© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

"Deutsche Tugenden selbstbewußt vertreten"
Rumänien: Ein fränkischer Unternehmer berichtet über seine Erfahrungen in dem künftigen EU-Land / Chancen und Risiken
Matthias Schultz

Rumänien und Bulgarien können am 1. Januar 2007 der EU vertragsgemäß beitreten, wenn sie bis Oktober unsere Kriterien erfüllen", erklärte im Mai Erweiterungskommissar Olli Rehn vor dem EU-Parlament in Straßburg. Laut aktuellem EU-Fortschrittsbericht hat Rumänien die Zahl der strittigen Verhandlungskapitel von 14 auf vier reduziert. Rehn verlangte aber ein deutlicheres Vorgehen gegen Korruption. Der Abschlußbericht wird für den 26. September erwartet. Ein deutscher Unternehmer schilderte der JF seine eigenen Erfahrungen.

Herr Kaltenecker, Sie sind seit Jahren in Rumänien engagiert. Wie bewerten Sie die aktuelle Wirtschaftslage?

Kaltenecker: Rumänien ist erfolgsorientiert und investitionsbereit. Es gibt eine unwahrscheinlich große Aufbruchstimmung, vergleichbar vielleicht mit Deutschland nach 1945.

Welche Probleme treten dabei auf?

Kaltenecker: In Rumänien gibt es eine soziale Schere, entweder superreich oder bitterarm. Eine Gruppe aus Handwerkern und kleineren Unternehmen bildet sich zwar im Moment heraus, die später einmal den Mittelstand bilden könnten, aber noch wird dort, wer Geld hat, immer reicher, und wer keines hat, eben immer ärmer. Verstärkt wird das Ganze durch die enorme Preisentwicklung bei Grundnahrungsmitteln und Dingen des täglichen Lebens sowie den seit Jahren stagnierenden Löhnen.

Welche Probleme kommen auf uns zu?

Kaltenecker: Eine Fülle, die man bei der EU-Administration so gar nicht erkennt: Das rumänische Volk ist zwar nach Europa, aber auch sehr materiell orientiert. Die meisten haben kaum eine Schamgrenze, wenn es ums Geldverdienen geht. Wenn ein Rumäne die Möglichkeit hat, sich zu bereichern, wird er das tun - und selbst "seine Großmutter verkaufen". Mit unserer westlichen Moral haben wir wenig Chancen gegen diese Mentalität.

Kennen Sie Beispiele?

Kaltenecker: Ich kenne zwei Fälle von Rumänendeutschen, die in Deutschland arbeitslos gemeldet sind und in Rumänien eine Im- und Exportfirma betreiben und so den deutschen Staat ausnutzen.

Das klingt sehr verallgemeinernd ...

Kaltenecker: Aber das ist die Entwicklung nach dem Zerfall des Ceauşescu-Regimes. Es ist eben schwierig, wenn man sieht, welchen Luxus es in anderen Ländern gibt, und man selbst kaum genug fürs Brot hat. Ein ganz großes Problem ist auch die soziale Prostitution, die exorbitante Ausmaße hat. Junge Frauen lassen sich von Geldleuten in die Disko oder ins Restaurant ausführen - sie bezahlen mit Sex dafür. Die Aids-Rate steigt enorm an. Das alles sind Probleme, die in die EU hineingetragen werden.

Wie sieht es aus mit der Korruption?

Kaltenecker: Es gibt sie in Rumänien in einem Ausmaß, wie wir es uns nicht vorstellen können. Wenn dem Land seitens der EU attestiert wird, daß es sie eingedämmt respektive besiegt habe, muß ich lachen. Hier passiert ohne Korruption nichts. Das beginnt schon bei der Einreise ins Land, wo jeder Zöllner Geld nimmt und fordert. Oder wenn man von der Polizei wegen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten wird. Auch bei Genehmigungen geht ohne Geld gar nichts. Bauland wird in gewissen Kreisen vom Staat regelrecht verschenkt. Im Raum Kronstadt (Braşov/Brassó) kostet der Quadratmeter acht bis 15 Euro. Immobilienkonzerne bekommen ihn für 50 Cent. Drei Wochen später verkaufen sie ihn dann für 30 Euro. Interessanterweise sitzen in diesen Firmen Verwandte eines Senators.

Was unterscheidet Rumänien von den übrigen neuen EU-Staaten?

Kaltenecker: Rumänien ist die Schnittstelle zwischen Abend- und Morgenland. Bis zum Karpatenbogen war das Land einst Teil der k.u.k.-Monarchie, hier wurde Deutsch und Ungarisch gesprochen, eine mitteleuropäische Mentalität war vorhanden - und dahinter türkisches Protektorat. Auch heute noch sind Städte wie Bukarest orientalischer als solche wie Kronstadt.

Haben deutsche Unternehmen aus dieser gemeinsamen Geschichte noch Vorteile?

Kaltenecker: Ja, denn Deutschland wird in Rumänien mit "gut, pünktlich, sauber und qualitativ hochwertig" verbunden. Man stößt immer wieder auf große Sympathien. In Rumänien gibt es den Spruch: "Als die Deutschen gingen, hat uns der Kopf verlassen." In vielen Teilen der Bevölkerung ist der Exodus der Deutschen nach 1989 als etwas sehr Negatives empfunden worden. Sehr viele gute Handwerker, Industriearbeiter und große Teile der Intellektuellen haben das Land verlassen. Diese Lücke ist bis heute nicht geschlossen worden. Für ein deutsches Unternehmen ist es daher einfach, in Rumänien Fuß zu fassen. Wenn wir ein Stellenangebot aufgeben, kommen viel mehr Bewerbungen als etwa bei einem italienischen Unternehmen. Deutsche Waren haben in Rumänien ebenfalls einen sehr hohen Stellenwert, weil man Qualität damit gleichsetzt.

Wie lange kann die deutsche Wirtschaft noch von diesem Image profitieren?

Kaltenecker: Wenn wir so weitermachen, nicht mehr lange. Denn wir alle hier wissen, daß man "deutsch" eben nicht mehr mit hoher Zuverlässigkeit, pünktliche Zahlungen usw. gleichsetzen kann. Hinzu kommt, daß wir es versäumen, Nationalbewußtsein zu zeigen. Ich möchte nicht einem falschen Nationalismus das Wort reden, aber ich finde, wir sollten uns als Deutsche wieder einen gewissen Nationalstolz aneignen. Wir haben positive Eigenschaften, die ich auch für mich reklamiere, die in Rumänien geschätzt werden. Ich habe dort erkannt, daß ich Führungsqualitäten habe, die Leute auf mich hören, meinen Rat suchen, auch innerhalb der Firma die Strukturen akzeptieren. Wenn das die deutschen Tugenden sind, dann sollten wir sie annehmen, nach außen tragen und selbstbewußt vertreten - und nicht in einem falschen Liberalismus uns ständig die Knute des Dritten Reiches überziehen. Damit muß einfach mal Schluß sein drei Generationen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

 

Bernhard Kaltenecker ist geschäftsführender Gesellschafter der in Hallstadt bei Bamberg und Zernescht nahe Kronstadt tätigen Firmen "Europe Solar" und "Historica".

 

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