© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Farbe der Barbaren
Politische Zeichenlehre II: Squadra Azzura
Karlheinz Weissmann

Blau" hat gesiegt, die italienische Nationalmannschaft, wegen ihrer blauen Trikots "Squadra Azzura" genannt, errang den Titel des Fußballweltmeisters. Die Straßen der italienischen Städte sah man in das Blau der "Tifosi" getaucht, dazwischen das kräftige Grün-Weiß-Rot der italienischen Trikolore.

Blau ist heute die beliebteste Farbe der westlichen Welt. Seitdem am Ende des 19. Jahrhunderts begonnen wurde, entsprechende Umfragen durchzuführen, wuchs die Zustimmung in Europa, den amerikanischen Staaten, aber auch in den ehemaligen Siedlungskolonien in Übersee. Mittlerweile scheint die Sympathie sogar darüber hinauszugehen. Auch die japanische Mannschaft lief in blauen Trikots auf, dem "Samuraiblau", wie ihre Fans meinten, obwohl die bevorzugte Farbe ihrer Heimat traditionell das Schwarz war.

Der Siegeszug des Blau ist relativ neuen Datums. Es findet sich in keiner Höhlenmalerei, so farbenprächtig sie sonst ausgestattet waren. In der Antike spielte es - mit Ausnahme Ägyptens - keine Rolle. Die klassischen Texte haben kein Wort dafür, auch die Bibel kennt es nicht, sondern umschreibt es bloß.

Wahrscheinlich spielte die schwierige Herstellung eine Rolle, auch das Problem der Haltbarkeit, aber es gibt auch Indizien für einen grundsätzlichen Vorbehalt. Den Römern galten die blauen Augen einer Frau als Ausdruck ihres schändlichen Lebenswandels. Blau war die Farbe der Barbaren, vor allem der Germanen, die sie offenbar früh geschätzt haben. Infolgedessen wurde die Bezeichnung für Blau in den romanischen Sprachen auch immer aus den barbarischen Idiomen, eben dem deutschen "Blau" oder dem arabischen "Azraq" übernommen.

Der Zusammenhang erklärt auch das Fehlen in der kirchlichen Liturgie, deren Farben auf karolingische Zeit zurückgehen. Erst im 12. und 13. Jahrhundert veränderte sich die Wertschätzung, und das am deutlichsten bei der Darstellung des Himmel in leuchtend blauer Farbe und des göttlichen "blauen" Lichts in den Kirchenfenstern der Gotik. Die "Hauptagentin" (Michel Pastoureau) dieses Wandels war die Himmelskönigin Maria mit ihrem blauen Mantel. Ihre Verehrung durch die französischen Könige hat dann dazu geführt, daß Blau seit dem Ende des Mittelalters als französische Nationalfarbe galt.

Die Gleichsetzung war so selbstverständlich, daß auch die Französische Revolution nichts daran geändert hat. Wegen ihrer Uniformen nannte man die Republikaner "die Blauen" im Gegensatz zu "den Weißen", den Royalisten, die ihre Bezeichnung von der Livreefarbe des Königshauses Bourbon ableiteten. "Blaue" hießen dann im amerikanischen Bürgerkrieg die Truppen und Anhänger der Nordstaaten wegen ihrer Waffenröcke, ohne daß das darüber hinausreichende Bedeutung erhielt.

Die Ruhe, die die Farbe ausstrahlt, macht sie eigentlich ungeeignet als Parteifarbe. Die Romantik schätzte sie besonders als Farbe der Nacht und der "Tiefe"; die "blaue Blume" war Ausdruck der Sehnsucht nach der Einheit von Natur und Geist. Von hier aus lag nur die Übernahme durch die Konservativen nahe, als deren Parteifarbe Blau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschien. Da war die revolutionäre Zuordnung längst vergessen, in Großbritannien sprach man von "tory blue" und in Deutschland - wieder wegen der Uniformfarbe - von "preußischblau". Das Blau der Kornblume, der Lieblingsblume von Königin Luise und Wilhelm I., fand sich bis in die Weimarer Zeit in den Emblemen patriotischer Verbände, und noch im Österreich der Nachkriegszeit standen die "Blauen" der FPÖ gegen die "Schwarzen", also Klerikalen, der ÖVP, und die "Roten", also Sozialisten, der SPÖ.

Aber das alles spielte natürlich keine Rolle für den Entwurf des Trikots der Squadra Azzura. Deren Farbe hat der italienische Modeschöpfer Domenico Dolce ohne jeden historischen Bezug erklärt: "Weil in Italien alles blau ist. Das Meer, der Himmel - einfach alles."

Die JF-Reihe "Politische Zeichenlehre" wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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