© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Meldungen

Hirnforschung: Dem Selbst auf der Spur

HEIDELBERG. Vielleicht ersetzt Hirnforschung bald Philosophie. Immerhin gibt die Zunft der Berufsdenker auch nach zweitausendjähriger Anstrengung nicht einmal auf die so banal erscheinende Frage "Was ist Selbstbewußtsein?" eine bündige Antwort. Von den Neurobiologen wird das jedem von uns vermittelte, doch so rätselhafte Gefühl, eine einheitliche Person zu sein, hingegen pragmatisch materialisiert. Das dauerhafte Erleben des Selbst, die Ich-Wahrnehmung, wird nach dem noch sehr "vagen" Stand der Neurowissenschaft in den USA von einem "Selbst-Netzwerk" organisiert, das im Längsspalt zwischen den Hirnhälften dicht hinter den Augen liegt (Spektrum der Wissenschaft, 5/06). Da es ein "typisch menschliches Hirn-Areal" ist, dürfte es sich unter Selektionsdruck aus dem sozialen Leben der Hominiden entwickelt haben. Doch über Entstehung und Arbeitsweise könne derzeit nur spekuliert werden. Eine praktische Konsequenz künftiger Forschung tue sich allerdings schon auf: Ermittle man, welche der steuernden Gene Ausfälle der Selbst-Repräsentation verursachen, sei eine wirksame Therapie gegen Alzheimer und andere Demenzkrankheiten möglich.

 

Zur Dialektik der Aufklärung

MADISON. Zu den auffallenden Tendenzen ideengeschichtlicher Forschung der jüngsten Zeit zählt das Bestreben, die Präsenz des Atheismus bis tief ins 17. Jahrhundert zurückzuverlegen. Damit wird die zeitliche Nähe zum Spätmittelalter erreicht, das seit Hans Blumenberg als Ausgangspunkt des Säkularisierungsprozesses gilt. Daß diese Delegitimierung religiöser Gewißheiten zumindest keine Einbahnstraße war, versucht Reinhold Münster in einer Studie über "Säkularisierung im Spiegel der Aufklärungsdichtung" zu belegen (Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur, 1/06), die sich Erfolgsautoren des 18. Jahrhunderts, Friedrich von Hagedorn, August Moritz von Thümmel und dem Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voss zuwendet. Alle drei scheinen die Religion als Deutungssystem zu verabschieden und setzen auf die "Modelle der zeitgenössischen Moralphilosophie". Doch zeige sich bei genauem Hinsehen, daß die These vom linearen Niedergang der Religion ohne Einschränkungen nicht aufrechtzuerhalten sei. Während der Hanseat Hagedorn in England vom frühen atheistischen Strudel des "Unglaubens" erfaßt und bleibend geprägt worden sei, seien die jüngeren Thümmel und Voss bei aller Aufgeklärtheit wieder bereit, die "verbessernde Religion" in ihre Konzepte moralischer Erziehung zu integrieren.

 

Erste Sätze

Ich kam vom Monte Vipera herunter, hungrig, durstig, müde, von der Sonne ausgebrannt und von den Dornen zerstochen.

Friedrich Georg Jünger:

Gesammelte Erzählungen, München 1967


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