© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Frisch gepresst

Rudolf Smend. Seit dem späten 20. Jahrhundert erodiert das Gewaltmonopol des Staates, was die Rechts- und Sozialwissenschaften mit einer gewissen Ratlosigkeit zu ihrem Dauerthema gemacht haben. Zumal der Verfall nationaler Staatlichkeit im europäischen Raum eben nicht dem Brüsseler Superstaat zugute kommt. Daß sich eine europäische Staatlichkeit gar nicht erst formiert, während die nationale Staatlichkeit in der Krise steckt, ist eine Folge schwindender Legitimität der Herrschaft. In so einer Lage ist guter Rat teuer: Wie erhöht man die Folgebereitschaft der Beherrschten? Wie "bindet" man "die Massen", wie organisiert man "politische Einheit" in Gesellschaften, die zumindest in Europa und Nordamerika, immer "multiethnischer" und "multikultureller" werden? Das Zaubermittel heißt "Integration", und mit der inflationären Verwendung dieses Begriffs in aktuellen Debatten muß zwangsläufig die Wiederentdeckung des Staatsdenkers Rudolf Smend (1882 -1975) einhergehen. Roland Lhotta, Politologe an der Hamburger Helmut-Schmidt-Bundeswehr-Universität, hatte daher keine Mühe, Beiträge einzuwerben, um den Untertitel seiner Aufsatzsammlung "Zur Aktualität der Integrationslehre von Rudolf Smend" (Die Integration des modernen Staates, Nomos Verlag, Baden-Baden 2005, 213 Seiten, broschiert, 29 Euro) zu rechtfertigen. Allen voran, die Brüsseler Malaise beleuchtend, steht hier Achim Hurrelmann, der prüft, ob sich die Integrationslehre als "Theorie eines supranationalen Konstitutionalismus" eignet.

Despoten und Diktatoren. War die deutsche Politikwissenschaft noch in ihrer westdeutschen Frühzeit weitestgehend "Demokratiewissenschaft", signalisiert heute eine schier unüberschaubare Flut einschlägiger Titel, daß diese Wissenschaft inzwischen zur universalistische Heilslehre von den "Menschenrechten" mutiert ist. Inmitten eines solchen intellektuellen Konformismus, von dessen kulturindustrieller Tristesse sich auch Max&Teddy nie eine Vorstellung hätten machen können, sorgt Heinz-Gerd Schmitz' schmaler Band mit dem schönen Untertitel "Philosophische Theorien des Despotismus, der Diktatur und des Totalitarismus" für erfrischende Abwechslung (Die dunkle Seite der Politik. Duncker&Humblot, Berlin 2005, 180 Seiten, broschiert, 64 Euro). Natürlich treibt es Schmitz nicht so weit, uns mit einer Apologie der Tyrannei zu bedienen. Vielmehr mündet sein ideengeschichtlich von Platon über Locke, Montesquieu und Kant bis zu Hannah Arendts Totalitarismustheorie führendes Unternehmen doch nur wieder im Café Zeitgeist, wo allenfalls die Diktatur der Langeweile das Szepter schwingt. Denn Despotien und Diktaturen bilden für den in Köln lehrenden Philosophen Schmitz lediglich die negative Kontrastfolie, um einen Gandhi-Begriff des Politischen im "Geist der Duldsamkeit" zu formulieren.


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