© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Diabetes, Krebs, Schlaganfall
Gesundheitsstudie: Selbst reiche Amerikaner sind kränker als arme Briten / Auch Deutsche werden immer dicker
Harald Fourier

Deutsche werden immer dicker" oder "Immer mehr Übergewichtige" lauteten letzte Woche die Schlagzeilen, nachdem das Statistische Bundesamt die Ergebnisse der Mikrozensus-Zusatzbefragung 2005 veröffentlicht hatte. 58 Prozent der erwachsenen Männer und 42 Prozent der erwachsenen Frauen sind in Deutschland übergewichtig.

Der Anteil der Menschen mit überflüssigen Pfunden ist im Vergleich zu 1999 (Männer 56 Prozent, Frauen 40 Prozent) sogar gestiegen - trotz "Light"-Produkten und Diät-Kampagnen. Bei den 65- bis 69jährigen Männern mit 74 Prozent und bei den 70- bis 74jährigen Frauen mit 64 Prozent erreichten die Fälle von Übergewicht ihre Spitzenwerte. Bei den 20- bis 24jährigen waren aber auch schon 26 Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen übergewichtig.

Entsprechend dem "Body-Mass-Index" der Weltgesundheitsorganisation (BMI/Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Metern, quadriert) gilt ein 1,80 Meter großer Erwachsener ab 81 Kilogramm als übergewichtig (BMI größer 25). Ab BMI 30 (in dem Fall 97 Kilogramm) gilt man als stark übergewichtig. Dazu zählen in Deutschland 14 Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen.

In den USA ist die Lage noch weit dramatischer. Den Hauptgrund kann jeder New-York-Besucher beobachten: Die Amerikaner erkennt man daran, daß sie einen Pappbehälter mit ihrem "Fast Food" in der Hand tragen, wenn sie durch die Wolkenkratzerschluchten Manhattans stiefeln. Abends sitzen sie dann in Lokalen wie dem "Gallagher's" und lassen sich Steaks auftischen, die so groß sind wie eine Pizza, aber viermal so dick. Vorweg gibt es eine Riesenschüssel Calamares und Käsekuchen als Nachtisch und die Frage "Darf's mehr sein?"

Ist es daher überraschend, daß selbst wohlhabende US-Bürger gesundheitlich nicht besser dran sind als der britische Normalverbraucher? Eine aktuelle US-Studie jedenfalls kommt jetzt zu dem Schluß, daß selbst arme Briten nicht kränker sind als reiche Amerikaner. Die Studie wurde von der Rand Corporation erstellt und im Journal of the American Medical Association (Jama) veröffentlicht. Untersucht wurden etwa 8.000 Personen in beiden Ländern mit vergleichbaren Voraussetzungen wie Einkommen und Bildungsgrad. Ihr Alter lag zwischen 55 und 64 Jahren.

Untersucht wurde die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten. Im Falle der USA wurden nur Weiße europäischer Herkunft untersucht. Latinos und Schwarze waren ausgeschlossen. Das Resultat besagt, daß Amerikaner dieser Altersklasse viel krankheitsanfälliger sind. Und zwar bei Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Herzmuskelentzündung, Schlaganfall, Lungenerkrankung und Krebs.

In beiden Ländern gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Einkommen und dem Bildungsgrad einerseits und dem Krankheitsrisiko andererseits: Wer ärmer ist, ist auch kränker und/oder umgekehrt. Dies gilt in beiden Ländern gleichermaßen. Beispielsweise litten oder leiden vier Prozent der untersuchten Briten an einer Herzmuskelentzündung. Unterteilt in drei Bildungsklassen kommen die Personen mit der längsten Ausbildung mit 3,4 Prozent am besten weg, gefolgt vom Mittelfeld mit 3,6 Prozent. Jene Briten, die am kürzesten die Schule besucht haben, leiden oder litten zu 4,5 Prozent an Herzmuskelentzündung.

Bei den weißen US-Amerikanern lauten die Zahlen 6,7 Prozent, 4,1 Prozent und 4,4 Prozent (Durchschnitt 5,4 Prozent). Ergo: Die Briten mit der kürzesten Ausbildung (4,5) liegen fast gleichauf mit den US-Bürgern mit der jeweils längsten Ausbildung (4,4). Und das ist noch ein verhältnismäßig harmloses Beispiel. Die Krebsgefahr ist in Amerika auch deutlich höher. Diesmal gemessen am Einkommen - in Großbritannien verteilt sie sich auf die drei Schichten wie folgt: 5,9 Prozent (niedriges Einkommen), 5,2 Prozent (mittleres) und 5,5 Prozent (hohes). Das ergibt einen Schnitt von 5,5 Prozent.

Der Durchschnitt bei US-Bürgern mit Krebs beträgt dagegen 9,5 Prozent! Die Zahlenreihe "niedriges, mittleres, hohes Einkommen" sieht wie folgt aus: 9,6 Prozent, 9,6 Prozent, 9,3 Prozent. Selbst der ärmste Brite hat - statistisch gesehen - ein deutlich geringeres Krebsrisiko zu befürchten als ein reicher US-Amerikaner. "Amerikaner berichten von einem höheren Krankheitsgrad als die Engländer - und zwar in den meisten Fällen deutlich höher", heißt es dazu in der Studie. Der Durchschnittswert bei Diabetes ist doppelt so hoch. Ein US-Amerikaner mit geringer Ausbildungszeit hat sogar ein dreimal höheres Diabetesrisiko als ein durchschnittlich gebildeter Brite.

Untersucht wurden auch die individuellen Risikofaktoren wie Rauchen, Trinken, Fettleibigkeit und Übergewicht. Überraschend: Die Briten haben mal mehr, mal weniger die "Nase vorn" - beim schweren Alkoholkonsum sogar deutlich. Nur in einem Risikoverhalten liegen die Amerikaner deutlich an der Spitze: Fettleibigkeit. Die US-Bürger geben auch erheblich mehr für ihre Gesundheit aus. In den USA beträgt der jährliche Pro-Kopf-Betrag 5.274 US-Dollar, während es im Vereinigten Königreich nur 2.164 US-Dollar sind - gemessen an der Kaufkraft, um Wechselkurseinflüsse auszuschließen.

In der untersuchten Personengruppe von weißen US-Amerikanern hatten nur 6,6 Prozent keine Krankenversicherung. Vom reichsten Drittel der untersuchten US-Bürger waren es nur 2,6 Prozent. Im oberen Einkommensdrittel ist der Zugang zur Medizin fast genauso gut wie bei den Briten. Dennoch schneidet das obere Drittel der Amerikaner stets schlechter ab als das britische.

Die Studie bestätigt zwar erneut, daß Armut und Krankheit Hand in Hand gehen. Aber: Wer reich ist, bleibt nur gesund, wenn er auch gesund lebt. Daran sollten - angesichts des Mikrozensus 2005 - auch die Deutschen denken.

Die Ergebnisse des Mikrozensus 2005 zur Gesundheit enthält die Broschüre "Leben in Deutschland - Haushalte, Familien und Gesundheit, Ergebnisse des Mikrozensus 2005". Diese und weitere Gesundheitsdaten finden sich im Internet: www.gbe-bund.de 


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