© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Was von Joseph Fischer bleibt
Abschied: Nach dem Rückzug des Grünen-Politikers aus dem Bundestag ist es Zeit für eine erste Bilanz
Doris Neujahr

Die Kommentare zum Rückzug Joschka Fischers aus der Politik klingen überschwenglich. Sein politisches Wirken habe das Land verändert, verbessert, sind alle sich einig, und umgekehrt sei er in dem Maße, wie er die Bundesrepublik als politische Heimat akzeptierte, ein Besserer geworden. "Wer immer strebend sich bemüht / den können wir erlösen", wird Faust vom Chor der Engel willkommen geheißen, als er an die Himmelspforte klopft. Seine Rückkehr in die Politik als Nachfolger Horst Köhlers wäre der krönende Abschluß dieser deutschen Karriere und das finale Symbol dafür, daß dieses Land auch tatsächlich ein anderes, besseres geworden sei, spekuliert ein führender Redakteur einer führenden Zeitung gar. Doch gesetzt den Fall, die Erfolgsgeschichte dieses Mannes wäre tatsächlich auch die von Deutschland, dann ließe sich Verläßliches darüber gar nicht sagen. Man weiß über beide viel zu wenig: zuerst über Fischer und damit auch über das Land, dessen Außenminister er sieben Jahre lang war.

Das muß zu denken geben, denn über keinen amtierenden Politiker ist soviel geschrieben worden, und keiner hat sich selber in Buchform und Interviews so ausgiebig über seine Person verbreitet wie Joschka Fischer. Trotzdem klaffen in seiner Familien- und Privatgeschichte entscheidende Lücken, so daß man über seine innersten Antriebe in Wirklichkeit wenig Erkenntnisse besitzt. Gerüchte werden getuschelt, bei denen einem der Mund offenbleibt, die einiges erklären, anderes in einem neuen Licht erscheinen lassen könnten. Aber sofort verschließen sich die Türen zum Blaubart-Zimmer wieder: Nicht zitierfähig! Bei diesem Thema scheint Angst in der Luft zu liegen. Blackbox Fischer - Blackbox BRD.

Unterhaltsam war Fischer auf jeden Fall

Halten wir uns an das, was gesichert ist. Fischer hatte sich in einem Abschieds-Interview als der letzte Rock'n'Roller der deutschen Politik bezeichnet, dem nur noch Playback-Spieler folgen werden. Ein Selbstkompliment, das zweischneidig ist: Rock'n'Roller sind Unterhaltungskünstler, selbstverliebt, egomanisch, jagen stets einem neuen Hit hinterher. Zum Klassiker schaffen es nur ganz wenige, die meisten werden vergessen. Unterhaltsam war Fischer auf jeden Fall, aber wie stand es um die Substanz seiner Politik?

Seit noch nicht einmal einem Jahr ist er aus dem Außenministerium verschwunden, und schon erinnert sich kaum jemand mehr, daß er es einmal geleitet hat. Dabei trägt sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier alle Attribute des langweiligen Bürokraten. Fischers Talent zur Selbstdarstellung geht ihm ab, er wirkt lediglich kompetent, effizient, diskret, letztlich solide - und das genügt. Keiner schläft schlechter, weil Joschka nicht mehr allabendlich in die Fernsehkamera spricht, wie er die Welt zu retten gedenkt. Fischers Verdienst sei es, die deutsche Selbstblockade hinsichtlich militärischer Einsätze im Ausland aufgebrochen zu haben durch seine Überzeugungsarbeit gegenüber der eigenen Klientel. Richtig ist, daß er die pazifistische Grundstimmung bei den Grünen, auf der er selber geritten war, solange es ihm nützlich erschien, seit den neunziger Jahren bekämpft hatte. Fischer war ein Meister darin, Konflikte zu lösen, die er zuvor verschärft hatte. Er verstand es, taktische Winkelzüge, die der Karrieresteigerung dienten, als Ausdruck geschichtlicher Dialektik und sich selber als Medium des Weltgeistes erscheinen zu lassen. Die Zustimmung der Grünen zu einem Militäreinsatz im Kosovo, den die Amerikaner wünschten, war die Vorbedingung für Rot-Grün und also auch für die Übernahme des Außenamtes durch Fischer. Militäreinsätze sind allerdings kein Wert an sich, sondern werden politisch erst dadurch legitimiert, daß sich berechtigte Lebensinteressen anders nicht durchsetzen lassen. Diese Interssen müßten zunächst klar definiert werden, andernfalls werden deutsche Soldaten zu Landsknechten für die eigensüchtigen Motive anderer, mögen sie sich auch als Moralisten tarnen.

Klar ist heute, daß der hohe Ton, den Fischer zur Begründung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo anschlug, falsch war. Die angeblichen "Hufeisenpläne" der Serben zur Vertreibung der Kosovaren haben sich seitdem in Luft aufgelöst, und niemand will für den Wahrheitsgehalt der damaligen Fernsehbilder die Hand ins Feuer legen. Die Kosovo-Vertriebenen sind heute die Serben, in Südeuropa ist ein muslimischer Staat im Entstehen, der von kriminellen Clans beherrscht wird und gegenüber der EU auf ein entsprechendes Drohpotential verweisen kann.

Zweitens wird Fischer als Europa-Politiker gelobt, doch was sind seine Verdienste? Seine bombastische Rede an der Berliner Humboldt-Universität zum Bau eines föderalen Europa ist längst vergessen. Sie war mit keinem europäischen Partner abgestimmt und hatte mit dem postnationalen Romantizismus der Grünen viel, mit den Realitäten wenig zu tun. Ihre mögliche Fernwirkung hatte Fischer selbst sabotiert, als er den EU-Boykott gegen Österreich - wegen der Regierungsbeteilung der FPÖ - forcierte, was die kleinen EU-Staaten, die Alt- wie die Neumitglieder, in Aufregung versetzte, weil sie darin den Versuch deutscher Dominanz erblickten. Die Wahrheit war viel harmloser. Fischer hatte lediglich die Regeln der deutschen Innen- auf die Außenpolitik übertragen und war im übrigen den Franzosen auf den Leim gegangen, die einen deutsch-österreichischen Block in der EU von Anfang an unmöglich machen wollten.

Fischer bediente das Unterhaltungsbedürfnis des Fernsehpublikums, indem er in säkularen Dimensionen schwärmte. Wer das Kleingedruckte las, stellte fest, daß es überwiegend heiße Luft war. Seine Begründungen für eine Aufnahme der Türkei in die EU wechselten je nach Bedarf und Laune. Zum Schluß behauptete er, die Ausdehnung der Union bis an die Grenze des Irak hebe sie zum "global player" und begründe eine Sicherheitszone. Die Frage, wie ein inkohärentes Gebilde, das die EU nach dem Beitritt der Türkei zweifellos würde, Sicherheit garantieren könne, hat er nie beantwortet. Vor dem Irak-Feldzug durfte man sogar Mitleid mit ihm haben. Gewiß wäre Fischer, der intelligenter und lernfähiger ist als Schröder, mit mehr Fingerspitzengefühl an die Errichtung einer internationalen Anti-Kriegsfront gegangen als sein Kanzler, der sich mit Jacques Chirac vor den Kameras hinfläzte und verkündete, was in der - gar nicht vorhandenen - "europäischen Außenpolitik" Sache sei. Es war vorhersehbar, daß die anderen europäischen Länder sich diese Präjudizierung nicht bieten lassen würden. Allerdings konnte Fischer nur Außenminister werden in einer Zeit, die auch einen Kanzlerfilou wie Schröder nach oben spülte. Sie hatten sich gegenseitig verdient.

Wer weiß noch, daß Fischer um einen ständigen Sitz Deutschland im Uno-Sicherheitsrat kämpfte? Das einzige fortwirkende Erbe von Fischers Außenpolitik ist die Anpassung der deutschen und der EU-Außenpolitik an die Israels, womit Berlin und Brüssel im Nahost-Konflikt der Position des ehrlichen Maklers verlustig gegangen sind. Was dadurch langfristig in der arabischen Welt angerichtet wurde, läßt sich noch gar nicht ermessen. Vermutlich werden wir alle noch bitter dafür bezahlen.

Der Aufstieg des - um es vorsichtig auszudrücken - polizeilich in Erscheinung getretenen Autodidakten zum Außenminister einer demokratisch verfaßten europäischen Mittelmacht ist beispiellos. In Deutschland kennt man Vergleichbares lediglich aus revolutionären Umbruchzeiten: aus der Frühzeit der DDR, als alte KPD-Kader ihre Ansprüche anmeldeten (an denen sie dann 40 Jahre festhielten), und aus dem Dritten Reich, wo der rabiateste Autodidakt sogar Führer der Nation wurde. Fischers Aufstieg mit der doppelten deutschen Diktaturgeschichte und ihren Nach- und Auswirkungen in der Bundesrepublik in Beziehung zu setzen - politisch, strukturell, geschichtlich, psychologisch, persönlich -, das ist eine der spannendsten Aufgaben, die sich einem Zeitgeschichtler heute stellen. Fischers Selbstbeschreibungen können nur ein Ausgangspunkt der Erklärung sein, nicht die Erklärung selbst.

Faszinierende, fast hypnotische Wirkung

Auf jeden Fall hat dieses Kraftpaket, dieser Tatmensch, auf weite Teile dieser erschlafften Gesellschaft eine faszinierende, fast hypnotische Wirkung ausgeübt. Bedenken und Widerstände überspielte er mit wohlfeilen moralischen Bekenntnissen. Die Dreifaltigkeitsstirn tief gefurcht, nahm er Germania fest in den Arm, um von der "deutschen Vergangenheit" zu reden und ihr den einen magischen Namen ins Ohr zu flüstern ... Ach, und die alte, über den Wechselfällen ihres Lebens debil gewordene Germania, ihr wurde weich in den Knien, erbleichend sank sie dahin und fühlte sich wieder erhoben - wie einst Ingrid Bergman, als Humphrey Bogart sie in die Arme nahm und schnauzte: "Schau mir in die Augen, Kleines!"

Fischer und die Frauen - das ist ein ganz eigenes politisches Thema. Er liebte es, ehrgeizige, aber beschränkte Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts strategisch günstig zu plazieren: Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager, Kerstin Müller und wie sie sonst noch heißen. Nie war ihm eine gefährlich, alle waren nur dankbar und fraßen ihm aus der Hand. Es bleibt unvergeßlich, wie die arme, sonst frauenrechtlich denkende Claudia Roth versuchte, "den Joschka" herauszupauken, als er wegen einer Visa-und-Prostituierten-Affäre unter Druck stand. Wer mitleidlos genug war, den Gedanken zuzulassen, dem drängte sich bei solchen Szenen das Bild von den Puppen auf, die der Kleinstadtlude tanzen läßt ...

Ja, über Kleinstadt-Niveau ging es selten hinaus, auch wenn Fischer den Weltmann mimte. Wegen seiner Redegewandtheit wird er jetzt als Philosoph unter den Politikern beschrieben. Das macht fassungslos. Man muß nur seine Zeitgeist-Traktate zur Außenpolitik mit den Metternich- und Bismarckstudien Henry Kissingers vergleichen oder mit den Büchern zur weltpolitischen Lage, mit denen Helmut Schmidt sich in den sechziger Jahren für höhere Aufgaben empfahl, um zu begreifen, daß Fischer auch Profiteur eines gesellschaftlichen Verdummungsprozesses war. Nicht zuletzt deshalb liegt seine Rückkehr nach Berlin als Bundespräsident im Bereich des Möglichen.


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