© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Der Anfang vom Ende
Koalitionsgezänk: CDU/CSU und SPD streiten wie die Kesselflicker
Paul Rosen

Ein Bündnis vor dem Scheitern. Während die Deutschen sich mehr für die Fußball-Weltmeisterschaft interessierten und die Farben Schwarz-Rot-Gold das Bild dominierten, lieferten sich die Spitzen von Union und SPD wenige Meter von der Berliner Fanmeile entfernt schwere Schlachten. SPD-Fraktionschef Peter Struck warf Kanzlerin Angela Merkel "Wortbruch" bei der Gesundheitsreform von. CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach warnte vor einem Scheitern der Koalition, und CSU-Generalsekretär Markus Söder rief den Genossen zu: "Besser den Mund halten und auf die Arbeit konzentrieren." Zugleich machte Söder klar, daß es nach der Bundestagswahl 2009 eine andere Koalition geben wird. Die Gesundheitsreform werde dann fortgesetzt - "aber in einer anderen politischen Konstellation".

Die Frage ist, ob die mit soviel Vorschußlorbeeren gestartete Koalition von Union und SPD überhaupt noch bis 2009 durchhält. Zwar meint CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer: "Totgesagte leben länger." Aber das erinnert an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. In Wirklichkeit ist das Verhältnis der beiden Koalitionspartner so schwer zerrüttet, daß ein Scheitern lange vor der Bundestagswahl 2009 immer wahrscheinlicher wird.

Schon die Föderalismus-Reform wäre beinahe danebengegangen. Bei dieser Reform legten sich die Sozialdemokraten in der Schlußphase quer, forderten mehr Bundesrechte im Bildungsbereich. Dahinter steckte der alte sozialdemokratische Hang zum Zentralismus. Die Gesundheitsreform lief völlig aus dem Ruder. Die SPD verlangte Steuererhöhungen bis zu 45 Milliarden Euro. Merkel stand hier in einer schwierigen Situation. Einerseits hatte sie selbst den Leipziger Parteitagsbeschluß herbeigeführt, daß das Gesundheitssystem zum Teil aus Steuermitteln zu finanzieren sei. Zum anderen häuften sich in den letzten Wochen die Warnmeldungen von der Basis: CDU-Mitglieder protestierten bei regionalen Parteichefs und Abgeordneten gegen die Absicht, die Steuerschraube weiterzudrehen. Die 2007 anstehende dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung hatte bereits für eine Verschlechterung der Stimmung gesorgt.

Bei den Sozialdemokraten ist die Situation anders. Sie vertrauten schon immer dem alles regelnden Staat. Je mehr Geld den Sozialsystemen zugeführt wird, desto sozialer ist das Land. Zudem mißtrauen sie dem Bürger, den sie lieber ans Gängelband nehmen und ihm alles vorschreiben wollen, statt auf Eigenverantwortung und Freiheit zu setzen. Folglich empfahl die SPD eine ganz neue Steuer von 1,1 Prozent auf alle Bruttolöhne, Mieten und Zinseinnahmen. Das wäre nur ein Einstieg gewesen. Diese Steuer hätte sich in kurzer Frist um mehrere Punkte erhöhen lassen und somit immer mehr Geld in die maroden Sozialsysteme gepumpt.

Es ist nun nicht so, daß die Unionspolitiker von vornherein gegen Steuererhöhungen gewesen wären. Geld macht Politiker bekanntlich sinnlich - und das unabhängig von der politischen Farbe. Der Druck der Basis ließ vor allem Länderchefs wie Edmund Stoiber, Christian Wulff und Roland Koch zurückschrekken. Sie legten sich gegen die SPD-Steuerpläne quer, und zwar schon Tage vor der entscheidenden Sitzung des Koalitionsausschusses. Merkel und ihre Berater im Kanzleramt nahmen die Signale nicht ernst. Die Kanzlerin erlitt eine schwere Niederlage. Von den eigenen Leuten zurückgepfiffen und den Koalitionspartner verärgert: So was nennt man eine Zwickmühle. Der Vorsitzende der rechten SPD-Abgeordneten (Seeheimer Kreis), Johannes Kahrs, sagte mit Blick auf Merkel: "Der Fisch stinkt immer vom Kopfe her." Und ergänzte: "Ich glaube, sie kann es einfach nicht."

Diese Auffassung hat sich bei den Bürgern längst durchgesetzt. In Umfragen ist die Kanzlerin abgestürzt. Die Koalition hat so schlechte Werte wie Rot-Grün in der Endphase. Strucks Sehnsucht nach Merkels Vorgänger Gerhard Schröder drückt aus, was viele Sozialdemokraten denken: das Bündnis mit der Union möglichst bald beenden. In der Union gibt es natürlich auch verschiedene Interessen. Wulff und Koch halten sich schon seit langem für die besseren CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler. Sie haben bei der Gesundheitsreform mit ihren längst gewetzten Messern zugestochen und sind jederzeit zu Wiederholungen bereit. Stoiber ist wieder erstarkt und bietet der Kanzlerin, die er für eine "Leichtmatrosin" hält, nur zu gerne die Stirn.

Stoiber, Wulff und Koch haben noch vor der Bundestagswahl Landtagswahlen zu bestehen. Mit den Steuererhöhungen, Kürzungen für Pendler und Sparer und den jetzt verkündeten Beitragsanhebungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung droht ihnen eine gnadenlose Bestrafung durch die Wähler, die nicht bereit sein dürften, den Griff in ihre Geldbörsen noch durch Stimmabgabe für CDU und CSU zu honorieren. Da erscheint es sicher, daß sie in Berlin einen Kanzlersturz oder den Bruch der Koalition betreiben werden.

Merkel selbst meint, entscheidend werde die Bilanz am Schluß der Legislaturperiode sein. So weit wird sie nicht kommen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen