© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

"Den Palästinensern geht es schlecht"
Naher Osten: Die Deutsch-Arabische Gesellschaft diskutierte über die israelische Siedlungspolitik / Kritik am Mauerbau
Arnold Steiner

Letzte Woche fand in Kiel eine politisch eigentlich nicht ganz korrekte Veranstaltung statt: "Israelische Siedlungspolitik in Palästina" lautete ihr Titel, eingeladen hatte die FDP-nahe Friedrich Naumann Stiftung in Kooperation mit der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG).

Um letztere war es ziemlich ruhig geworden, seit nicht mehr der umtriebige Ex-FDP-Vize Jürgen Möllemann an der DAG-Spitze steht, der am 5. Juni 2003 mit dem Fallschirm tödlich verunglückte. Zunächst führte Wolfgang Kubicki, Chef der FDP-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein und DAG-Vizepräsident, in das Thema des Abends ein. Der einstige Möllemann-Vertraute machte deutlich, wie sich durch die Siedlungspolitik und den Konflikt zwischen Palästina und Israel ein ganzes Land im Dauerausnahmezustand befindet.

Menschen würden so zum Spielball der Politik und müßten trotzdem in der undurchsichtigen Lage versuchen zu überleben und ihre Familien zusammenzuhalten. Aus diesen ganz menschlichen Gründen, so stellte Kubicki klar, ergebe sich die Notwendigkeit, auch mit der derzeitigen palästinensischen Regierung der radikal-islamistischen Hamas zu reden und zu verhandeln. Es könne nicht sein, daß durch die momentane Blockadehaltung von Israel, den USA und der EU die Zahlungsunfähigkeit eines Landes erzwungen werde. Erfreulich sei allerdings, daß im Rahmen von Städtepartnerschaften wie etwa zwischen Köln und Bethlehem Hilfe organisiert werde.

Danach übergab Kubicki das Mikrofon an Nikolai Donitzky von der DAG, der einen kurzen Abriß über die bisherige Entwicklung seit der Gründung Israels im Jahr 1948 gab. Auch er schilderte eindringlich die Lebenssituation der Betroffenen, durch deren Land eine Mauer gezogen wird, die keine Rücksicht auf persönliche Schicksale oder Existenzen nimmt. Weiterhin führte Donitzky aus, daß durch das Einfrieren der palästinensischen Gelder und die Isolation sowohl das Einkommensniveau als auch die Wirtschaftsleistung um etwa 30 Prozent sinken werden und dadurch zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung unter die Armutsgrenze rutschen.

Boykott der Hamas-Regierung ist "absurdes Theater"

Mittelpunkt des Abends war jedoch der Vortrag von Abdul-Rahman Alawi. Alawi ist Historiker und Politologe und war von 1983 bis 1994 Leiter der PLO-Büros in den Niederlanden, Norwegen und Dänemark. Auch war er stellvertretender Leiter der Informationsstelle Palästinas in Bonn. Seit 1994 ist er als freier Journalist und Korrespondent der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa tätig. Alawi stellte zu Anfang seines Vortrages fest, daß es wenig Gutes über die Entwicklung des Friedensprozesses zwischen Israel und Palästina zu berichten gebe und daß auch die von Kubicki erwähnten lokalen Hilfen keine Lösung für das Gesamtproblem seien. Alawi bezeichnete es als "absurdes Theater", wie mit der Hamas und den Palästinensern umgegangen werde. Die westliche Welt wollte eine demokratisch gewählte Regierung, ist aber nun mit dem Ergebnis nicht zufrieden.

Alawi spannte den Bogen aber noch weiter. Er erklärte, daß der gesamte Nahe Osten insgesamt einen Unruheherd darstelle und daher wenige Impulse für ein Wiederaufleben der Friedensbewegung zu erwarten sind. Aber selbst dort, wo Fortschritte gemacht werden, seien die Israelis nicht in der Lage, angemessen zu agieren. So sei zwar der Gaza-Streifen von israelischen Siedlern geräumt, faktisch kontrolliere das israelische Militär aber weiterhin alle Bereiche und mache so ein normales Leben unmöglich.

Anhand von Schaubildern und Zitaten, die einen Überblick über den Zeitraum vom Allon-Plan 1967 bis zu den Verhandlungen vom Camp David im Jahr 2000 gaben, versuchte Alawi zu belegen, daß es den Israelis in erster Linie darum ginge, die Palästinenser "auszudünnen" und immer mehr Land zu annektieren. Für einen Frieden gebe es in Wirklichkeit "kein Konzept", befand Alawi. Daher sei ein Ende der Eskalation nicht abzusehen. Als maßgebliches Kriterium für eine mögliche Befriedung sieht Alawi eine enge Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern, da man nur so zu Ergebnissen kommen könne, die für beide Seiten akzeptabel wären. Angesichts der momentanen Situation sehe er jedoch wenige Chancen, da selbst in Teilen der arabischen Welt die Hamas-Regierung auf Ablehnung stoße, wie beispielsweise in Ägypten oder Jordanien.

Die Israelis haben Angst, daß es ihnen schlechtgeht

In der anschließenden Diskussion bekräftigte Alawi, daß er einen großen Staat befürworte, in dem Israelis und Palästinenser friedlich zusammenleben könnten. Diese Möglichkeit sehe er als die praktikabelste, da in allen Teilen Israels sowohl Israelis als auch Palästinenser leben und eine Trennung nicht ohne großes Blutvergießen möglich sei. Wie realistisch eine solche Möglichkeit jedoch ist, ließ Alawi offen.

Ins Bewußtsein müsse man sich immer die momentane Situation rufen, die Alawi so charakterisierte: "Den Palästinensern geht es schlecht, die Israelis haben Angst davor, daß es ihnen schlechtgeht." Diese Diskrepanz sei aber nur mit Verhandlungen zu lösen und nicht mit einem "völkerrechtswidrigen" Mauerbau durch die Israelis.

Informationen über die Deutsch-Arabische Gesellschaft im Internet: www.d-a-g.de


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