© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Frisch gepresst

Menschenbilder. Wenn heute Hirnforschung Philosophie ersetzt und das "Genomprojekt" die Feuilletonspalten erobert, fühlt man sich an Zeiten erinnert, als der Darwinismus im Schwange war und alle "Welträtsel" dank Ernst Haeckel kurz vor ihrer Lösung zu stehen schienen. Gerade weil die politische Bedeutung der Biowissenschaften für das 21. Jahrhundert evident ist, tut historische Orientierung not. Insoweit kommt der Jenaer Habilitationsschrift Uwe Hoßfelds aktuelle Bedeutung zu. Sie handelt über die "Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland" (Von den Anfängen bis zur Nachkriegszeit, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, Abbildungen, 504 Seiten, broschiert, 58 Euro), wirft aber auch Seitenblicke auf die internationale Entwicklung. Hoßfeld stellt die Geschichte der "Biowissenschaften im Dritten Reich" breit dar, weil hier die seit dem 19. Jahrhundert mit Händen zu greifende Beziehung zwischen Anthropologie und Politik zum Durchbruch kam und die auch auf der Linken erstrebte soziale Utopie von der "perfekten" Gesellschaft "rassenhygienisch" in greifbare Nähe rückte. Da Hoßfeld darüber hinaus anstrebt, 150 Jahre Wissenschaftsgeschichte abzudecken, geraten viele Abschnitte zu kursorisch, angefangen bei der fahrigen Präsentation des Anthropologen Karl Ernst von Baer (1792-1876), eines Gegners von Darwins "Affentheorie", bis zu Adolf Remane (1898-1976), der nicht einmal als Entdecker eines "ganz neuen marinen Lebensraums" Profil gewinnt. Gerade die komplexe sozialwissenschaftlich-politische Transformation biologischer Menschenbilder verliert der derart biographisch-pointillistisch vorgehende Autor daher oft aus den Augen.

 

Politische Häftlinge. Es ist bezeichnend für die deutsche Erinnerungskultur, daß die politischen Opfer der letzten Diktatur erst wieder ins Bewußtsein getreten sind, als die Täter und politisch Verantwortlichen allzu frech aus ihren Löchern gekrochen kamen, um ausgerechnet in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen die Untaten des DDR-Regimes nicht nur zu beschönigen, sondern glattweg zu leugnen. Wie das Häftlingssystem funktionierte, bereitet Leonore Ansorg in ihrer detaillierten Studie über die Strafvollzugsanstalt in Brandenburg an der Havel sorgfältig auf. Die als Band 15 aus der Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten herausgegebene Arbeit porträtiert die nach dem "Gelben Elend" in Bautzen und dem "Roten Ochsen" in Halle vielleicht berüchtigste Haftanstalt für "Politische" von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur zaghaften juristischen Aufarbeitung der Nachwendezeit. Dabei wird deutlich, daß sich das System immer subtilerer, aber gleichartig unmenschlicher Mittel bediente, um tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner durch den Vollzug zu brechen (Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR: Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg. Metropol Verlag, Berlin 2006, broschiert, 411 Seiten, Abbildungen, 21 Euro).


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