© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Der Perfektionist
Die beiden wichtigsten Wörter im Kino: Zum hundertsten Geburtstag von Billy Wilder
Werner Olles

Langweile dich nicht und langweile andere nicht", lautete das einfach gewählte, aber schwer zu erfüllende Lebensmotto des Filmregisseurs Billy Wilder. Ob er sich selbst gelangweilt hat, mag dahingestellt bleiben; sein Publikum jedenfalls hat er bestens unterhalten. Wer sich mit dem sechsfachen Oscar-Preisträger und seinen Filmen beschäftigt, bewegt sich in einem Irrgarten. Zwar folgt deren Handlung in der Regel traditionellen Kinogeschichten, dennoch gestalten die Bilder und Dialoge in ihrem Sinngehalt jene unnachahmliche Illusionskunst des Kinos, deren künstlerische Verbindung guten Gewissens als philosophisch gedeutet werden darf: Kinophilosophie hart am Rande der Satire.

So ist wohl kaum jemals ein komischerer Film über die blutige Epoche der Prohibition und Gangsterkriege der zwanziger Jahre in Chikago gedreht worden als Wilders "Manche mögen's heiß", in dem der Oberschurke von einem Killer erschossen wird, der einer riesigen Geburtstagstorte entsteigt. Einen so vollendeten Gag hätte wohl kein anderer als Wilder inszenieren können. Das American Film Institute stufte den Film als witzigste Komödie ein.

Als Billy Wilders Geburtsort wird in einigen Enzyklopädien Wien angegeben. Tatsächlich erblickte er jedoch am 22. Juni 1906 im galizischen Sucha bei Krakau, das damals noch zu Österreich gehörte, als Samuel Wilder das Licht dieser Welt. Allerdings zogen die Eltern schon bald nach Wien um, und hier verbrachte er auch während des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegsjahre seine Jugendzeit. Es waren bittere Jahre. Nach dem Abitur zog es ihn zunächst zur Jurisprudenz, doch das Studium begeisterte ihn vermutlich wenig, denn er hielt es nur ganze zwei Semester aus. Er schlug sich als Reporter beim Wiener Boulevardblatt Die Stunde durch und siedelte schließlich 1926 nach Berlin über. Als Filmjournalist arbeitete er hier für die Nachtausgabe, Tempo und BZ am Mittag. Die meiste Zeit saß er jedoch mit anderen Literaten, Künstlern und Schauspielern im legendären "Romanischen Café" und unterhielt den Stammtisch mit amüsanten Geschichten über sein Intermezzo als Eintänzer im Hotel Eden, in dem er einsame Witwen beim Fünf-Uhr-Tee mit seinen Tango- und Walzerkünsten erfreuen durfte.

In den Jahren 1929 bis 1933 beteiligte sich Wilder als "Ghostwriter" an den Drehbüchern zu "Menschen am Sonntag", "Emil und die Detektive", "Ein blonder Traum" und "Der Mann, der seinen Mörder sah". Doch mit der Etablierung des NS-Regimes endete seine Karriere bei der UFA just zu dem Zeitpunkt, als er unter eigenem Namen Drehbücher zu schreiben begann. Am Tag nach dem Reichstagsbrand floh er nach Paris, kaum ein Jahr später schiffte er sich in Richtung USA ein.

Ein Meister, der sich in allen Genres zu Hause fühlt

In Frankreich hatte Wilder vornehmlich als Regieassistent gearbeitet, in Hollywood schrieb er zunächst wieder Drehbücher. Seine erste eigene Inszenierung war nicht besonders erfolgreich. Doch 1944 gelang ihm mit dem Kriminalfilm "Frau ohne Gewissen" mit Barbara Stanwyck und Fred MacMurray in den Hauptrollen endlich der Durchbruch.

Gemeinsam mit Raymond Chandler erzählt Wilder in dem schwarzweißen Thriller, der bis heute als typisches Beispiel für den amerikanischen Film noir gilt, die Geschichte einer eiskalten Frau, die ihren Mann ermorden will, um ein Vermögen zu kassieren. "Von nun an", soll Alfred Hitchcock damals über Wilders erstes Meisterwerk gesagt haben, "lauten die beiden wichtigsten Wörter im Kino 'Billy' und 'Wilder'."

Mit seinem nächsten Film "Das verlorene Wochenende", einem packenden Drama über einen trunksüchtigen Schriftsteller (Ray Milland), der verzweifelt um sein Überleben kämpft, bewies Wilder sein Talent für gesellschaftskritische Themen und zeigte, daß er in unterschiedlichen Genres zu Hause ist.

In den fünfziger Jahren entstanden dramatische Meisterwerke wie "Boulevard der Dämmerung" und "Reporter des Satans", aber auch die spritzigen Komödien "Sabrina" mit der bezaubernden Audrey Hepburn und "Das verflixte siebente Jahr" mit einer betörenden Marilyn Monroe. "Ariane - Liebe am Nachmittag", wiederum mit Audrey Hepburn, beschreibt die Liebe eines jungen Mädchens zu einem älteren Herzensbrecher, den Gary Cooper mit dem eleganten Charme der Reife verkörpert.

Mit dem Gerichtskrimi "Zeugin der Anklage" mit dem unvergessen- großartigen Charles Laughton und der kühlen deutschen Emigrantin Marlene Dietrich in den Hauptrollen wechselte Wilder wieder das Genre. Die Verkleidungskomödie "Manche mögen's heiß" (1959), in der Tony Curtis und Jack Lemmon als arme Musiker auf der Flucht vor der Mafia um die Gunst der schönen Marilyn Monroe buhlen, und "Das Appartement" (1960) mit Jack Lemmon, der diesmal um die umwerfend gutmütige und von ihrem verheirateten Liebhaber ausgenutzte Shirley MacLaine wirbt, gelten vielen Cinéasten als die besten Komödien der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre.

Im Berlin des Kalten Krieges entstand 1961 mit deutschen Stars wie Lieselotte Pulver und Horst Buchholz und dem US-Altstar James Cagney das nur mäßig erfolgreiche Lustspiel "Eins, zwei, drei". Doch mit "Das Mädchen Irma la Douce" mit Shirley MacLaine in der Titelrolle als entwaffnend naive Bordsteinschwalbe und Jack Lemmon, Wilders bevorzugtem Star, als verliebtem Pariser Flic war der Regisseur in der Gunst des Publikums wieder ganz oben. Noch einmal durften die Zuschauer mit Jack Lemmon ein Wiedersehen in der auf der Mittelmeerinsel Ischia spielenden Komödie "Buddy, Buddy" feiern.

Bis kurz vor seinem Tod ging er jeden Tag ins Büro

Es war Wilders letzter Film, aber zur Ruhe setzte er sich keineswegs. Mit Hingabe widmete er sich seiner großen Sammlung moderner Kunst und schrieb das Buch "Billy Wilder in Hollywood"; außerdem wirkte er mit an der Biographie Hellmuth Karaseks "Billy Wilder - Eine Nahaufnahme".

Bis kurz vor seinem Tod erschien er jeden Morgen pünktlich um zehn Uhr in seinem kleinen Büro und las - ohne seinen Hut abzulegen - Drehbücher. Wenn er den Kopf hob, fiel sein Blick auf jene großgeschriebene und gerahmte Frage an der Wand, die er sich als Regisseur, Drehbuchautor und Perfektionist immer wieder gestellt hatte: "Wie hätte Lubitsch es gemacht?"

Im Alter von 95 Jahren starb Billy Wilder am 22. April 2002 in Beverly Hills an den Folgen einer Lungenentzündung.

Foto: Billy Wilder (M.) bei Dreharbeiten zu "Das Mädchen Irma la Douce" (1962), dahinter Jack Lemmon: Unnachahmliche Illusionskunst


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