© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Frisch gepresst

Südtirol. Für seine Diplomarbeit im Studium der Geschichte und Psychologie an der Universität Innsbruck wählte Martin Unterkirchner das im vierzigsten Jahr der Eskalation des Südtirolproblems naheliegende Thema "Belastungen und Bewältigung - Südtirolaktivisten mit Folter- und Hafterfahrungen". Nun liegen seine Ergebnisse in gedruckter Form vor ("Unauslöschlich ..." Südtirolaktivisten berichten über ihren Umgang mit Folter- und Hafterfahrungen. Studien-Verlag, Innsbruck 2006, 242 Seiten, broschiert, 29,90 Euro). Unterkirchner hat mit den dokumentierten Interviews mit Sepp Mitterhofer, Sepp Innerhofer, Luis Gutmann und einem als "Herr D" anonymisierten Kämpfer zudem ein wichtiges historisches Dokument geschaffen, das die Eskalation nicht scheuende Strategie des italienischen Staates offenlegt. Besonders die Schilderungen der selbst die Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) in ihrer Unerbittlichkeit völlig überraschenden Folterpraktiken italienischer Carabinieri erschüttern heute noch durch ihre menschenverachtende Grausamkeit und durch die Tatsache, daß dieser Staatsterror Anfang der Sechziger vom geachteten Mitglied des "westlichen Wertesystems" und einem EG- und Natopartnerland verantwortet wurde - womit sich analog der Vergleich zu den USA und den Bildern aus Abu Ghraib oder Haditha aufdrängt.

Koloniale Infrastruktur. In den letzten Jahren hob die historische Betrachtung früherer deutscher Kolonien immer auf die Kolonialkriege, insbesondere den Herero- und Namakrieg in Deutsch-Südwestafrika oder den Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika ab. Verweise auf die Entwicklungsarbeit in den Kolonien oder Schutzgebieten wurden in diesem Kontext kaum erwähnt, da sie leicht als Relativierung das beschworene Zerrbild einer kolportierten Raub- und Vernichtungsintention dieser Kriege hätten verfärben können. Aus der von Wilhelm R. Schmidt edierten Erinnerung des Telegrafenbauers Otto Schiffbauer (Als Telegrafenbauer in Deutsch-Südwest, Sutton Verlag, Erfurt 2006, 125 Seiten, broschiert, Abbildungen, 18,90 Euro) - aufwendig mit dessen großartigem Fundus meist unbekannter Fotografien aus Südwest illustriert - erfährt man in nüchternen Worten des höheren Postbeamten, daß statt Völkermord doch wohl eher koloniale Infrastrukturentwicklung die dominierende Praxis war.


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