© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Pandämonium bundesdeutscher Geistlosigkeit
Florian Langenscheidt präsentiert 250 teilweise eigentümliche Gründe, warum er Deutschland doch nicht so schlecht findet
Michael Kreuzberg

Nun dürfen wir also wieder. "250 Gründe, unser Land zu lieben", lautet der Untertitel der Mammutschwarte "Das Beste an Deutschland", 528 Seiten stark, 27 Zentimeter hoch, 23 Zentimeter breit, fünf Zentimeter dick und etwa drei Kilogramm schwer, mit 251 großformatigen, farbigen Abbildungen auf Hochglanzpapier. Gründe? Liebe? Gründe für Liebe?

Heinrich von Kleist wies in seinem "Katechismus der Deutschen" empört die Unterstellung zurück, er liebe sein Vaterland "weil es Gott gesegnet hat mit vielen Früchten, weil schöne Werke der Kunst es schmücken, weil Helden, Staatsmänner und Weise, deren Namen anzuführen kein Ende ist, es verherrlicht haben". Da seien Rom und Ägypten den Deutschen doch weit überlegen gewesen. Nein, er liebe sein Vaterland, eben "weil es mein Vaterland ist". Inzwischen sind zweihundert Jahre vergangen und jedes Schulkind kann heute einen anderen, volkspädagogisch wertvolleren Katechismus herunterbeten, warum die Vaterlandsliebe die Wurzel allen Übels ist.

Die Sache hat nur leider den Haken, daß derart depressiv gemachte Individuen schlechte Konsumenten sind. Der via WM entfesselte Fahnenschwenkerrausch, auf den die von nationalmasochistischen Entbehrungen ausgelaugten Deutschen sich stürzten wie auf eine Oase in der Wüste, hat dementsprechend den Markt angekurbelt. Daß die deutsche Identität außerhalb der WM-Saturnalien nicht unbedingt ein Honiglecken ist, zeigt sich unter anderem auch in den sinkenden Geburtenraten. Da sich auch das auf die Kasse auswirkt, werden hin und wieder skrupellose Werbegenies von der Leine gelassen, die krampfhaft versuchen, der geistig-kulturellen Ödnis der Merkel-Republik irgendeinen Funken von wirtschaftsnötigem Lebenswillen abzupressen.

"Deutsch sein" bedeutete einst nach Richard Wagner, "eine Sache um ihrer selbst willen zu tun". Auch das ist lange vorbei. Früher waren wir anständige Leut', aber so blöd sind wir nimmer! Die Knete muß stimmen, und das "Deutsche" soll so unverbindlich und universal applizierbar sein wie ein Preiskleber. Mit traumatischem Widerwillen erinnert man sich an die "Du bist Deutschland"-Realsatire, in der so mitreißende Identifikationsangebote wie Beate Uhse und Alice Schwarzer mit den unvermeidlichen Holocaust-Stelen, Kopfsockentürken und schwarzafrikanischen Fußballern kombiniert wurden. Pornographie, Bewältigungszerknirschung, Multikulti und Linksliberalismus als die Säulen eines neuen Gute-Laune-Patriotismus?

Das ist bei weitem nicht alles, worauf wir stolz sein können, versichert uns Florian Langenscheidt, Erbe des gleichnamigen Wörterbuch-Imperiums und Herausgeber von "Das Beste an Deutschland". Mit öligem Lächeln, windiger Frisur, routiniertem Optimismus und aufreizend selbstsicherer Siegertyp-Pose blickt er den mutlosen deutschen Michel auf den Vorwortseiten an, um ihm auf die Schulter zu klopfen und die getrübten Augen für die beste aller Bundeswelten zu öffnen. Die Innenseite des Buchdeckels ruft richtungsweisend die angeblichen "Glücksmomente der Deutschen" ins Gedächtnis, darunter so euphorisierende Knaller wie: "Günter Grass erhält den Nobelpreis". "Gerhard Schröder sagt 'Nein' zum zweiten Golfkrieg". "Das Maut-System funktioniert". "Der Transrapid wird tatsächlich gebaut". "Christo und Jeanne-Claude verhüllen den Reichstag". "Die Lichterkette 1992". "Alt-Bundespräsident Rau hält in deutscher Sprache seine bewegende Rede vor der Knesset". Wer es schafft, allein schon diese Aufzählung ohne Magenverstimmung und Suizidgedanken zu überstehen, darf seine Widerstandskraft an Langenscheidts einleitendem Text testen, einem wahren Meisterstück an abgedroschener, beinah selbstparodistischer Werbeheft-Prosa. Hier prasselt nämlich ein wahrer Regenguß weichgespülter nationalliberaler Platitüden auf den Leser herab. "Der Dalai Lama", heißt es da, "sagt sehr deutlich: Das Glück liegt in uns. Haß, Wut, Angst und schlechte Laune verengen unser Sichtfeld." Wir sollten wieder mehr "lächeln". "Wir sind Deutschland. Wir entscheiden, ob das Land klagend und schlechtgelaunt im Mittelmaß versinkt oder ob es souverän und selbstbewußt im Chor der Nationen an einer besseren Welt mitarbeitet." Letzteres heißt aber glücklicherweise nicht, daß wir von nun an einen aufrechten Gang annehmen müßten.

Neben anderen objektiv deprimierenden Dingen wie dem Kindermangel und unserem Absinken im "weltweiten Wettbewerb" waren wir doch "natürlich" von "1933 bis 1945 die barbarischste und unmenschlichste Nation der Welt und werden uns immer dafür schämen". "Zu Recht" assoziiere uns die Welt "weiterhin mit den dunklen Seiten unserer Geschichte", und "zu Recht" hängen wir "keine Flaggen vor unsere Häuser und kleben keine auf unser Autos".

Aber kein Grund zur Sorge: "Ein starker Baum braucht kräftige Wurzeln", und darum ist "eine konstruktive Sicht auf uns selbst" und eine "optimistische" auf unsere Schöne Neue Welt angesagt. Worüber sollen nun "die Oma, der Sohn, die Lehrerin, der Ehepartner oder der Arzt" "Dankbarkeit" empfinden, ihr angeknackstes Nationalbewußtsein aufpäppeln, sich "aus tiefster Seele heraus freuen"?

Über das BMW-Werk in Leipzig, na klar! Und über den BMW selber. Über die Automobilmesse in Frankfurt am Main. Über die Lufthansa, die Deutsche Post, die Sparkasse und den Airbus A380. Über den Nationalzeigefinger Günter Grass. Über Bully Herbig, Udo Jürgens und Stefan Raab. Über das Bier, die Wurst, die Bratwurst, die Münchner Weißwurst und das Sauerkraut (von Hengstenberg). Über Otto, den Katalog, und Otto, den Komiker. Über Dr. Oetkers Backpulver, Dr. Hauschkas Naturkosmetik und Hipps Babynahrung. Über Schwartaus Konfitüre, Haribos Gummibären, Tempos Taschentücher. Über den "Wir sind Papst"-Papst deutscher Abstammung Benedikt XVI. und den "religiösen" Poeten und Immigrationslobbyisten deutscher Zunge Xavier Naidoo. Über Hugo Boss, Karl Lagerfeld und Claudia Schiffer. Über Persil, Playmobil, Porsche und das Pfefferminzbonbon Vivil. Über Helmut Kohl, Angela Merkel und den Gartenzwerg. Über Alice Schwarzer, "Derrick" und das Grundgesetz. Und nicht zuletzt über Langenscheidts "Brockhaus", Langenscheidts "Duden" und Langenscheidts "Langenscheidt".

Das mag auf den ersten Blick unfair erscheinen, aber dem ist nicht so: Unter anderem durfte Jurymitglied Anton Graf von Faber-Castell für seine Bleistifte stimmen, Cosma Shiva Hagen für ihre Mama Nina, Helmut Markwort für Focus, Friede Springer für die Bild-Zeitung, und Franz Beckenbauer und Sabine Christiansen für sich selbst. Alles in allem ein durchaus repräsentatives Pandämonium bundesdeutscher Geistlosigkeit, eine danteske Vision einer akklimatisierten Konsumhölle, einer totalitären Talkshow-Harmlosigkeit. Eine aalglatte, bei vernünftigen Menschen Depressionen auslösende Neue-Mitte-Idylle mit milde konservativem Akzent. Deutschland, ein bunter Riesen-Supermarkt, in dem man es sich mit wurstfressender Selbstzufriedenheit bequem machen soll.

Das Ganze mit wirklichem Patriotismus und nationalem Selbstwertgefühl in Verbindung zu bringen, ist so überzeugend wie die Familie im Werbefernsehen, die vor einem Becher Fruchtzwerge in orgasmische Ekstase verfällt. Ähnlich suggeriert die deutsche Regierung, es gäbe tatsächlich irgendwen, der ernsthaft "stolz" gewesen wäre auf Raus, Köhlers, Fischers oder Merkels "selbstbewußte" Kniefälle. Wer diesen PR-Katalog für schlappe 39, 80 Euro auch noch kauft, um damit "die Oma" oder "den Sohn" oder sonst ein Opfer zu beglücken, hat wirklich nicht anderes verdient, als sich weiter vom bald links-, bald rechtsdrehenden cant der Langenscheidts dieser Welt das Gehirn waschen zu lassen. 

Florian Langenscheidt (Hrsg.): Deutsche Standards - Das Beste an Deutschland. 250 Gründe, unser Land heute zu lieben. Betriebswirtschaftlicher Verlag Gabler, Wiesbaden 2006, gebunden, 528 Seiten, Abbildungen, 39,80 Euro


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