© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Tolerierte Grenzüberschreitungen
Gewalt I: Die Linke ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, den politischen Gegner an einer Meinungsäußerung zu hindern
Peter Freitag

Der "Fall Potsdam" und die darauf abzielenden Äußerungen des ehemaligen Regierungssprechers Heye über tatsächliche oder vermeintliche "No-go-areas" und "national befreite Zonen" in Mitteldeutschland haben das Thema "rechte Gewalt" kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in den Blick der Medien gerückt. Die Debatte der veröffentlichten Meinung lief auf Hochtouren und klang erst wieder etwas ab, als allmählich klar wurde, daß Faktenlage und Empörungsinszenierung immer weniger miteinander korrespondierten.

Vor allem jedoch wurde die Meldung des Bundesverfassungsschutzes kaum registriert - geschweige in die politische Debatte eingebaut -, wonach die Zahl linksextrem motivierter Gewalttaten innerhalb eines Jahres um über 70 Prozent anstieg (JF 22/06). Dafür werden von den Sicherheitsbehörden schwerpunktmäßig vor allem sogenannte "Antifaschisten" verantwortlich gemacht. Kaum Erwähnung findet dabei jedoch die Tatsache, daß von diesen Tätern ebenso bestimmte Zonen oder Räume beansprucht werden, in denen Mißliebige nach eigenem Bekunden nichts zu suchen haben; darin durchaus vergleichbar mit dem Gehabe rechtsextrem motivierter Schlägergruppen, die ihr Revier "ausländerfrei" erklären.

Unterschiedlich sind jedoch die Vorgehensweisen, denn die "Antifas" gehen weniger willkürlich vor und verbreiten meist ideologisch unterfütterte Selbstbezichtigungen. Spontane Gewalt gegen Einzelpersonen kommt aber ebenso vor: Am 1. Juni etwa griffen Mitarbeiter der taz Verteiler der JUNGEN FREIHEIT vor der Redaktion der taz tätlich an. Mittlerweile ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen die Angreifer (JF 24/06). Daß solche Übergriffe kein größeres Medienecho oder öffentliche Empörung hervorrufen, liegt zum einen an der hierzulande verinnerlichten Devise, daß "links" per se nicht so schlimm sein kann wie "rechts", zum anderen an der Identität der Opfer; deren Paradigma, weswegen sie behelligt werden, tritt nicht so stark als ein solches in den Vordergrund, wie das des Farbigen in einer mitteldeutschen Plattenbausiedlung, um ein gängiges Klischee aufzugreifen. Hinzu kommt nicht selten jene unverhohlene heimliche Sympathie mit der Tat, wenn sie sich nur gegen die Richtigen (meist also die "Rechten") richtet.

Mittels Gewalt politisch Andersdenkenden bestimmte Rechte - am häufigsten das der Rede-, Presse- oder Versammlungsfreiheit - zu nehmen, ist für radikale Linke eine Selbstverständlichkeit. Auf dem Höhepunkt der 68er Bewegung haben sich dabei Vorgehensweisen und Rituale herauskristallisiert, die noch heute im Prinzip erfolgreich Anwendung finden, selbst wenn die Vorlesungsstörung nicht mehr an der Tagesordnung ist. Wohl aber wird die Verhinderung von Vorträgen mißliebiger Personen auf ähnliche Weise betrieben. Entweder durch Blockade des Veranstaltungsortes oder durch lautstarke Störungen während der Veranstaltung. Dabei geht es nicht um die Einforderung eines Austauschs konträrer Meinungen, sondern um die Unterbindung der jeweils anderen. Meistens sind bestimmte Hochschulstädte, die als "klassisch" links gelten, Schauplätze solcher Aktionen. Besonders dem niedersächsischen Göttingen eilt dieser Ruf voraus, durchaus zu Recht:

Im Januar 1999, auf dem Höhepunkt der Unterschriftensammlung der Union gegen die doppelte Staatsangehörigkeit, verhinderten Linke einen Vortrag des damaligen CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble im Hörsaalgebäude der Universität. Nach eineinhalbstündigem Tumult mußte der Politiker unverrichteter Dinge abziehen, eine Räumung des Saales durch die Polizei war als unverhältnismäßig abgelehnt worden. Die örtliche Antifa resümierte zufrieden: "Rassisten haben hier keine Ruhe". Am selben Ort gut zwei Jahre später kann Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU) nur nach einem Polizeieinsatz zu Wort kommen, weil wieder zunächst erfolgreich die Veranstaltung "gesprengt" worden war. Bei einer Veranstaltung mit seinem niedersächsischen Amtskollegen Uwe Schünemann im Januar 2005 bot sich ein ähnliches Bild. Unter dem Motto "Schünemann keinen Raum geben" versuchte die "Antifaschistische Linke International", den Vortrag zu unterbinden.

Daß in Göttingen nicht jeder einfach reden darf, bekam auch der Historiker Jörg Friedrich im März 2003 zu spüren. Die Buchhandlung, in der er aus seinem Bestseller "Der Brand" lesen wollte, wurde von einer Gruppe Linker blockiert, die Besucher außerdem tätlich angriffen. Tenor der "Antideutschen": Friedrich betreibe Geschichtsrevisionismus, indem er Deutsche als Opfer darstelle; dies bleibe in Göttingen nicht ohne Widerspruch. Im Oktober 2003 sagte Martin Walser eine Lesung in der Stadt ab, nachdem linke Gruppen zu Protesten gegen den vermeintlichen "Antisemiten" aufgerufen hatten; nach den einschlägigen Erfahrungen wollte sich Walser solchen Zumutungen nicht aussetzen.

Fanden einige der beschriebenen Beispiele auch Eingang in die örtliche oder sogar überregionale Medienberichterstattung, wurden sie jedoch als Einzelfälle gewertet; irgendwie unschön, aber eben nicht zu ändern, so ein häufiger Tenor. Anlaß zu einer grundsätzlichen Debatte über rechtsfreie Räume und eigenmächtig zu politisch "befreiten Zonen" erklärte Orte waren sie nicht.

Das hängt auch mit der Art dieser linken Spielart des "Drucks von der Straße" zusammen. Mit stereotypen Begründungen in einschlägigen Publikationen gelingt es den Tätern häufig, Solidarisierungseffekte auszulösen, die bis in die gemäßigtere Linke reichen. Das gelingt vor allem, wenn sich die Aktionen gegen vermeintliche oder tatsächliche "Rechte" richten. Wer - so die naheliegende Intention - hat schon etwas gegen "No-go-areas" für "Nazis", "Rassisten" oder "Antisemiten"?

In anderen Fällen werden Vorgehensweisen, selbst wenn sie für die Betroffenen mit materiellen Schäden oder Einschüchterung verbunden sind, von den Tätern gern verniedlichend als "Besuch", "Gruß" oder kleinerer "Trouble" bezeichnet. Ähnlich der "Spaßguerilla" der sechziger Jahre verbindet man dabei politischen Klamauk mit Gewalt.


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