© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Im Banne der Macht
Die Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin stößt eine Debatte um das Verhältnis von Ästhetik und Politik an
Thorsten Hinz

Die künstlerische Bedeutung der Arno-Breker-Ausstellung, die jetzt in Schwerin eröffnet wurde (und dort bis zum 22. Oktober 70 Skulpturen präsentiert), ist zu diesem Zeitpunkt genauso ungewiß wie die Stellung Brekers in der Kunstgeschichte. Die Chance ihrer politischen Signalwirkung aber liegt auf der Hand. Bisher hatte der Hinweis genügt, daß Breker die Neue Reichskanzlei Adolf Hitlers mit Skulpturen ausgestattet und muskelbepackte Musterarier modelliert hatte, um ihn als Künstler festzulegen; eine fundierte Beschäftigung mit seinem Werk gab es nicht. Das heißt, politische Kriterien wurden zum Maßstab der ästhetischen Bewertung gemacht.

Zu den Eigenarten des deutschen Kunst- und Geisteslebens hatte es einmal gehört, zwischen sich und der Politik scharf zu trennen. In Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen" erscheint Eichendorffs "Taugenichts" als die Projektion des deutschen Künstlers und Intellektuellen: unbegabt zur politischen Zivilisation des Westens, dafür mit einem außergewöhnlichen Maß an innerer Freiheit ausgestattet, die ihn zur metaphysischen Reflexion (einschließlich des Politischen) befähigte.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist nicht nur die Politik auf Marktwirtschaft und Menschenrechte verpflichtet, auch in der Kultur gibt man sich gnadenlos aufgeklärt, innerweltlich, emanzipiert und demokratisch. Was Abweichler erwartet, wurde zuletzt an Peter Handke durch- exerziert. Die Bundesrepublik ist heute im geistig-kulturellen Bereich ein westgebundes Musterländle, damit freilich auch ein Land ohne Eigenschaften. Wenn die Kultur gegenüber den politischen Prinzipien, die gerade marktgängig sind, ihre relative Autonomie einbüßt, wird freilich nicht nur sie allein beschädigt, sondern auch die Politik, die einen kritischen Resonanzraum und Widerpart verliert.

Wert und Bedeutung von Kunstwerken lassen sich nicht daran ermessen, ob Staatskünstler oder -kritiker, Traditionalisten oder Modernisten, Fortschrittsgläubige oder Reaktionäre, demokratisch oder diktatorisch Gesinnte sie hervorgebracht haben. Das Ästhetische entzieht sich solchen Kategorien. Das macht seine besondere Wirkung und subversive Kraft aus. Gottfried Benns kurzem Rendezvous mit dem Nationalsozialismus verdanken wir den Aufsatz "Dorische Welt", der mehr über die potentielle Faszinationskraft des NS-Regimes auf Intellektuelle aussagt als jede soziologische Studie. Brechts Zwiespalt: Seinem prinzipiellen Einverständnis mit dem Stalinismus und dem konkreten Leiden an ihm entspringen die wundervollen "Buckower Elegien".

Noch eklatanter liegt der Fall bei Leni Riefenstahl, die politisch desinteressiert war und trotzdem mit ihrem Parteitagsfilm "Triumph des Willens" dem Nationalsozialismus seine visuelle Vorstellung von sich selbst gegeben hat. Zur Verfügung stand ihr ein avantgardistisches, künstlerisches Ingenium von unverwechselbarer Art, das ihren Film zugleich zu einer Reise ins finstere Herz des Massenzeitalters, zu ihren Sehnsüchten und Leidenschaften, werden ließ. Souverän wäre es gewesen, wenn bundesdeutsche Geldgeber, staatliche oder private, später zu ihr gegangen wären, um ihr mitzuteilen: "Das mit dem Hitler, gnädige Frau - unmöglich! Und trotzdem: Wir hoffen, Sie haben neue Pläne. Was benötigen Sie dafür?" Dann hätten wir heute vielleicht eine weltbewegende Penthesilea-Verfilmung statt der ausufernden Riefenstahl-Literatur, zu 90 Prozent verfaßt von politisch-korrekten Gesinnungsspießern.

Und was heißt eigentlich "Staatskünstler"? In der DDR gab es einen Willi Sitte, der sein Talent in konventioneller Parteimalerei versanden ließ. Und es gab einen Bernhard Heisig, der als blutjunger Soldat der Waffen-SS schwer verwundet wurde, seine schlesische Heimat verlor und der danach inneren Frieden durch die Konversion zum Kommunismus zu finden hoffte. Seine Gemälde erzählen über die Brüche und Wunden, die ihm das Leben zufügte - es sind die Brüche und Wunden der deutschen Nation! Sie haben ja recht, die regimekritischen Künstler, wenn sie neben der politischen Drangsalierung darauf hinweisen, daß sie selbst der Avantgarde gefolgt waren, die in der DDR verpönt, weil westlich (also freiheitlich) ausgerichtet war, während Heisig einer figürlichen und traditionellen (also reaktionären) Malweise huldigte. Und trotzdem zeugen Heisigs Bilder von größerer künstlerischer Kraft. Nur nebenbei: Auch der freie Westen kennt seine Staatskünstler, was ebenfalls nicht automatisch gegen ihre künstlerische Produktion spricht.

Es ist das Zeichen einer Spießerdemokratie, vom Künstler zu erwarten, daß es bei ihm liberal und demokratisch zugehen müsse. Soweit es übrigens um Pornographie, Verbrechen oder Gewalt geht, ist das Dunkle als Quelle künstlerischer Inspiration gesellschaftlich längst akzeptiert. Denn politisch lassen sie sich unter Begriffen wie Emanzipation und Entsakralisierung verbuchen und ökonomisch in Profit verwandeln. Und weil die welthistorische Mission des Kommunismus effektiv darin bestanden hat, die unterentwickelten Länder brachial für den globalen Kapitalismus aufzuschließen, läßt man auch ihm gegenüber Großzügigkeit walten.

Doch Künstler, die im Faschismus-Ruch stehen, werden furiengleich bis über ihr Grab hinaus verfolgt, sogar wenn, wie bei Riefenstahl, ihre Formsprache sich für die internationale Pop- und Massenkultur als ergiebig erweist. Der tiefste Grund dafür liegt nicht in den faschistischen Verbrechen - die kommunistischen sind noch monströser -, sondern im Wesen des Faschismus als einer Kampfansage an universelle Prinzipien, seien sie liberal, kapitalistisch oder kommunistisch. Die Bundesrepublik, die unter dem permanenten Beweiszwang steht, auf dem "langen Weg nach Westen" (Heinrich August Winkler) tatsächlich angekommen zu sein, hat zum Nachweis eine "Lea-Rosh-Kultur" gezüchtet, in der sich, wie Botho Strauß kürzlich anmerkte, deutscher Geist nur noch im Kriechgang bewegen dürfe und "jede erhobene Stirn (...) als mißliebig angesehen wird". Die Breker-Ausstellung könnte dazu beitragen, Ästhetisches und Politisches wieder säuberlich voneinander zu scheiden.

Warum verschweigen, daß sich, wie in den Zeiten der deutschen Klassik und Romantik, an das ästhetische Programm auch politische Erwartungen knüpfen? Wenn Arno Breker nicht länger als Bildhauer des Teufels abgetan, sondern als Künstler innerhalb von internationalen, kunst- und mentalitätsgeschichtlichen Zusammenhängen analysiert wird, dann bedeutet das seine Historisierung: Ein Verfahren, das sich hoffentlich als vorbildlich erweist, weil es in der Kultur, der Wissenschaft und sogar in der Politik Deutschlands überfällig ist.


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