© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Kein großer Wurf
Die Föderalismusreform zwischen Gleichheitsdrang und Freiheitswillen
Klaus Peter Krause

Wird Macht geteilt, entsteht mehr Freiheit. Freiheit fördert Vielfalt in Meinung und Tat, setzt Kreativität frei, ermöglicht Wettbewerb, schafft mehr Wohlstand, sichert besser und nachhaltiger deren Bestand, verlangt freilich auch mehr Eigenverantwortung. Das gilt ebenso für ein Staatswesen, das föderal und damit dezentral verfaßt ist. Die föderale Verfassung haben dem Nachkriegsdeutschland die Siegermächte verpaßt. Aber in den seither sechs Jahrzehnten ist der deutsche Föderalismus mit seinem Dickicht von Gemeinschaftsaufgaben, konkurrierender und Rahmengesetzgebung, mit seinem Vermengen von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen zu schwerfällig geworden - und damit zu einer Reformbremse auf wichtigen Gebieten.

Die reine Lehre besagt, die Zuständigkeiten von Bund, Länder, Gemeinden, Familie und Einzelbürgern sollten klar voneinander abgegrenzt sein. Statt Verantwortlichkeit zu vermischen, muß sie eindeutig einem Entscheidungsorgan zuzuordnen sein. Wer entscheidet, hat zu verantworten und muß haftbar gemacht werden können. Sich überschneidende Verantwortlichkeit verleitet dazu, sich dieser durch Abwälzen zu entziehen. Sie löst Verantwortung auf und macht Föderalismus unbrauchbar. Nicht anders ist es, wenn beim Verteilen der Zuständigkeiten mißachtet wird, daß die jeweils höhere Ebene nur solche Aufgaben übernehmen darf, die wahrzunehmen die jeweils untere nicht in der Lage ist (Subsidiaritätsprinzip).

So einfach das klingt, so schwierig ist das Umsetzen in die politische Alltagsarbeit. Das zeigt sich daran, wohin sich die föderale Praxis verirrt hat. Das zeigt die lange Debatte über die Föderalismusreform. Das zeigt, was nun aus dieser Debatte in zwei Gesetze gegossen wurde - und noch immer umstritten ist. An den hehren Grundsätzen und ihren anfänglichen Zielen gemessen ist diese Reform alles andere als ein großer Wurf. Ihr größter Mangel besteht darin, daß nicht zugleich auch die föderale Finanzverfassung reformiert worden ist, sondern erst in einem zweiten Schritt in Angriff genommen werden soll. Von der Idee, kleinere Länder und Stadtstaaten aufzulösen und größeren anzuschließen, ist schon gar keine Rede mehr.

Um wirklich mehr Länder-Autonomie zu erreichen, wäre es notwendig gewesen, die Finanzverfassung ebenfalls gleich neu zu ordnen. Weil dies nicht geschieht, bleibt es dabei: Über Gesetze, die für Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik von Belang sind, werden Bund und Länder wie bisher gemeinsam entscheiden. Wohl können sie nun den Satz der Grundsteuer selbst bestimmen, aber mehr an Steuerautonomie haben sie nicht gewonnen. Wichtige Kompetenzen immerhin bekommen sie in der Bildungspolitik und im Beamtenrecht, weitere im Umweltschutz, Strafvollzug, Versammlungsrecht, Heimrecht, im Ladenschluß sowie für Messen, Märkte und Spielhallen. Was sie seit Beginn der Bundesrepublik an Kompetenzen eingebüßt haben und der Bund an sich gezogen hatte, bekommen sie damit zum Teil wieder zurück.

Vielen geht das zu weit. Sie wollen einen starken, einheitlichen Staat und verlangen statt mehr Föderalismus mehr Zentralismus. Der Widerstreit von Zentralisten und Föderalisten ist die immerwährende Auseinandersetzung zwischen einerseits dem zentralstaatlichem Machtmonopol mit seinem Drang nach mehr Gleichheit im Land und andererseits dem Anspruch auf dezentrale Selbstbestimmung und Freiheit mit dem Willen, mehr Ungleichheit zuzulassen und deren Antriebskräfte zu nutzen für die Gesamtwohlfahrt. Beide Seiten fahren Argumente auf, die zu bedenken sind.

Die Zentralisten werfen dem gegenwärtigen deutschen Föderalismus vor allem vor, er habe den Hang zur Obstruktion, sei zu einem Anreizsystem für Quertreiberei, Wichtigtuerei und Eitelkeit von Ministerpräsidenten geworden, und die Verantwortlichkeiten verschwömmen. Statt den Ländern Macht zu nehmen, bekämen sie nun sogar mehr davon. Das ist wohl wahr. Die Föderalisten kontern, Zentralisierung der Macht sei bürgerferne Demokratie, nur Dezentralisierung und Subsidiaritätsprinzip sorgten für Bürgernähe. Wer wofür Verantwortung trage und haftbar zu machen sei, müsse nur klar getrennt und geregelt sein. Die Ministerpräsidenten mischten sich vor allem deswegen in die Bundes- und EU-Politik ein, weil ihre Länderparlamente bloß noch wenig zu sagen hätten. Das ist ebenfalls wahr.

Letztlich ist also abzuwägen zwischen bundesstaatlicher Einheitlichkeit und länderstaatlicher Vielfalt, zwischen mehr Abhängigkeit und mehr Eigenständigkeit, zwischen weniger oder mehr einzelstaatlicher Freiheit. Vorrang hat der Freiheit zu gebühren. Ohnehin ist jedes Regelwerk nur so gut oder so schlecht, wie es die politischen Akteure sind und wie sie mit ihm umgehen. Das zeigt ein Rückblick in die deutsche Geschichte. Die Kleinstaaterei hatte teils schlimme, teils verdienstvolle Ergebnisse, aber der Zentralismus ebenfalls. Die föderale Ordnung muß die Balance zwischen Einheit und Vielfalt wahren. Das ist leicht gesagt und schwer getan. Das jetzt ins Werk Gesetzte offenbart es aufs neue.


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