© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

Die Welt zu Gast bei Ausgeschlossenen: Skurriles Brevier für den Fußballfan
Rechteckiges Leder trifft
Christoph Martinkat

Nun ist es soweit, die Fußball-WM in Deutschland beginnt. Ein Umstand jedoch wirft weiterhin Fragen auf: Wo eigentlich bleiben die Gäste? In Berlin jedenfalls wurden bislang kaum WM-Fans gesichtet, weder die "heißblütigen" aus Brasilien noch die "hartgesottenen" aus Old England. Ganz zu schweigen von jenen aus Togo oder Trinidad & Tobago, welchen die hiesige Presse in Ermangelung von Informationen bislang keinen passenden Beinamen geben konnte. Klar, einige Italiener gibt es, dazu Polen, Tschechen, Holländer und Amerikaner. Doch zählen sie nicht, da sie entweder hier wohnen oder stinknormale Berlin-Touristen sind. Muß also das bravbiedere WM-Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" in ein vollkommen neues, noch sinnfreieres umgetauft werden, etwa: "Der Italiener an der Ecke zu Gast bei sich selbst"?

Daß WM-Karten für echte Fußballfans gar nicht existieren, dürfte ein Grund dafür sein, warum die Straßen in Berlin und anderswo fußballfreien Zonen gleichen. Das wiederum sollte "Die Welt zu Gast vor dem Fernseher" zum wahren Motto der WM werden lassen. Oder sind die vereinten Fußballfreunde dieser Welt lediglich eine Fata Morgana der Fifa? Oder gar die ganze Fußball-WM? Wissen kann man das nicht, denn offenbar ist kaum ein Fußballfan wirklich im Stadion dabei. Diese Tatsache nährt die Vermutung, daß im TV oder per Großleinwand lediglich virtuelle Fußballkost serviert wird, mit all den kickenden Stars und exotischen Fans, also das ganze WM-Hokuspokus in Playstation-Manier.

Das Leder - nicht zum Treten, sondern in der Hand

Doch selbst wenn es so wäre, machte das herzlich wenig. Schließlich ist die mediale Rundum-Versorgung gesichert, ob nun beim TV-Heimspiel im Ohrensessel oder der Auswärtsschlacht beim "Italiener" von nebenan. Dem eingefleischten Fan, dem das zur Anbetung des Götzentempels "Fußball-WM" allein noch nicht reicht, sei hiermit das in Leder gebundene Bändchen "Fußball unser. Das WM-Gästebuch" empfohlen (zum "Fußball unser", Teil 1, siehe JF 12/06). Dort werden sie alle aufgeführt und nicht ohne Hintersinn kommentiert, die 31 Gäste-Teams und potentiellen Gegner der DFB-Auswahl. Zu WM-Neuling Togo etwa finden wir, daß der bekannteste Fußballklub dort Semasi Sokodé heißt und Weltenbummler Rudi Gutendorf noch niemals in Togo als Trainer gearbeitet hat. Unter der Rubrik "Du bist Togo" wird Nationalspieler Mohammed El-Sharif Touré vorgestellt, der im Friesischen bei Concordia Irrhove in der siebenten Liga kickt.

Ob Touré und seinen Mannschaftskollegen die Nationalhymnensequenz "Sieg oder Tod" fußballerische Flügel verleiht, darf durchaus bezweifelt werden. Nicht jedoch der kulinarische Genuß, den die Lieblingsspeise der Mannschaft bereitet: Kaninchen mit frischem Ingwer und Knoblauch, dazu Spinat. Daß das saudiarabische Nationalgericht Kabsa, pikantes Lamm mit Reis, diesem Leckerbissen standhält, ist eher unwahrscheinlich. Überhaupt lernen wir im "Gästebuch", daß das Leben in Saudi-Arabien irgendwie anders läuft, zumal, wenn es sich um Frauen und nicht um Scheichs handelt. Unter der Rubrik "Du bist Saudi-Arabien" wird Hanadi Hindi, die einzige Pilotin des Landes vorgestellt, die vor dem Problem steht, nicht so recht zu wissen, wie sie morgens zur Arbeit kommen soll. Schließlich herrscht bei den Saudis absolutes Autofahrverbot für Frauen.

Hymnen und Schlachtrufe - ein Angriff bei Freunden?

Vielleicht bringt das die Grünen hierzulande auf die Palme. Ein wahrer Fan der DFB-Kicker hingegen hat ganz andere Sorgen. Zum Beispiel jene, daß immer wieder behauptet wird, WM-Favorit Brasilien sei einfach unschlagbar. Da wirkt es geradezu wie Balsam für die geschundene Seele, daß der beste brasilianische Fußballer eigentlich ein Deutscher war, zumindest ein Deutschstämmiger. Arthur Friedenreich hieß er und gilt bis heute als der ultimative Stürmer vom Zuckerhut, noch vor Pelé und noch weit vor "kleines dickes" Ronaldo.

Echtes Konfliktpotential könnten da schon eher die markigen Worte der mexikanischen Nationalhymne heraufbeschören: "Mexikaner, zum Kriegsgeschrei/ Den Stahl fest in der Hand". Und auch die Holländer, so zeigt das Gästebuch, mögen es gern martialisch. Vor allem dann, wenn es um das aktuelle Gastgeberland geht. Kein Wunder, besingen sie doch in ihrer Nationalhymne, daß sie wahrhaft von "deutschem Blut" sind. Wirklich, ein echt witziges Völkchen, diese Holländer, bei denen beispielsweise der Schiedsrichter in einer Mischung aus Bescheidenheit und Schalk einfach "Arbiter" genannt wird. Diesmal erscheinen die Fans der Oranjes - virtuelle WM hin oder her - mit Wehrmachtshelmen aus Plastik. Auf denen stehen Schlachtrufe wie "Jetzt geht losssss" und "Aanvalluuuh", was soviel wie "Angriff" heißen soll. - Von wegen, die Welt zu Gast bei Freunden.

Fußball unser. Das WM-Gästebuch. Von Eduard Augustin, Philipp von Keisenberg und Christian Zaschke. Hardcover mit Ledereinband und drei Lesebändchen in Schwarz, Rot und Gold. SZ Edition, München 2006, 240 Seiten, 18 Euro.

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