© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

"An Deutschland anknüpfen"
Popmusiker Peter Heppner über den neuen Patriotismus, seinen Hit "Wir sind wir" und die Rückkehr der Linken zur Nation
Moritz Schwarz

Herr Heppner, in der letzten Minute gegen Italien platzte der deutsche Traum des Jahres 2006. Sieger im kleinen Finale, "Weltmeister der Herzen". Was wird vom vierwöchigen schwarz-rot-goldenen Woodstock der Deutschen bleiben?

Heppner: Ich bin selbst mein Leben lang gewöhnt gewesen, mit Patriotismus und allem, was mit Deutschsein zusammenhängt, sehr, sehr vorsichtig umzugehen, und ich muß zugeben, es zuckt auch bei mir noch jedesmal, wenn ich eine deutsche Fahne aus dem Fenster hängen sehe. Es scheint, als habe der Fußball den Deutschen in diesem Sommer geholfen, uns nach sechzig Jahren in der Beziehung zu unserem Land endlich mal wieder einzukriegen und zu einer gesünderen Sicht auf uns selbst zu finden.

Sport ist also gesund?

Heppner: Mir ist das schon 2004 bei meiner Recherche für den Titel "Wir sind wir" aufgefallen - ein Song zum Thema "Das Wunder von Bern": Der Fußball-Sieg 1954 über Ungarn war für die Deutschen nicht deshalb so wichtig, um der Welt etwas zu beweisen, sondern uns selbst. Er war ein Signal an uns: "Gemeinsam können wir das!"

Der Titel war ein Riesen-Publikumserfolg, für viele Kritiker aber auch - als "Einbruch des Nationalismus in die Popkultur" gegeißelt - ein Skandal.

Heppner: Es war uns von vornherein klar, daß es Protest geben würde, wir hatten ehrlich gesagt sogar mit mehr gerechnet. Der Vorwurf des Nationalismus ist aber konstruiert, was man auch an den positiven Reaktionen im Ausland sehen kann. Gerade erst habe ich ein kanadisches Fernsehteam zum Interview hier gehabt, die von mir etwas über Deutschland erfahren wollten. In einem Brief aus Portugal wird das Lied als "tolle Werbung für Deutschland" bezeichnet. Und das sind nur zwei Beispiele von vielen.

"Wir sind wir! Wir stehen hier! Aufgeteilt, besiegt und doch - schließlich leben wir ja noch." Dazu zeigte der Videoclip - sehr suggestiv und emotional komponiert - Bilder vom Wiederaufbau Deutschlands: Trümmerfrauen, Aufbau, WM 1954, Fall der Mauer und Wiedervereinigung.

Heppner: Wir wollten damit deutlich machen, daß wir Deutschland seit 1945 doch ganz gut hinbekommen haben, daß ein positiver Bezug zum eigenen Land für uns Deutsche möglich ist.

Aber denken Sie doch ...

Heppner: ... an die vielen alten und neuen Nazis, an Antisemismus und Fremdenfeindlichkeit? Ja, all das gibt es auch in Deutschland. Aber vergleichen Sie doch einmal international: Kaum ein Land hat die letzten sechzig Jahren eine so stabile und verwurzelte Demokratie gehabt wie unseres. Und gerade der Blick zu anderen lehrt, daß wir zum Glück vergleichsweise wenig Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit haben.

Bei "Wir sind wir" geht es sowenig um den Stolz auf den Wiederaufbau wie bei der WM um den Sieg. Es geht um das Erlebnis der Gemeinschaft, die durch die Herausforderung geformt wird.

Heppner: Jeder hat "Wir sind wir" anders interpretiert. Das ist auch nicht verwunderlich, denn der Satz "Wir sind wir" ist eine so grundsätzliche Aussage, daß er in seinem Minimalismus geradezu dazu einlädt, durch Interpretation noch Bedeutung hinzuzufügen.

Mag sein, aber Sie lenken ab: "Wir sind wir" ist in Deutschland - etwa seit 1968 - ein Satz, den man sowenig gesagt, wie man die Fahne aus dem Fenster gehängt hat. Ihr minimalistischer Satz war ein maximaler Tabu-Bruch.

Heppner: Das Problem ist, daß die Diskussion in Deutschland in den letzten Jahrzehnten so geführt wurde, daß jede Äußerung von Patriotismus als politische Stellungnahme aufgefaßt wurde: "Moment mal, da demonstriert jemand seine konservativer Gesinnung!"

Und jetzt?

Heppner: Spätestens seit dieser WM kann man das eben nicht mehr sagen. Leute mit der unterschiedlichsten politischen Gesinnung haben doch die Fahnen und Fähnchen aufgezogen.

Genau das hat manchen Linken wie Rechten nicht gepaßt: Wer die Fahne aufzieht, hat automatisch die falsche Gesinnung, bzw. nur wer die richtige Gesinnung hat, darf das.

Heppner: Wenn klassischer Weise "Patriotismus" die Liebe zum eigenen Land ist, dann kann er gar nicht mit einer spezifischen politischen Gesinnung einhergehen. Denn sonst könnte er seine Funktion, eine Nation zu einen, nicht erfüllen. Schließlich werden in einem Volk die Menschen immer unterschiedliche politische Anschauungen haben.

Was ist Patriotismus für Sie persönlich?

Heppner: Für mich ist das der positive Bezug zur eigenen Gemeinschaft, der verhindert, daß man sich in dieser großen, komplexen und vielschichtigen Welt verliert: Ein Heimatgefühl, weil man weiß, wo man zu Hause ist, und die Menschen hier so sind wie man selbst. Natürlich ist das immer auch eine Illusion, aber das macht nichts, das Leben ist schon so kompliziert genug.

Für die "FAZ" sind Sie laut einer Kritik von Georg Diez, die später dann auch bei "Spiegel online" erschien, ein ganz finsterer Rauner und Dräuer, ein Romantiker und Schicksalsergebener - mit einem Wort, ein unbewußter Gegenaufklärer und Verführer. In der Sprache der politischen Philosophie des 19. Jahrhunderts würde man sagen: Sie sind deutsch.

Heppner: Das Problem dieser Leute ist, daß meine Texte keinen Beweis für ihre Anschuldigungen hergeben, also konstruieren sie etwas, was angeblich zwischen den Zeilen zu finden ist. In den neunziger Jahren warfen sie Joachim Witt und mir wegen unseres Titels "Die Flut" Faschismus vor, in den 2000ern nun Nationalismus. Heute regt sich kein Mensch mehr über "Die Flut" auf, und vermutlich spätestens seit der Patriotismus-Welle dieser WM auch kein Mensch mehr über "Wir sind wir".

Welche Rolle spielt die deutsche Kultur- und Geistesgeschichte für Sie als Künstler?

Heppner: Ich habe tatsächlich eine Schwäche für das 19. Jahrhundert, aber beileibe nicht nur für die deutschen Künstler dieser Zeit. In der Tat möchte ich mich als Künstler auf Deutschland beziehen können - nicht aus nationalistischen Gründen, sondern weil das mein kulturelles zuhause ist. Ich war früher jahrelang der Meinung, ich darf nur in Englisch singen. Nein, das war ein Irrtum!

Empfinden Sie sich in einer spezifisch deutschen Kulturtradition stehend?

Heppner: Ich sehe diese Kulturtradition in der deutschen Sprache. Ich halte die deutsche Sprache nicht für etwas Überlegenes, aber schon für etwas Besonderes. Es ist vermutlich kein Zufall, daß zum Beispiel Franzosen und Italiener bessere Maler, wir eher bessere Dichter und Denker hatten. Unser Problem ist, daß unsere reichhaltige Kulturtradition durch den Nationalsozialismus wie abgeschnitten ist. Und das so radikal, daß die Deutschen heute sich gar nicht mehr daran erinnern, was einmal ihre wirklich deutsche Tradition war. Das Dritte Reich sehe ich dagegen eigentlich ganz und gar nicht in unserer kulturellen Tradition stehend. Und folglich schenke ich dem auch keinen Glauben, wenn heute oft der Eindruck erweckt wird, als sei das, wofür das Dritte Reich stand, typisch deutsch. Zum Beispiel beim Thema Fremdenfeindlichkeit: Es wird gern so getan, als sei das unsere historische Tradition. Die Deutschen sind traditionell fremdenfeindlich! So ein Unsinn, wer das behauptet, hat keine Ahnung. Das haben sich die Nazis so gewünscht, und heute tun ihnen unglücklicherweise noch immer viel zu viele von linker Seite den Gefallen und reden uns ein, das träfe tatsächlich zu. Ich würde gerne an das ganz andersartige Deutschland vor 1933 anknüpfen, auch weil das Deutschland nach 1933 nicht mehr viel mit Deutschland zu tun hat.

Können Sie auch schon den entsetzten Aufschrei hören: "Heppner will das Dritte Reich ausblenden!"

Heppner: Ich will nichts ausblenden, ich finde die kritische Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich sehr, sehr, sehr gut! Ich bin nur dagegen, daß wir uns immer nur auf die zwölf Jahre Nazis fixieren, wenn es um die deutsche Geschichte und Kultur geht. Als ich vor zwanzig Jahren meine ersten Gehversuche in puncto politischem Denken gemacht habe, fand ich es gut und richtig, daß die Deutschen wegen der Zeit des Nationalsozialismus auf Patriotismus verzichten. Dann hatte ich zwischenzeitlich meine Probleme damit: Denn in der Realität hieß das, daß man sich gar nicht mehr auf Deutschland beziehen durfte und immer und ständig bei allem übervorsichtig sein muß, sogar dann, wenn es überhaupt nichts mit Nationalismus zu tun hatte. Man wagte ja kaum mehr in der Öffentlichkeit das Wort Deutschland in den Mund zu nehmen. Irgendwann wurde es wirklich albern. Die Diskussionen, die sich aus diesen Selbstverboten ergaben, waren in der Regel längst nicht mehr dem Thema angemessen. Da wurde zumeist nur noch über Unterstellungen diskutiert, die nichts mehr mit dem ursprünglich Gemeinten zu tun hatten.

Warum passierte das?

Heppner: Ich hatte oft das Gefühl, daß viele Leute diese Diskussionen dazu benutzten, um für sich ein moralisches Alibi zu schaffen, um aus dem Schneider zu sein, um sagen zu können: "Ich war es doch, der diese Diskussion so und so geführt hat!" Oder: "Ich war es doch, der den und den wegen seiner Deutschland-Äußerungen angeklagt hat!" Heute nehme ich in dieser ganzen Frage eine Mittelposition ein: Ich bin gegen diese übertriebene Deutschlandfurcht, aber ich finde es gut, daß wir unsere Nationalität und unseren Patriotismus reflektieren. Ich sehe uns Deutsche mit dieser Errungenschaft sogar im Vorteil gegenüber anderen Ländern wie etwa den USA, denen das auch mal ganz guttäte.

Für besagten Georg Diez sind das alles nur Beschwichtigungen, er kritisiert Ihre "Mittelposition" als "historisch abwaschbar", Sie zelebrierten naiv die Nation gegen die "Kausalität" der Geschichte.

Heppner: Auch wenn wir keine Deutschen mehr sein wollen, für alle anderen werden wir immer Deutsche bleiben! Und selbst wenn Europa vereint ist und es keine Grenzen mehr gibt, wird weiter gelten: Das ist ein Italiener, das ein Franzose und das ein Deutscher. Aus der Nation kommen wir gar nicht raus. Und das ist auch gut so, denn wir wollen doch nicht, daß alles vereinheitlicht wird. Wir wollen doch die Vielfalt der Kultur in Europa erhalten. Ich jedenfalls möchte nicht, daß wir auch nur auf eine Sprache oder eine Kulturlinie verzichten, weil wir meinen, mal alles kräftig durchmischen zu müssen.

Dann stellt sich aber die Frage, ob Sie auf der Linken gut aufgehoben sind.

Heppner: Einerseits ja, denn ich finde, daß wir Linken den Anspruch haben sollten, auch für unsere Nation zu stehen. Dies den Rechten überlassen zu haben, betrachte ich als einen Fehler. Andererseits, wenn ich den klassischen linken Internationalismus zugrunde lege, dann ist dieser auch nichts anderes als eine Form der Globalisierung - nur unter anderen Vorzeichen. Also muß ich mich in der Tat ehrlicherweise fragen, wie ich das Ziel der Erhaltung der Kulturräume mit meiner Position als Linker vereinbaren kann.

Und, wie tun Sie das?

Heppner: Schwierig, ich habe darauf noch keine endgültige Antwort gefunden. Das Problem erfordert wohl, daß man sich damit auseinandersetzt, und das ist von der Linken verpennt worden. Die Staats-, National-, und Kulturdebatten hat sie anderen überlassen. Nicht sehr schlau.

Sie haben beschrieben, wie Sie erst im Lauf der Zeit die Nation entdeckt haben - etwas früher allerdings als andere "linke Entdecker" wie derzeit Matthias Matussek oder Florian Langenscheidt. Wie aber gedenken Sie und Ihre Mitentdecker mit den "Ureinwohnern" dieses Landes, den "Rechten", umzugehen? Werden Sie es wie die Spanier machen und sie ausrotten?

Heppner: Von Voltaire stammt der Satz: "Ich verabscheue, was Sie sagen. Ich werde aber Ihr Recht, es zu sagen, bis zum Tod verteidigen." Natürlich möchte ich nicht, daß die Inhalte der Rechten politisch umgesetzt werden, und alles, was sich selbst als von Natur aus überlegen und anderes für minderwertig erklärt, finde ich inakzeptabel. Aber ich finde grundsätzlich auch, daß es richtig ist, daß jeder für seine Meinung stehen darf. Und jenseits des Chauvinismus gibt es auch ein rechtes Spektrum, das - auch wenn es mir nicht paßt - sagen dürfen muß, was es denkt. Ich finde, es soll es sogar sagen! Gerade aus demokratischer Sicht ist es wichtig, daß diese Rechten sich artikulieren! Denn schließlich sind auch sie ein Teil unserer Gesellschaft. Die Linke kann sie nicht verbieten und ausgrenzen, sondern hat sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch, daß man das, was sie sagen, nicht einfach abtut, sondern sich den Argumenten stellt. - Natürlich vom linken Standpunkt aus: um sie am Ende möglichst zu überzeugen.

Alarm! Sie haben soeben den antifaschistischen Konsens verletzt.

Heppner: Nein, gerade aufgrund unserer Geschichte bin ich als Linker dazu verpflichtet: Gerade als Linker habe ich nicht das Gespräch abzubrechen, keine Bücher zu verbieten, darauf zu verzichten, Debatten mit Totschlagargumenten zu ersticken. Daß das problematisch ist, gebe ich zu, und auch daß ich manchmal wirklich ratlos bin, wie man angesichts bestimmter Probleme richtig reagieren soll. Aber ich bin doch der Demokrat, und ich habe die Werte der Demokratie, indem ich sie überzeugend vorlebe, mit Leben zu erfüllen. 

 

Peter Heppner ist seit 1991 durch sein Projekt Wolfsheim, aber auch durch zahlreiche Gastauftritte (Schiller, Goethes Erben), vor allem aber durch seine Zusammenarbeit mit dem 2005 zum "populärsten DJ der Welt" (DJ-Magazine) gewählten Paul van Dyk bekannt geworden. 1998 produzierte er zusammen mit Joachim Witt den Skandal-Hit "Die Flut", 2004 - ursprünglich als Auftragsarbeit für die ZDF-Dokumentation "Das Wunder von Bern. Die wahre Geschichte", für die der Titel aber nicht mehr rechtzeitig fertig wurde - den Plattenerfolg "Wir sind wir. Ein Deutschlandlied" (Urban/Universal Music). Linke Kritiker sehen in Musikern, die sich wie Heppner, Mia oder Fler positiv auf das eigene Land beziehen, eine gefährliche "Nationalisierung der Popkultur". Am 3. Oktober 2005 führten Heppner und van Dyk "Wir sind wir" im Rahmen des offiziellen Festaktes zum Tag der Deutschen Einheit zusammen mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg auf. Geboren wurde Heppner 1967 in Hamburg.

 

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