© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Wetterchaos, Fluten und Malaria drohen
Klimaschutz: Trotz Kyoto-Protokoll ist der Ausstoß an Treibhausgasen weltweit erneut angestiegen / Ernüchternde Zwischenbilanz
Volker Kempf

Der Aufstieg der Industriegesellschaften ist untrennbar mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe verbunden - und damit dem Ausstoß von Kohlendioxid (CO2). Bereits im 1980 erschienenen Bericht "Global 2000" an den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter wird gewarnt, die "steigenden CO2-Konzentrationen sind besorgniserregend, weil sie möglicherweise zu einer Erwärmung der Erde führen". Schon eine Steigerung der Durchschnittstemperatur auf der Erde um ein Grad Celsius würde "das Erdklima wärmer machen, als es in den letzten tausend Jahren gewesen ist."

Problem des Wachstums der Weltbevölkerung

Das Problem des vom Menschen verursachten (anthropogenen) Treibhauseffekts ist also schon seit Jahrzehnten politischen Entscheidungsträgern und interessierten Bürgern in groben Pinselstrichen dargelegt worden. 1992 wurde der Umweltdiskurs mit der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro für Umwelt und Entwicklung sogar auf den Klimawandel fokussiert. Für viele herrschte eine Aufbruchsstimmung.

"Ein Planet wird gerettet", rief der CDU-Politiker Friedbert Pflüger aus, während Skeptiker wie sein Ex-Parteifreund Herbert Gruhl den "geplünderten Planeten" - seine zivilisatorische Bewohnbarkeit betreffend - bereits "vor dem Ende" sahen. Denn die wirtschaftliche Entwicklung der bevölkerungsreichsten Regionen der Erde müsse den Planeten zusätzlich belasten.

Es folgte das Kyoto-Protokoll, das eine Absenkung des Ausstoßes von Treibhausgasen in Höhe von insgesamt 5,2 Prozent unter den Wert von 1990 bis 2012 vorsieht. Doch mittlerweile wird über den Klimaschutz gewitzelt, weil ihm die Substanz fehlt. Es stimmt, daß nicht nur die Weltbevölkerung in exponentiellen Ausmaßen zunimmt, sondern auch weite Teile der Welt sich wirtschaftlich entwickeln und damit jeden Klimaschutz unterlaufen.

Die Entwicklungsländer, die 1990 zusammen 39 Prozent an Treibhausgasen verursachten, werden ihre Werte nach Angaben des Wuppertal Instituts für Klima bis 2010 noch einmal um 34 Prozent steigern. Auch den USA und Australien, welche 1990 fast ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verursachten, wird bis 2010 eine Zunahme um 34 Prozent zugetraut. Bei den EU-15-Staaten wird eine Reduktion der Treibhausgase um 6,5 Prozent für möglich gehalten; beim Rest der industrialisierten Welt wird mit einem halben Prozent Zuwachs gerechnet. Insgesamt bedeutet dies in CO2-Äquivalenten gerechnet eine Zunahme an Treibhausgasen von 1990 bis 2012 um fast ein Drittel weltweit, wobei schon 2003 ein Wert von 19,3 Prozent erreicht wurde.

Mehr CO2 durch Industrie- und Verkehrswachstum

In der EU weisen für die Zeit von 1990 bis 2004 Deutschland und Großbritannien mit minus 17,5 und minus 14,1 Prozentpunkten vielversprechende Werte auf. Wobei die guten Zahlen für Deutschland allerdings zu einem Gutteil dem Zusammenbruch der realsozialistischen Mißwirtschaft in der Ex-DDR zu verdanken sind.

Entsprechendes gilt auch für andere frühere "Ostblockstaaten". Unter dem Strich stieg der Ausstoß an Treibhausgasen in CO2-Äquivalenten gerechnet von 2003 auf 2004 an, laut der European Environment Agency um 11,5 Millionen Tonnen. Unter den EU-Mitgliedsländern legten von 1990 bis 2004 Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und Irland mit Werten zwischen 47,9 und 12,3 Prozentpunkten deutlich zu.

Aufschlußreich sind die Sektoren, die für den Anstieg verantwortlich sind. Denn Industrie und Verkehr verzeichnen von 2003 auf 2004 ein Plus von 15,7 bzw. 14,4 Millionen Tonnen CO2 - die Energiewirtschaft schlägt mit einem Plus von 1,3 Millionen Tonnen wenig zu Buche. Landwirtschaft und Abfallwirtschaft vermelden leichte Rückgänge um 2,8 und 3,7 Prozent. Am meisten reduzierten die Haushalte und Dienstleister den Treibhausgasausstoß, nämlich um 9,3 Millionen Tonnen.

Eine Zwischenbilanz des Klimaschutzes fällt damit ernüchternd aus. Der in diesem Jahr gestartete Handel mit Emissionszertifikaten, die zunächst kostenlos vergeben und dann weiter verknappt werden, soll Modernisierungen von Anlagen vorantreiben.

Allerdings sorgte schon die rot-grüne Bundesregierung dafür, daß energieintensive Branchen aus der Regelung ausgenommen wurden. Mit dem Erlös soll in Entwicklungsländern in Energieeffizienz und erneuerbare Energien investiert werden, weil dort mit wenig Geld relativ viel bewirkt werden kann. Aber die energetischen Ansprüche pro Kopf und die Zahl der Menschen steigen weltweit so sehr an, daß der technische Sektor davon nur wenig aufzufangen vermag. Längst richtet sich die Politik darauf ein, daß der Klimawandel nicht aufzuhalten sein wird.

Dürren und ungewöhnlich warme Witterungen haben bereits die Weltgetreideproduktion acht Jahre hinterein-ander zurückgehen lassen. Gleichzeitig wuchs die Menschheit um 600 Millionen Münder. Extreme Wetter nehmen zu, Infektionskrankheiten wie Malaria finden immer bessere Verbreitungsbedingungen vor, thermischer Streß trifft immer mehr Menschen und äußert sich in Herzkreislaufstörungen, und der steigende Meeresspiegel macht Küstenregionen zu schaffen.

Die weitreichenden Konsequenzen des Klimawandels wurden schon vor Jahrzehnten vorhergesehen, aber dennoch nahm der Treibhausgasausstoß weltweit zu, ohne daß - von Ausnahmen abgesehen - eine Trendumkehr abzusehen ist. Einerseits gibt es Eigendynamiken bei der Entwicklung von Volkswirtschaften und Populationen, andererseits die Selbstzufriedenheit, in einzelnen Sektoren etwas zu bewegen.


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