© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Bundesländer finanzieren weiterhin Abtreibungen
Lebensschutz: Gesundheitsminister vertagen Entscheidung über Kürzung bei Kostenerstattung / Erneute Beratung im kommenden Jahr
Claudia Hansen

Es ist schon paradox: Deutschland gehört zu denjenigen westlichen Ländern, deren demographische Entwicklung am stärksten rückläufig ist. Schon jetzt drohen die umlagefinanzierten Sozialsysteme unter der Last einer überalternden Gesellschaft zusammenzubrechen. In Sonntagsreden beklagen Politiker den Mangel an Kindern, zugleich aber finanziert der Staat in großzügiger Weise die Abtreibung ungeborener Kinder.

Nach Angaben des Bundessozialministeriums haben die Krankenkassen von 1996 bis 2003 für 810.947 Schwangerschaftsabbrüche die Kosten übernommen. Die Gesamtzahlungen dafür beliefen sich auf 250,5 Millionen Euro. In den vergangenen Jahren wurden jeweils mehr als 40 Millionen Euro Steuergeld für rund 110.000 vorgeburtliche Tötungen ausgegeben. Diese sind laut Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichts nach wie vor rechtswidrig, bleiben jedoch straffrei, sofern sie nach der vorgeschriebenen Beratung erfolgen. Auf Initiative von Sachsen und Thüringen sollte nun die staatliche Kostenübernahme für Abtreibungen eingeschränkt werden (JF 27/06). Die beiden Länder wollten bei der Gesundheitsministerkonferenz in Dessau vergangene Woche erreichen, daß die Bedürftigkeit der antragstellenden Frauen strenger definiert und schärfer geprüft wird.

Verbände unterstützen den Vorschlag

Bislang zahlen die Krankenkassen bei annähernd 90 Prozent aller gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche. In Niedersachsen werden 90 Prozent der gemeldeten Abtreibungen vom Land finanziert, in Sachsen 98 Prozent und in Bayern 71 Prozent. Nach Ansicht von Sachsen und Thüringen kann unmöglich in all diesen Fällen echte Bedürftigkeit vorliegen. Die Grenze für das zulässige Einkommen der Frau (das des Mannes wird nicht berücksichtigt) soll daher um rund 250 Euro auf 662 Euro gesenkt werden. Damit will Sachsens Sozialministerin Helma Orosz (CDU) die abtreibungswilligen Frauen zu mehr "Eigenverantwortung" verpflichten.

Lebensschutzverbände und die unionsgeführten Länder Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Bayern sowie Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen unterstützten den Vorstoß Sachsens und Thüringens. Das bayerische Sozialministerium sagte, mit der hohen Einkommensgrenze seien Frauen, die abtreiben, privilegiert gegenüber jenen, die ihr Kind bekommen. Die Christdemokraten für das Leben (CDL) erklärten, die "extrem hohen Quoten der staatlichen Finanzierung der rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüche stehen unverändert und unhaltbar im deutlichen Widerspruch zur staatlichen Schutzpflicht des ungeborenen Lebens". Dagegen übten linksregierte Länder, allen voran Berlin, scharfe Kritik an dem Vorstoß. "Uns ist ein Frauenbild fremd, das davon ausgeht, daß Frauen leichtfertig schwanger werden und abtreiben, nur weil der Staat es bezahlt", sagte die Sprecherin der Berliner Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei).

"Billig am konservativen Profil gefeilt"

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth meinte, "auf Kosten von Frauen in Notsituationen" habe die Union "billig am konservativen Profil gefeilt". "Einer der Erfolge des Kompromisses zum Paragraphen 218 war, daß auch für Frauen mit geringem Einkommen ein anonymer Abbruch möglich ist." Roth sagte, die jetzigen Überlegungen "riechen nach reaktionärer Bevölkerungspolitik". Der "unsäglichen Debatte" müsse schnell ein Ende bereitet werden.

So geschah es auch: Die angeregte Kürzung finanzieller Hilfen bei Schwangerschaftsabbrüchen war schon nach kurzer Beratung wieder vom Tisch. Die Gesundheitsminister der Länder verständigten sich in Dessau darauf, das Thema jetzt nicht weiter zu verfolgen und zunächst ihre Statistiken zur Häufigkeit solcher Abbrüche und zur Ko-stenentwicklung zu überprüfen. Auf der nächsten Gesundheitsministerkonferenz im kommenden Jahr wollen sie sich erneut mit dem Thema befassen.

"Es besteht Übereinstimmung, daß das Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch nicht angetastet werden darf", hieß es. Dagegen erklärten die CDL: "Ein Land, das die Tötung seiner eigenen Kinder nicht nur akzeptiert, sondern auch noch finanziell unterstützt, hat keine Zukunft."


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