© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Pankraz,
C. Knobloch und der neue Satanskult

Schwachsinnig meint der ursprünglichen Wortbedeutung nach "mit schlechten Wahrnehmungsorganen geschlagen": schlechtes Nachsehen, schlechtes Zuhören, schlechtes Vergleichen. Insofern waren bestimmte, letzte Woche bekanntgewordene Auslassungen von Charlotte Knobloch, der neugewählten Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, tatsächlich schwachsinnig. Hoffentlich läßt sich das heilen.

Frau Knobloch sagte (laut Presseagentur AP), daß im deutschen Bildungswesen das Thema "Holocaust" viel zu wenig behandelt werde und daß man das umgehend ändern müsse. Das ganze Unterrichtswesen sollte deshalb umgestellt werden. Zitat Knobloch: "Es ist dringend notwendig, den Geschichtsunterricht neu zu gestalten, weil das Thema Nationalsozialismus darin viel zu kurz kommt."

Knobloch plädiert dafür, den Nationalsozialismus regelrecht aus dem regulären Geschichtsunterricht auszugliedern und daraus ein eigenes Schulfach zu machen. "Das müßte gesetzlich so geregelt werden, daß es bundesweit gilt", sagt sie. Denn nur so könne die kontinuierliche Finanzierung des Projekts gesichert werden. Außerdem müsse die Lehrerausbildung in Hinblick auf das Projekt "vollkommen neu" konzipiert werden, was immer das im einzelnen heißen mag.

Es kann an sich nur heißen, daß die "normalen" Geschichtslehrer, zumindest ab einer gewissen Lehrplanstufe, durch extra ausgebildete, respektive eingewiesene (und hochdotierte) "Holocaustlehrer" ersetzt werden. Diese dozieren dann nicht nur über die Ereignisse in den Jahren zwischen 1933 und 1945, sondern betreiben auch Ursachen-Darstellung, Völkerpsychologie, Ethnologie und dergleichen, d.h. sie rollen den ganzen Geschichtsprozeß noch einmal nach hinten auf und setzen dabei die "richtigen", nämlich durch endgültige Forschung festgelegten und durch Strafgesetze vor Aufweichung geschützten Akzente.

Eine gespenstische Perspektive tut sich auf: der Geschichtsunterricht als Dogmenpaukstunde, als ein Religionsunterricht ohne Gott und selbstverständlich für alle Schüler obligatorisch, ja über-obligatorisch, dergestalt, daß die Noten, die in diesem Fach verteilt werden, für jeden Abgänger lebensentscheidend sein würden, über seine künftigen Karriere-Chancen mehr entschieden als jedes Spezialfach, Mathematik etwa, Fremdsprachen oder Musik.

Hätten solche Pläne Aussicht auf Verwirklichung, dann ginge eine wahrhaft wichtige Sache endgültig den Bach hinunter: der schulische Geschichtsunterricht als Freiheitsangebot, als Aufforderung zum eigenen Forschen und unvoreingenommenen Sichvertiefen in die Abenteuer der Altvorderen und in die originalen Quellen, die darüber Auskunft geben. Ein derartiger Geschichtsunterricht stand einst ebenbürtig neben dem gleichzeitig aufkommenden Naturkundeunterricht, Physik und Chemie. Er war eine große Errungenschaft der Aufklärung, vielleicht die größte.

Bedroht war diese Errungenschaft schon immer. Pfaffenschaften der unterschiedlichsten Couleur, diktatorische Regimes, zeitgeist-beflissene Schulaufsichtsbehörden mischten sich ein und verlangten ihr Pfund Fleisch. Immer aber fanden sich genügend Geschichtslehrer, die die behördlichen Auflagen erfolgreich zu umschiffen wußten und mit wahrer Begeisterung, exzellentem Wissen und echtem historischen Sinn für farbige Abläufe und dramatische Zuspitzungen Zeugnis gaben von dem, was wirklich passiert war. Genau aus diesem Humus erwuchsen die großen neuzeitlichen Geschichtsforscher, von Ranke bis Mommsen (Theodor), von Droysen bis Mann (Golo).

Heute erwachsen aus dem Geröllboden unseres - Charlotte Knobloch zum Trotz - längst zur öden Dogmenpaukstunde entarteten Geschichtsunterrichts höchstens noch dümmliche kleine Denunziations-Storys der Enkelgeneration mit Titeln wie "Und Opa war doch ein Nazi". Der Sinn und das Interesse für historische Forschung ist vollkommen verkümmert, man weiß nichts, nur alles besser, und die infantile Ignoranz breitet sich immer weiter aus, im selben Takt, in dem immer mehr Forschungsgebiete offiziell für "endgültig erforscht" erklärt werden und die Forschungsergebnisse nur noch mit harmlosen Details angereichert werden dürfen.

Um die Misere zu beheben, wäre genau der gegenteilige Weg zu dem, den Frau Knobloch weist, einzuschlagen. Holocaust und Nationalsozialismus sollten nicht aus dem Geschichtsunterricht ausgegliedert und zu einem eigenen Fach aufgebläht werden, sondern sie sollten mit größtem Überblick in den allgemeinen Unterricht eingefügt werden, Jede Eindimensionalität beim Erklären und Ursachen-Erforschen ist, gemäß dem wahren Geist geschichtlicher Forschung, zu vermeiden. Alle zur Verfügung stehenden Quellen müssen erschlossen, alle überlieferten Stimmen angehört und sorgfältig miteinander verglichen werden.

Die geforderte Forcierung des Unterrichts über den Nationalsozialismus kann nur in einer strikten Verwissenschaftlichung und Historisierung dieses Unterrichts bestehen. Andernfalls würde sie zur Etablierung eines "neuen Fachs" führen, das wohl kaum jemand will: einer Art negativem Satanskult, mit dem sterblichen Menschen A. H. als quasi-göttlichem Überdämon, als geradezu gnostischem Gegenwurf gegen die Schöpfung, wie sie nun einmal ist, womöglich noch mit dem Bedeuten, daß alle, die an dieser - streckenweise doch recht miserablen - Schöpfung etwas kritisieren oder gar ändern wollen, automatisch des Teufels seien.

Unsere Schulbehörden müßten nicht nur schwachsinnig, sie müßten verrückt sein, wenn sie bundesweit ein solches Fach installierten. Freilich, zuzutrauen wäre es einigen. Glücklicherweise steht dem (bisher noch) der deutsche Bildungsföderalismus entgegen - und, last but not least, die Knappheit der öffentlichen Kassen. Die Chancen stehen gut, daß dieser Kelch an uns vorübergeht.


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