© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Mehr Geld für weniger Kleine
Bildungsstudie: Kindergartenpflicht ab vier, mehr Ganztagsschulen / Querfinanzierung über Studiengebühren
Josef Hämmerling

Nicht erst seit der umstrittenen Pisa-Studie gilt der Bildungsstandard der deutschen Schüler als einer der schwächsten unter den führenden Industrienationen. Wie notwendig eine umfassende Bildungsreform ist, zeigt sich neben den Ergebnissen der Pisa-Studie (Platz zehn) auch aus der internationalen Grundschulstudie Iglu, bei der Viertkläßler unabhängig vom Lebensalter getestet wurden. Hier liegt Deutschland ebenfalls unter dem Durchschnitt auf dem achten Platz. Dies schwächt nicht nur die Arbeitsmarktchancen der Jugendlichen, sondern gleichzeitig auch die deutsche Wirtschaft allgemein - wie man erst kürzlich an der Diskussion um mehrere tausend fehlende Ingenieure im deutschen Flugzeugbau sehen konnte.

Bildungsausgaben unter dem OECD-Durchschnitt

Wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jetzt in einer Berechnung feststellte, gab Deutschland zuletzt rund 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus. Der OECD-Durchschnitt beläuft sich nur unwesentlich höher auf 5,8 Prozent. Diese Differenz liegt vor allem darin begründet, daß die Pensionsrückstellungen für Lehrer in der deutschen Statistik nicht korrekt erfaßt wurden. Pro Kopf berechnet werden in Deutschland pro Schüler und Student sogar 7.130 Dollar aufgewendet. Im Durchschnitt der Industrieländer sind es dagegen nur 6.690 Dollar.

Doch das Problem der deutschen Bildungsmisere ist nach Ansicht des Kölner Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) neben der falschen Verwendung der Gelder vor allem auch die derzeit geltende Regelung, daß Eltern für die Erziehung in den Kindergärten bezahlen, während Studenten keinen Beitrag für ihre Ausbildung leisten müssen. So liegt der private Finanzierungsanteil für Kindergärten in Deutschland bei rund 25 Prozent, während es im OECD-Durchschnitt lediglich 18 Prozent sind. Genau umgekehrt ist es bei der Hochschulfinanzierung. Während der Privatanteil hier bei nur gut acht Prozent liegt, sind es im Durchschnitt der OECD-Staaten 22 Prozent.

Nach Ansicht des arbeitgebernahen Instituts wäre die Verteilung aber genau andersherum optimal, da gerade junge Familien mit Kindern oftmals wenig Geld haben und dann vor allem an einem sparen: dem Kindergarten. Dabei seien gerade die Kindergärten für die Entwicklung der Kinder sehr wichtig, da sie nicht nur das Miteinander fördern, sondern auch etwaige Sprach- und Wissensdefizite verringert werden können. Dagegen würden in den späteren Bildungsphasen überwiegend Qualifikationen vermittelt, die sich vor allem für den Einzelnen privat in Euro und Cent auszahlten, argumentiert das IW.

Das Institut hat daher einen Vorschlag für eine Bildungsreform entwickelt, die all diesen Forderungen gerecht werden soll - aber angeblich keinen Cent mehr kosten soll als die bisher ohnehin schon ausgegebenen 110 Milliarden Euro. Die Kernpunkte dieses bis ins Jahr 2020 reichenden Plans sind der Ausbau der Ganztagesschulen, die Schaffung von mehr Plätzen in den Kindergärten und vor allem der dortige Pflichtbesuch aller Kinder ab dem vierten Lebensjahr.

Die Gebühren hierfür würden während der Pflichtzeit zukünftig vom Staat übernommen und die Erzieher aufgrund ihrer verbesserten Ausbildung höher bezahlt. Daneben müsse der Staat mehr Mittel einsetzen, um etwa Kinder mit sozialen Handikaps und Sprachdefiziten zu fördern.

Den hierfür notwendigen Mehrausgaben von rund 20 Milliarden Euro stehen nach Angaben des IW Einsparungen durch Effizienzgewinne und weniger Schüler gegenüber. Hierdurch könnten rund 10,5 Milliarden Euro eingespart werden. So könnten etwa alleine durch eine Herabsetzung des Einschulungsalters von sechs auf fünf Jahre fast drei Milliarden Euro eingespart werden. Weitere Kosteneinsparungen seien durch die - aufgrund der besseren Schulausbildung - sinkenden Sitzenbleiberzahlen zu erwarten. Ein Abitur nach zwölf Jahren sowie eine Umstellung an den Hochschulen auf kürzere Bachelor- und Masterstudiengänge nach US-Vorbild seien weitere geeignete Mittel, die Bildungskosten zu senken, behauptet das IW.

Die noch fehlenden zehn Milliarden Euro bringe der demographische Wandel, rechneten die Kölner vor. Denn was der Gesetzlichen Rentenversicherung Sorgen mache, wirke sich an den Schulen "positiv" aus: So werden die Schülerzahlen im Jahr 2020 an den Grundschulen um elf Prozent und an den Schulen der Sekundarstufe 1 sogar um 23 Prozent niedriger als derzeit liegen. Zwar werde die Zahl der Studenten im gleichen Zeitraum um fünf Prozent steigen, hier werde der finanzielle Mehraufwand allerdings durch die Einführung von Studiengebühren aufgefangen.

Kostenlose Kindergärten, private Studiengebühren

Dieses Konzept hat dem IW zufolge gleich mehrere positive Effekte: So würde der private Finanzierungsanteil bei den Kindergärten von 25 auf 2,4 Prozent zurückgehen, während er bei den Hochschulen von acht auf 27 Prozent steigen werde. Die staatlichen Bildungsausgaben dagegen würden pro Kindergartenkind hierzulande von 5.000 auf 6.360 Dollar steigen und je Grundschüler von 4.500 Dollar auf 5.700 Dollar. Neben einer allgemein besseren Bildung der Schüler lasse sich so zusammen mit einer Verschiebung des Renteneintrittsalters auch die Lebensarbeitszeit der Akademiker um etwa ein Fünftel erhöhen.

Die längere Schaffensperiode ist allerdings zwingend notwendig, denn die derzeit in einigen unionsregierten Bundesländern üblichen 500 Euro pro Semester werden bei weitem nicht ausreichen, um den auf über ein Viertel anvisierten privaten Finanzierungsanteil eines Studiums zu decken.

Foto: Institut der deutschen Wirtschaft Köln: Bildungsfinanzierung und Bildungsregulierung in Deutschland - Eine bildungsökonomische Reformagenda, Deutscher Instituts-Verlag 2006, 320 Seiten, gebunden, 48 Euro


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