Vorfeld hatte der diesjährige Sudetendeutsche Tag, der traditionell am Pfingstsonntag stattfindet, für deutschlandweite Schlagzeilen gesorgt. Der Historiker Martin Schulze Wessel hatte in der vergangenen Woche in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung das Motto "Vertreibung ist Völkermord" scharf angriffen und damit eine heftige Diskussion ausgelöst (siehe Interview mit dem Völkerrechtler Alfred de Zayas auf dieser Seite).

Doch spätestens als am Pfingstsonntag die Glocke von Iglau die Hauptkundgebung zum 57. Sudetendeutschen Tag im Nürnberger Messezentrum einläutete, fanden die in der Halle versammelten Sudetendeutschen jenseits allen Streites zu sich selbst. Zu den Höhepunkten der zahlreichen Veranstaltungen unter dem Motto "Vertreibung ist Völkermord - Dem Recht auf die Heimat gehört die Zukunft" zählte die Rede des Schirmherrn der sudetendeutschen Volksgruppe, des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CDU). Er rief dazu auf, "das furchtbare Unrecht der Vertreibung nicht zu vergessen", sondern alles zu tun, was möglich sei, um dieses Unrecht "in unserer Zeit und für unsere Zeit in Europa zu überwinden". Mit allem Nachdruck setzte sich Stoiber in der Frankenhalle für die Errichtung des Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin ein. Der Abbau von Barrieren zwischen den Völkern werde aber schwierig, wenn die Benesch-Dekrete - mit denen Vertreibung und Entrechtung der Sudetendeutschen begründet wurden - "wie eine Art Eiserner Vorhang zwischen uns stehen".

Der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der CSU-Europaabgeordneten Bernd Posselt, verwies auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Die Vertreibung der Sudetendeutschen sei nicht ein Nebenprodukt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewesen, sondern "ein eiskalt geplantes Nachkriegsverbrechen". Leidenschaftlich setzte sich der Bundesvorsitzende mit der Kritik am Leitwort des Sudetendeutschen Tages auseinander. Mit dem Einsatz für eine weltweite Rechtsordnung, werde allen Völkern gedient.

Abordnung von Vertriebenen aus der Schweiz

Posselt sprach, nicht zuletzt im Blick auf das vielseitige Engagement der Enkelgeneration für die Volksgruppe, von einem "sudetendeutschen Wunder". So bildete denn auch die Frage nach der Zukunft der Traditionen und Erinnerungen und nach dem Fortbestand der Sudetendeutschen einen Schwerpunkt des Treffens. In einer von ihrem Bundesvorsitzenden Robert Wild verlesenen Erklärung verwies die Sudetendeutsche Jugend (SdJ) auf die "veränderten Vorzeichen" in Tschechien. 17 Jahre nach der samtenen Revolution seien in vielen Bereichen Euphorie und Enthusiasmus der ersten Jahre verflogen. Statt großer Visionen prägten heute viel persönliches Engagement, wie in Begegnungen und Patenschaften, den Weg zu gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Für ihre Arbeit brauche die SdJ auch moralische Unterstützung.

Die generationenübergreifende Arbeit der Sudetendeutschen wurde auch am Rande der Veranstaltung deutlich. Etwa bei der Familie Kindl aus Ingolstadt, die erst 1969 nach Jahren der Unterdrückung aus Falkenau im Sudetenland ausgewiesen wurde und in der sich drei Generationen vom 70 Jahre alten Großvater bis zur 13 Jahre alten Enkelin für die Landsmannschaft engagieren.

Besondere Beachtung fand auch die 130 Personen umfassende Abordnung von Sudetendeutschen aus der Schweiz. Sie bekundeten mit einer großen Schweizer Fahne ihre Verbundenheit mit der Heimat der Väter. Schätzungsweise 4.500 Schweizer sudetendeutscher Herkunft gibt es, von denen bisher etwa 670 in der künftigen Sudetendeutschen Landsmannschaft im Nachbarland erfaßt sind. Sie zeigten, daß die Sudetendeutschen, ob im Streit oder bei der Versöhnung, nicht alleine ein Anliegen der Bundesrepublik sind.


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