© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Der Hindenburg des Widerstandes
20. Juli 1944: Eine Neuauflage der Buchheit-Biographie über Ludwig Beck, den Protagonisten der "Honoratioren" der Verschwörung
Marcus Schmidt

Unter den Teilnehmern des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 ist Ludwig Beck heute einer der Unbekannteren. Dabei war der General, der von den Verschwörern als Staatsoberhaupt nach einer erfolgreichen Beseitigung Hitlers vorgesehen war, der eigentliche Kopf und das Bindeglied der heterogenen Gruppe von Offizieren, Diplomaten, Politikern, Zivilisten und Adligen, die der Wille einte, dem zerstörerischen Treiben des Diktators ein Ende zu bereiten. Doch heute ragt nur noch der Name des charismatischen Hitlerattentäters Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der seine Mitstreiter immer wieder zur Tat drängte, aus dem Meer der Unkenntnis in die Gegenwart. Die anderen wichtigen Protagonisten, wie etwa Ulrich von Hassell, Henning von Tresckow, Carl Friedrich Goerdeler oder Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, sind wie Beck einer breiteren Öffentlichkeit kaum noch ein Begriff. Allenfalls der Name Helmuth James Graf Moltke, der heute vielen als im positiven Sinne liberal und "westlich" gilt, findet häufiger Erwähnung.

Dem Satz, "Leben und Wirken des Generalobersten Ludwig Beck sind unserem Volke und der Welt noch viel zu wenig bekannt", wird daher kaum jemand widersprechen wollen. Zu denken gibt allerdings, daß dieser Satz am Anfang der bereits 1964 erschienenen und von dem Historiker Gert Buchheit verfaßten Biographie "Ludwig Beck, ein preußischer General" steht, die jetzt im Lindenbaum-Verlag eine Neuauflage erfahren hat. Der vierzig Jahre alte Befund hat indes nichts von seiner Aktualität verloren.

Beck, 1880 geboren, war der Älteste der Verschwörer des 20. Juli. Von dem 1907 geborenen Stauffenberg trennte ihn eine ganze Generation. Beck gehörte zusammen mit Ulrich von Hassell und Carl Friedrich Goerdeler Kraft ihres Alters zu den sogenannten "Honoratioren" des Widerstandes. Man kann sie - im Gegensatz zu Stauffenberg, Tresckow und Moltke - auch als die "wilhelminische Generation" des 20. Juli bezeichnen. Sie waren anders als die jüngeren Verschwörer durch das Kaiserreich geprägt worden. Ihr Leben lang blieb das Reich der Hohenzollern-Kaiser ihr politischer Bezugspunkt. Stauffenberg und seine Altersgenossen hingegen bildeten eine Art "Weimarer Generation". Für sie waren die Erfahrungen in der ersten deutschen Republik, die auf den Trümmern des Kaiserreichs erwuchs, prägend. Diese Generationsunterschiede lassen sich auch in den politischen Vorstellungen des 20. Juli nachweisen. Während die Älteren, nicht zuletzt auch Beck, der politischen Vorstellungswelt des Kaiserreichs verhaftet blieben, war das untergegangene Reich längst nicht mehr das Vorbild für ein neues Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus. Die politischen Vorstellungen Becks dagegen waren weitgehend vom wilhelminischen Staatsverständnis geprägt.

Buchheit schildert detailliert den Werdegang Becks vom Fahnenjunker der kaiserlichen Armee bis hin zum Generalstabschef der Wehrmacht Hitlers. Er zeichnet das Bild eines "staatspolitisch denkenden und handelnden Soldaten", der 1938 von seinem Posten zurücktrat, weil er die Politik Hitlers, die seiner Ansicht nach auf einen für Deutschland unverantwortbaren Krieg zusteuerte, nicht länger mittragen wollte. Aus dieser Ablehnung erwuchs der Widerstand, der Beck in die erste Reihe der Verschwörer führte, die bereit waren, um Deutschland, des Friedens und der Freiheit willen unter Einsatz ihres Lebens den Diktator zu stürzen. Der Autor ruft auch den brillanten Soldaten in Erinnerung, der sich nach seinem Abschied aus der Armee in zahlreichen Denkschriften auf höchstem Niveau mit seinem "Handwerk" auseinandergesetzt hat. Als Soldat gehöre Beck daher in den Kreis der vom Ethos geprägten Führungspersönlichkeiten wie Prinz Eugen, Washington, Scharnhorst und Gneisenau.

Sympathie für Beck als "Mann großen Ranges"

Das Buch, das lange Zeit ein Standardwerk war, gibt den Forschungsstand von 1964 wieder. Natürlich bleiben dem Leser Neubewertungen und Akzentverschiebungen in der Forschung seit Anfang der sechziger Jahre verborgen - zumal der Verlag es nicht für nötig hielt, den Leser darauf hinzuweisen, daß er eine Neuauflage in Händen hält. Dennoch ist das Buch auch heute noch lesenswert. Die Lektüre vermittelt ein "zeitnahes" Bild von Ludwig Beck, das heutige Autoren kaum noch zeichnen können. Dies ist der Tatsache geschuldet, daß der Autor selbst als Offizier im Zweiten Weltkrieg gedient hat und aus eigenem Erleben ein tiefes Verständnis für die Zeitläufe hatte, denen Beck ausgesetzt war und die sein Handeln geprägt haben. Es lohnt daher, das Buch parallel zu neueren Darstellungen zu lesen. Dem Band wäre allerdings ein erweitertes Literaturregister zu wünschen, das auch die seit 1964 erschienenen Werke über Ludwig Beck verzeichnet, die es dem Leser ermöglichen würden, sich auf den neuesten Stand der Forschung zu bringen.

Buchheit läßt an seiner Sympathie für Beck, der für ihn "ein Mann großen Ranges" war, keinen Zweifel. Dennoch geht er nie so weit, seine Glaubwürdigkeit als Historiker zu gefährden. Es ist zu wünschen, daß die Neuausgabe dieses Buches, das nunmehr den veränderten Untertitel "Ein Patriot gegen Hitler" trägt, dazu führt, daß "Becks Name die Zeiten überdauern" wird.

Gert Buchheit: Generaloberst Ludwig Beck. Ein Patriot gegen Hitler. Biographie. Lindenbaum-Verlag, Beltheim-Schnellbach 2005, gebunden, 416 Seiten, 19,80 Euro

Foto: Ludwig Beck als Generalstabschef 1938: Generation Kaiserreich


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