© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Ungerechtfertigter Vorwurf
Interview: Vor der "Südtiroler Feuernacht" gab es kein einziges seriöses Verhandlungsangebot des Staates Italien
Matthias Bäkerman

Herr Hans Karl Peterlini, der Innsbrucker Historiker Rolf Steininger hat in der vergangenen Woche an dieser Stelle Ihr neues Buch besprochen. Darin warf er den Aktivisten der "Südtiroler Feuernacht" vom Juni 1961 vor, mit ihrem Handeln einen bereits in Gang gesetzten Prozeß der Verständigung mit der italienischen Zentralgewalt zurückgeworfen und somit kontraproduktiv agiert zu haben.

Peterlini: Das ist eine These, in die sich Professor Steininger verliebt hat und von der er auch nicht mehr lassen will. Belehrbar muß er nicht durch mein Buch sein, sondern indem er die Lage unmittelbar vor der "Feuernacht" wahrnimmt. Er gab zuvor kein einziges seriöses Verhandlungsangebot des Staates Italien. Im Gegenteil. Noch im Frühling 1961 gab es Kulturverbote wie zum Beispiel, die Tiroler Schützentracht zu tragen. Im Januar 1961 gab es einen diplomatischen Versuch, im Rahmen einer internationalen Konferenz das Problem anzugehen, bei der Italien aber "nur Steine warf". Und auch für die Entwicklung nach 1961 beziehe ich mich auf schwer zu widerlegende Zeitzeugen, besonders den damaligen Landeshauptmann Silvius Magnagno, der praktisch mit der Südtiroler Autonomiegeschichte verwachsen ist. So beruft der italienische Innenminister Mario Scelba einen Sicherheitsgipfel ein und fordert, den "Aufstand" niederzuschlagen. Gleichzeitig unterbreitet er erstmals konkrete Angebote. Diese nachfolgenden Verhandlungen werden in der Zukunft noch manchen Rückschlag erleiden, aber sie reißen nicht mehr ab.

Steininger hält aber dagegen, daß die Verhandlungen auf übergeordneter internationaler Ebene mit den Bombennächten einen Abbruch erfahren haben. Das gilt für die Uno, aber eben im besonderen für das Verhältnis zwischen Italien und Österreich, wo noch lange eine gewisse "Sprachlosigkeit" herrschte.

Peterlini: Er muß einfach seine eigenen Bücher lesen, vor allem seine von ihm herausgegebene Quellenedition. Im Herbst 1961 gelingt es keinem Geringerem als dem damaligen österreichischen Außenminister Bruno Kreisky, das Thema Südtirol erneut vor die Uno zu bringen, wo eine Resolution verabschiedet wird, in der Österreich und Italien aufgefordert werden, das Problem zu lösen - in einem Jahr, in dem die Berliner Mauer als weitaus dringenderes Problem auf der internationalen Agenda stand. Das widerspricht doch jeder These, daß Österreich "durch die Feuernacht geknebelt" war. Und schließlich gingen die Verhandlungen weiter: Kreisky erarbeitete mit Giuseppe Saragat bis zu den Jahren 1963 und 1964 ein ganzes Paket, das den Südtirolern zu wenig umfassend war, bis es schließlich im Jahr 1969 zur Autonomie kam.

Dennoch spricht Steininger von einem "Mythos". Besonders die aus dem Attentäter-Milieu gepflegte These, daß erst die Anschläger der Feuernacht die Welt auf Südtirol blicken ließen, sei nicht haltbar.

Peterlini: In der Tat hat sich diese These irgendwie verselbständigt und man ist einem Realitätsverlust erlegen. Dennoch war die Aufmerksamkeit für das Schicksal eines so kleinen Landes wie Südtirol in diesen Zeiten beträchtlich. Immerhin wurde innerhalb von zwölf Monaten zweimal die Südtirolfrage vor der Uno verhandelt, auch nach den Anschlägen. Für die zweite Uno-Resolution von 1961 war Kreiskys Hinweis auf die Folterung von verhafteten Attentätern von zentraler Bedeutung.

Wie sieht heute die Lage in Südtirol aus? Wirkt sich die Regionalisierung innerhalb der Europäischen Union über die Normalisierung der Lebensverhältnisse auch auf die damals verfolgten Attentäter aus? Gab es eine Amnestie, oder können diejenigen, die nach Österreich geflohen sind, immer noch nicht in ihre Heimat reisen?

Peterlini: Einreiseverbote aus politischen Gründen gab es lange, mittlerweile aber nicht mehr. Wohl aber müssen jene Aktivisten, die ihre teilweise lebenslänglichen Haftstrafen durch ihre Flucht nicht abgebüßt haben, immer noch mit Verhaftung rechnen - für den Rest ihres Lebens. Es hat eine Teilamnestie gegeben, doch für die Schuldsprüche, bei denen sich die italienische Justiz auf Bluttaten bezog, galt und gilt das nicht.

Nun waren auch einige Urteile, die sich auf diese "Bluttaten" bezogen, juristisch nicht unumstritten - es gibt Vorwürfe nicht nur von Betroffenen, daß es schon "politische Urteile" gewesen seien. Gibt es Bestrebungen, diese Verfahren wieder aufzurollen?

Peterlini: Juristisch deuten bislang keine Anzeichen in diese Richtung. Allerdings gibt es nach wie vor politische Bemühungen, eine Generalamnestie zu erwirken. Es gibt dort aber von italienischer Seite die Taktik des Verzögerns, Abwartens und Taktierens. Niemand in Rom hatte bisher den Mut, diesen abschließenden Schritt zu gehen. Viele Politiker bringen dieser Idee Sympathie entgegen, haben aber Angst, daß ähnliche Amnestieforderungen auch seitens der "Brigate Rosso" laut werden könnten.

Das spricht aber doch dafür, daß sich die Lage deutlich entspannt hat?

Peterlini: Ich denke schon. Wir haben großes Glück gehabt, daß sich die Spirale der Gewalt mit staatlicher Gegengewalt, Folter und Mord nicht in einem unendlichen Kreislauf fortgesetzt hat. Es hat eine politische Lösung gegeben, mit der sich leben läßt. Für manche ist das immer noch zu wenig, aber ich denke, daß der jetzige Status gestaltbar ist.

Was beurteilen Sie den Vorwurf Steiningers, Sie hätten sich bei Ihrem Buch aus seinen Werken bedient?

Peterlini: Ich wundere mich, wie ein ernstzunehmender Leiter eines zeithistorischen Instituts auf ein derart niedriges persönliches Niveau sinken kann. Ich habe selbstverständlich auch auf Steiningers wertvolle Aktenedition zurückgegriffen. Ich glaube aber, daß der Wert meiner Arbeit darin besteht, daß ich diese Dokumente in Bezug gesetzt habe zu anderer Literatur zu dieser Zeit und eben zu den Aussagen der Zeitzeugen, Opfern, Betroffenen - auch der italienischen Seite. Geschichtsschreibung sollte immer ein Prozeß sein, wo einer dem anderen etwas weiterreicht. Ich denke, daß meine Aufzeichnungen dabei über die "oral history" hinausgehen und die Mischung aus Akten, Sekundärliteratur und Zeitzeugenbefragung sich nicht den Vorwurf gefallen lassen muß, etwas "ausgeschlachtet" zu haben. Dieser ungerechtfertigte Vorwurf kränkt mich nicht, da er augenscheinlich von einem Gekränkten stammt, der es nicht verträgt, daß seiner These widersprochen wird.

 

Hans Karl Peterlini, Jahrgang 1961, seit dem Jahr 2004 freier Autor und Essayist, war Chefredakteur des Südtiroler Wochenmagazins "ff" und veröffentlichte zuletzt das Buch "Südtiroler Bombenjahre. Von Blut und Tränen zum Happy End?" (Edition Raetia, Bozen 2005)

 

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