© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Bespitzelung als Gesellschaftsspiel
Vergangenheitsbewältigung: In Berlin ist ein privates DDR-Museum eröffnet worden, das den Alltag in der Diktatur beleuchten soll
Ekkehard Schultz

Was war die DDR? Einfach nur ein anderer deutscher Staat, in dem die Produkte etwas andere Namen hatten, die Textilien etwas unangenehmer zu tragen waren, die Eisenbahn etwas langsamer fuhr und die Umweltverschmutzung etwas größer war als in Westdeutschland? Der aber im Gegenzug billige Mieten, mehr soziale Gerechtigkeit, kostenlose Kindergartenplätze und günstige Urlaubsreisen bot? Oder prägten das Leben in der DDR doch viel stärker elementare Unterschiede zu einem demokratischen Staatswesen, wie etwa die Existenz einer Einheitspartei, die sich als ständig bestehende "Elite" definiert und daher alle Entscheidungen von Bedeutung nach ihrem Klassenstandpunkt trifft, das Fehlen freier Wahlen, die fehlende Gewaltenteilung und die staatlichen Repressionen gegen Andersdenkende? Es sind Fragen, die sich seit vergangenem Samstag um so mehr stellen, nachdem das "DDR-Museum" zur Alltagskultur des untergegangenen kommunistischen Experiments in der Mitte der deutschen Hauptstadt eröffnet wurde.

Für den Berliner Senat und insbesondere Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) scheint die Beantwortung dieser Frage eindeutig zu sein: Nachdem zum Jahresende 2004 die Chefin des privaten Museums am Checkpoint Charlie Holzkreuze zur Erinnerung an die an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze Getöteten aufstellen ließ, um an einer zentralen Stelle der bis 1990 geteilten Stadt an das kommunistische Unrecht zu erinnern, schlug ihr nur wenig später ein großes Mißtrauen von seiten des Senats entgegen. Voller Verachtung sprach Flierl von einem "Disneyland". Zudem erinnerte er daran, daß es in erster Linie eine öffentliche Aufgabe sei, die Erinnerung an die staatliche Teilung wachzuhalten und eventuelle Lücken in der bisherigen Gedenkstättenkonzeption zu schließen. Obwohl ihn die Errichtung des Mahnmales als auch die Pachtung des Geländes keinen Cent gekostet hatten, unterließ es der Senat, die Museumschefin bei ihren letztlich vergeblichen Versuchen zu unterstützen, entweder das Gelände auf längere Zeit zu pachten oder das Grundstück zu kaufen. Das Resultat war schließlich der Abriß einer Gedenkstätte, die sich für viele Besucher der Hauptstadt zu einer der ersten Anlaufstellen entwickelt hatte.

Am vergangenen Freitag - ein gutes Jahr später - hat Flierl nun einem anderen privaten Museumsprojekt in Berlins Mitte geradezu den Ritterschlag erteilt. Bei der Eröffnung des "DDR-Museums" zur Alltagskultur des ehemaligen sozialistischen Teilstaates, das nur wenige Schritte von dem im Abriß befindlichen DDR-Renomierbau "Palast der Republik" entfernt liegt, sprach der Kultursenator davon, daß es "kein Monopol auf staatliches Gedenken" gebe und daß die Erinnerung an die DDR nicht allein den Historikern, sondern auch allen ehemaligen DDR-Bürgern gehöre - Menschen, die auch nach 1989 mehrheitlich das "Land nicht aufgeben" wollten. Flierl wünschte der Museumsleitung, daß sich ihr Projekt zu einer der zentralen Begegnungsstätten der Stadt, gerade für in- und ausländische Touristen, entwickeln möge.

Die Entstehung des "DDR-Museum" ist in erster Linie auf den Freiburger Geschäftsmann Peter Kunzelmann zurückzuführen. Kunzelmann besuchte vor einigen Jahren die Hauptstadt als Tourist, fand im Osten der Metropole zwar Informationen über die Mauer, die innerdeutsche Grenze sowie den Staatssicherheitsdienst. Doch über "das eigentliche Leben, welches nach Auffassung Kunzelmanns "mehr als ein Kunstprodukt von Ideologie und Macht war", in dem "Millionen Menschen Bildungseinrichtungen durchlaufen, Familien gegründet, ihre Wohnungen eingerichtet und Kinder großgezogen haben", war ihm zu wenig präsent.

So entstand der Plan zur Gründung eines Museums, in dessen Zentrum die DDR als Staat dargestellt werden sollte, in dem man laut Eigenwerbung des Museums "glücklich leben" konnte, soweit man nicht "unangenehm auffiel".

Das Ergebnis ist eine Dauerausstellung, in der "sinnlich erfahren" werden kann, wie es sich "anfühlt", in einem Trabant zu sitzen, oder getestet werden kann, wie "gemütlich" ein Plattenbau-Wohnzimmer ist. Im "Museum zum Anfassen" kann der Besucher Fernseher, Radios, Textilien, Bücher, Spiele, Vasen, Gläser, Tassen und Besteck aus volkseigener Produktion berühren und ausprobieren. Es ist kaum ein Zufall, daß das "glückliche Leben" so in erster Linie in den erworbenen materiellen Gütern liegt. Es scheint - glaubt man den Ausstellungsmachern - im wesentlichen nur durch gelegentliche Schlangen in Einzelhandelsgeschäften und Kaufhäusern sowie durch den teuren Kaffee etwas gestört worden zu sein, da er aus Ländern mit konvertierbarer Währung importiert werden mußte.

Immerhin gibt es auch einige eingestreute Hinweise auf die Berliner Mauer und das Grenzsystem sowie den Staatssicherheitsdienst. Aber sie werden in einer Art präsentiert, die deutlich signalisiert, daß es sich dabei eher um Nebenerscheinungen gehandelt habe, die nie den Alltag in der DDR tatsächlich geprägt hätten. Ganz besonders deutlich ist dies in dem Teil zu spüren, in dem die Bespitzelung vieler Bürger durch das Ministerium für Staatssicherheit zumindest erwähnt wird. Der Besucher kann dort zwar praktisch testen, wie es ist, abgehört zu werden beziehungsweise andere abzuhören. Doch ohne die Information, welch elementaren Verstoß gegen Bürgerrechte das Abhören auf Massenbasis durch einen im Sinne einer Staatspartei operierenden und durch kein Parlament kontrollierten Geheimdienst darstellte, wird der Abhörakt zum bloßen Gesellschaftsspiel, welches aus heutiger Perspektive nur noch belustigend wirkt. Natürlich wird ebenso wenig darauf hingewiesen, was mit den Informationen geschah und wie viele intimste Informationen für spätere Erpressungen genutzt wurden.

Wer keine Hintergrundinformationen besitzt - wie es bei den meisten Touristen der Fall sein dürfte -, der muß nach dem Rundgang nahezu zwangsläufig zu den Ergebnis kommen, daß sich der Alltag in Ost und West lediglich im Tragekomfort von Textilien, der Einrichtung des Wohnzimmers und der Bequemlichkeit der Schlafcouch unterschied. Es muß daher erstaunen und zugleich höchst bedenklich stimmen, daß sich der Historiker und DDR-Spezialist Stefan Wolle als wissenschaftlicher Leiter dem Projekt zur Verfügung stellte. So hat allein sein Name Skeptiker wie den Bezirksbürgermeister von Mitte, Joa-chim Zeller (CDU), der dem Projekt zunächst nichts abgewinnen konnte, davon überzeugt, daß es doch "nicht so schlecht sein könne", wie Zeller in seiner Eröffnungsrede betonte.

Vielleicht hätte es von Beginn an geholfen, die irrige Auffassung des Museumsgründers zu entkräften, daß der DDR-Alltag in den neuen Bundesländern nur noch wenig präsent sei. Daß diese Vermutung nicht einmal auf die alten Bundesländer zutrifft, haben nicht zuletzt auch Kinoerfolge wie "Sonnenallee" oder "Good Bye Lenin" gezeigt. Erfolge, die daran zweifeln lassen, ob ein solches "DDR-Museum" wirklich gebraucht wird.

Foto: DDR-Museum Berlin, Karl-Liebknecht-Straße 1, Öffnungszeiten: täglich 10 bis 20 Uhr, Sonn-abend 10 bis 22 Uhr, www.ddr-museum.de 


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