© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Holpriges Gedenken
Erinnerungspolitik: Seit zehn Jahren verlegt der Künstler Gunter Demnig "Stolpersteine" zur Erinnerung an ermordete Juden
Anni Mursula

Aus Reflex wird der Fuß im letzten Augenblick zur Seite gezogen. Auf dem Boden glänzt etwas goldenes. Beim näheren Betrachten erweist sich das unbekannte Objekt als eine in den Boden eingesetzte zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatte. Darauf ist zu lesen: "Isidor Loewe, geboren 1892, deportiert 1940 nach Gurs, ermordet 1942 in Auschwitz". Über diesen "Stolperstein" in Freiburg, verlegt von dem Kölner Künstler Gunter Demnig, stolpert man wortwörtlich, zumindest beim ersten Mal. Die alltäglichen Gedanken werden auf das Schicksal des Menschen aufmerksam gemacht, dessen Name hier verewigt wurde. Fragen stellen sich: Was genau ist mit der Person passiert? Wer war der Mensch, der vor 65 Jahren genau hier entlanggelaufen ist und in diesem Haus wohnte? Für einen kurzen Moment erfolgt ein individualisiertes Gedenken an eine bestimmte Person und ihre Geschichte.

Seit 1996 hat der 1947 geborene Demnig fast 6.000 Stolpersteine in rund hundert deutschen Städten und Ortschaften verlegt. Demnig setzt jeden Stolperstein für die Opfer des Nationalsozialismus persönlich. Die Recherche zu den einzelnen Schicksalen, an die mit den Steinen erinnert werden soll, übernehmen Bürgerinitiativen, Schulklassen und private Initiatoren, die sogenannten "Paten". 95 Euro pro Stein zahlen sie an den Künstler. In einem Interview verwahrte sich Demnig gegen Vorwürfe, er bereichere sich an den Steinen. Nach seiner Ansicht könne man von solchen Beträgen unmöglich reich werden. Der Gesamtbetrag, den er damit verdient hat, läßt sich leicht nachrechnen: In den vergangenen zehn Jahren müßte der Künstler mit dieser Aktion knapp 600.000 Euro eingenommen haben.

Auf viel Widerstand stößt Demnig mit der Aktion nicht. Im Gegenteil: Bisher haben sich nur zwei Städte, München und Krefeld, gegen die Stolpersteine entschieden. Der Stadtrat von Krefeld beschloß 2005, daß auf dortigen Bürgersteigen keine Erinnerung an deportierte Opfer des Nationalsozialismus gewollt wird. Auch in München war man gegen diese Art des Gedenkens. Der Stadtrat entschied sich bereits im Jahr 2003 dagegen. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) warnte vor einer "Inflationierung der Gedenkstätten". In beiden Städten entfachte die Entscheidung massive Diskussionen unter den Bürgern, die sich vor allem in der Presse niederschlugen. Der Stadt München wurde vorgeworfen, sie arbeite ihre Geschichte während des Nationalsozialismus nicht auf und biete somit eine Keimzelle für rechtsextremistisches Gedankengut, statt ihrer deportierten jüdischen Mitbürger ausreichend zu gedenken.

Knobloch nennt Initiatoren "Gedenktäter"

Viele der Ankläger ignorierten, daß sich in beiden Städten auch die jeweilige jüdische Gemeinde ausdrücklich gegen die Stolpersteine ausgesprochen hatte. Vielen vom Holocaust selbst betroffenen Menschen war diese Art des Gedenkens "abscheulich, entsetzlich und unerträglich". Unter anderem, weil die in den Boden eingesetzten Stolpersteine mit den Füßen getreten würden und außerdem für viele zu alltäglich seien. Zudem könne ein Künstler unmöglich allen Opfern des Nationalsozialismus einen Stein legen. Dadurch ergebe sich das Problem, wer die Auswahl treffe und für wen.

Auch die damalige Leiterin der Jüdischen Gemeinde in München, Charlotte Knobloch, inzwischen Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, äußerte damals heftige Kritik gegen die Stolpersteine. In einer Rede bezeichnete sie die Initiatoren der Stolpersteinaktion als "Gedenktäter". Dennoch setzte Demnig im Jahr 2004 auf eigene Faust in München zwei Stolpersteine - mit dem Ergebnis, daß die Stadt diese wieder entfernen ließ.

Wie viele andere Städte entschied sich der Freiburger Gemeinderat 2002 einstimmig für die Stolpersteine. Die Hauseigentümer würden dort grundsätzlich nicht nach ihrer Meinung zu den Gedenktafeln gefragt. "Natürlich nicht", sagt Marlis Meckel, Initiatorin der Stolpersteinverlegung der Stadt, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Denn genau das sei "der Trick". Der Bürgersteig sei öffentlicher Raum. Nachdem sich Freiburg für die Steine entschieden hat, hätten die Hauseigentümer nichts mehr zu sagen. Und das sei auch gut so.

Kritisch ist allerdings, daß Meckel sich bei früheren Aktionen nicht scheute, auch mit vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingeordneten Organisationen wie der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) zusammenzuarbeiten.

Nicht alle in Freiburg sind glücklich über die Art, wie die Stolpersteine verlegt werden. Viele Hauseigentümer würden gerne zumindest gefragt werden. So ging es auch der katholischen CV-Verbindung Hohenstaufen zu Freiburg. Vor ihrem Haus wurde der Stolperstein für Isidor Loewe gelegt, der dort bis zu seiner Deportation 1940 wohnte. Daß die Hohenstaufen ihr Haus an dieser Stelle erst 1957 bauten und damit keinen Bezug zu dem Deportierten haben, bleibt zumindest dem vorbeieilenden Passanten verborgen. Die Mitglieder der Verbindung sind nach eigenen Angaben nie gefragt worden, ob sie mit dem Stein zur Erinnerung an Isidor Loewe, von dem sie zuvor nie etwas gehört hatten, vor ihrem Haus einverstanden seien. Sicher hätte die Verbindung keine Einwände gehabt, sagen die Hohenstaufen. Es sei nur merkwürdig, wenn so ein Gedenkstein ohne Ankündigung vor der eigenen Haustür auftauche.

Gunter Demnig erhielt im vergangenen Oktober das Bundesverdienstkreuz von Bundespräsident Köhler für seine Stolpersteine. Als Dankeschön brachte der Künstler dem Präsidenten einen Stolperstein mit, gewidmet dem Maler Max Liebermann, für den er Köhler die Patenschaft anbieten wollte. In einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk sagte Demnig: "Liebermann ist zwar 1935 nach einer Krankheit gestorben und nicht im Holocaust, aber er wäre von den Nazis genauso verfolgt und umgebracht worden wie seine Frau Martha." Für Martha habe er schon einen Stein verlegt und wolle die Eheleute nun endlich durch nebeneinander gesetzte Steine vereinen.

Damit wird die geschichtliche Präzision der Aktion zweifelhaft. Auch Knoblochs Bezeichnung der Initiatoren als "Gedenktäter" wirkt angesichts dessen gar nicht mehr so weit hergeholt.

Foto: Demnig setzt in München zwei Stolpersteine: Eigenmächtig


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