© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

Ein Klotz für das 20. Jahrhundert
Literaturmuseum der Moderne eröffnet
Wolfgang Saur

Großer Bahnhof im württembergischen Marbach. Am Dienstag dieser Woche wurde das Literaturmuseum der Moderne von Bundespräsident Horst Köhler festlich eröffnet. Mit dem klotzigen Bau des englischen Architekten David Chipperfield hat der "Hügel der Nationalliteratur" nahe Stuttgart jetzt einen markanten vierten Komplex erhalten - neben dem schloßartigen Schiller-Nationalmuseum, dem Deutschen Literaturarchiv und seinem Kollegienhaus.

Damit hat sich die Schillerhöhe zu einem ganzen Ensemble von Bauten für die literarische Bildung und germanistische Forschung verzweigt - als wissenschaftliches Dokumentationszentrum außerhalb von Unis und Landesbibliotheken die wichtigste Einrichtung dieser Art, doch auch als weltweit einziges Literaturmuseum. Zusammengeführt hat man hier 1.200 Textnachlässe, darunter 250 aus Gelehrtenhand; dazu kommt eine Spezialbibliothek von 750.000 Bänden.

Diese Erfolgsgeschichte geht zurück auf den Schwäbischen Schillerverein (seit 1835), seit 1946 Deutsche Schillergesellschaft. Pietätvoll hat man am Neckar das dingliche und ideelle Erbe des großen Klassikers bewahrt. Zum 100. Todesjahr 1905 wurde in dessen Geburtsstadt ein palastartiges Museum (1903) zwischen Weinbergen als aufwendige Archiv-, Gedenk- und Forschungsstätte erbaut. Erst Stiftungen seit 1930, zumal des Cotta-Verlags 1952, erweiterten den Archivbestand ins Gesamtdeutsche, was 1955 zur Gründung des Deutschen Literaturarchivs führte.

Das bezog 1973 einen - von Hans Scharoun ausgelobten - modernen Betonbau, der fächerförmig in die Landschaft ausgriff und sich funktional wie ästhetisch neu gegenüber dem benachbarten, idealistischen Prunkbau definierte. Unterirdische Magazine öffneten sich für die herbeiströmenden Stiftungen; so wurden 1980 und 1994 Erweiterungsbauten nötig, auch für die Studierenden selbst. Seit 1973 wird der Altbau nur mehr als eigentliches Museum genutzt, die Schwäbische Schule permanent gezeigt, während durch die übrigen Säle vielbeachtete Jahresausstellungen zogen: literarische Ereignisse, deren Kataloge zu germanistischen Standardwerken aufrückten.

Das Anwachsen von Materialien, Planstellen, Forschungsaktivitäten machte einen extra Literaturbau fürs 20. Jahrhundert nötig, den jetzt David Chipperfield (der in Berlin das Neue Museum aufbaut) 2004/05 in nur 21 Monaten für 11,8 Millionen Euro errichtet hat. Der in seiner Baugestalt beeindruckende, transparente Kubus mit Hanglage ist großzügig umgeben von Loggien und Terrassen. Das klassische Grundmotiv von Säule und Gebälk ließ Chipperfield filigrane Pfeilergalerien um den Bau ziehen, die Loggientiefe dabei staffelnd; abfallende Terrassen fügen den Bau der Landschaft ein und beziehen ihn glücklich auf seinen klassizistischen Nachbarn.

Desto größer der bilderstürmerische Schock des Innern, wo man jede Farblichkeit mied. Allenthalben dominieren zyklopische Betonmassen, durchbrochen nur von kostbarem Holz aus Brasilien. Widerwillig steigt man ins gruftartige Untergeschoß, das die neuen Archivräume und 1.000 Quadratmeter Ausstellungsflächen beherbergt. Im Zentralraum werden jetzt 1.300 Objekte dauernd präsentiert; daneben steht ein Multimediaraum zur Verfügung; der dritte Saal dient Sonderausstellungen.

Aus der Fülle der kommenden Veranstaltungen ragt hervor eine Ausstellung über Gottfried Benn (ab 7. Juli) samt zweier Tagungen zu "Benns Modernität" (7. bis 9. Juli) und "Benns Nietzsche" (26. August).

Weitere Informationen: Deutsches Literaturarchiv/Schillergesellschaft. Internet: www.dla-marbach.de 


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