© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Eckstöße: Marginalien zur Fußball-WM (Folge XVI)
Favoriten bleiben Favoriten
Arthur Hiller

Die Fußball-Weltmeisterschaft vor vier Jahren erfreute die Zuschauer mit der ersten Überraschung bereits im Eröffnungsspiel. Der Senegal setzte sich durch ein keineswegs "unverdientes" 1:0 gegen Frankreich durch und leitete damit das klägliche Scheitern des amtierenden Weltmeisters ein. Schon nach drei blamablen Partien durfte die vier Jahre zuvor zum Idol des Feuilletons avancierte "Équipe bleu" die Heimreise antreten, ohne auch nur ein einziges Tor erzielt zu haben.

Beim laufenden Turnier hingegen sind Sensationen bislang Mangelware. Das in Unterzahl erreichte torlose Unentschieden der karibischen Publikumslieblinge gegen die Schweden als einen der schätzungsweise fünfzehn Geheimfavoriten. Das souveräne 2:0 der Ghanaer gegen die vielleicht einfach nur überschätzten, auf jeden Fall in die Jahre gekommenen Tschechen. Das beherzte Auftreten der Australier, deren Qualitäten aber auch schon aus der "Mini-WM" vor einem Jahr bekannt waren. Viel mehr zum Staunen gab es nicht. Wer seine Zuneigung jenen schenkte, die dem Expertenurteil zufolge als schwächer gelten mußten, erlebte den Abpfiff zumeist schlechtgelaunt. Durch Fußballgeschichte und Statistik als Favoriten ausgewiesene Mannschaften wie Brasilien, England oder die Niederlande konnten so uninspiriert spielen, wie sie nur wollten. Am Ende sprach das Resultat zu ihren Gunsten, und sie schafften die Qualifikation für das Achtelfinale ungefährdet bereits im zweiten Spiel.

Die These, daß der Weltfußball "enger zusammengerückt" sei und an guten Tagen auch vermeintliche Außenseiter den Großen ein Bein zu stellen vermöchten, scheint sich diesmal einfach nicht bestätigen zu wollen. Vor vier Jahren schafften die Niederländer zur Erbauung ihrer deutschen Nachbarn nicht einmal die Qualifikation. Argentinien und Frankreich scheiterten in der Gruppenphase. Die Italiener zogen im Achtelfinale gegen Südkorea den kürzeren. Auch wenn am Ende des Turniers dann doch der Rekordweltmeister Brasilien den Pokal in den Händen hielt, war die Begeisterung all jener groß, denen die Freude über die Schmach der Großen nicht unwichtiger ist als der ästhetische Augenschmaus, den irgendwelche Ballkünstler bieten. Die EM 2004 bot ihnen sogar die besondere Delikatesse, daß mit Griechenland ausgerechnet jenes Team triumphierte, das nicht nur neben Lettland als krasser Außenseiter gelten durfte, sondern auch noch mit einem System aufwartete, das die Meinungsführer in der Bestimmung dessen, was als moderner Fußball anzusehen ist, gnadenlos brüskierte.

Die Hoffnungen, daß sich derartiges auch nur ansatzweise bei der WM 2006 wiederholt, sind durch die Vorrunde gedämpft. Man muß also damit zufrieden sein, wenn Deutschland Weltmeister wird.


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