© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Republikanische Patenschaften
Frankreich: Die Einwanderungsdebatte ist von parteipolitischer Polarisierung geprägt / Wahlkampf 2007 wirft erste Schatten voraus
Daniel L. Schikora

Bei ihrem "Integrationsgipfel" am 14. Juli war die Bundesregierung im Zeichen der "Großen Koalition" bestrebt, sich als Ausführungsorgan eines breiten "zivilgesellschaftlichen" Konsenses zu präsentieren (JF 29/06). In Frankreich wird die Debatte über die Probleme der Einwanderung und deren Lösung hingegen nach wie vor außerordentlich kontrovers geführt und ist von parteipolitischer Polarisierung geprägt.

Dies führte zuletzt die Kontroverse um die Abschiebung eines 19jährigen marokkanischen Schülers vor Augen, der - nachdem er ohne Visum eingereist war - fünf Jahre lang eine französische Schule besucht hatte. Mit Jack Lang, Ex-Erziehungsminister und Spitzenpolitiker der oppositionellen Sozialisten (PS), schlossen sich weitere Linkspolitiker den Protesten gegen die Ausweisung an.

"Ausgewählte statt erduldete Einwanderung"

Dabei fand nämlich eine Verfügung von Innenminister Nicolas Sarkozy erstmals Anwendung: Ausländische Kinder und Jugendliche, die in Frankreich regulär eingeschult wurden, können zur Rückkehr in ihre Heimatländer gezwungen werden, soweit sie nicht über eine gültige Aufenthaltsgenehmigung verfügen. Von der Neuregelung, die im Juni vom Senat gebilligt wurde, könnten 50.000 bis 100.000 Kinder illegal eingewanderter Familien betroffen sein.

Im Zentrum des angeprangerten Einwanderungsgesetzes steht der Begriff der "ausgewählten Einwanderung", durch welche die bisherige "erduldete Einwanderung" ersetzt und, so Sarkozy, dem einwanderungspolitischen Sonderweg Frankreichs ein Ende bereitet werden soll. Gleichzeitig soll die Zuwanderung von "Experten" und "Talenten" forciert werden - die deutsche "Green Card" läßt grüßen.

Das neue Gesetz soll aber vor allem die unkontrollierte Zuwanderung Unqualifizierter insbesondere aus Afrika eindämmen. Anstelle des bislang großzügig ausgelegten Rechtes auf Familienzusammenführung ist der Nachzug nur noch dann gestattet, wenn er mit Einkommen und Wohnraum des bereits legal in Frankreich ansässigen Familienangehörigen vereinbar ist. Die Bestimmungen gegen Scheinheiraten wurden verschärft. Mit dem Gesetz wird der Naturalisierung (Einbürgerung) von illegalen Einwanderern, die über zehn Jahre lang in Frankreich lebten, die Rechtsgrundlage entzogen.

Nachdem die Nationalversammlung das Gesetz bereits Mitte Mai beschlossen hatte, votierten im Senat nicht nur Angehörige der "rechten" Regierungspartei UMP von Präsident Jacques Chirac und die christlichliberale UDF für die Reform, sondern auch die linke Kleinpartei RDSE von Jacques Pelletier. Dabei wurden allerdings Korrekturen zugunsten ausländischer Ehepartner von Franzosen, die an einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis interessiert sind, durchgesetzt.

Dieses punktuelle Zusammengehen blieb aber die Ausnahme. Angesichts der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr verlegen sich Teile der Links-Opposition darauf, der "Rechten" nicht weniger als Verrat an den universalistischen Idealen der Republik vorzuwerfen. In diesem Sinne werden sogenannte Patenschaften, die Franzosen in mehreren hundert Fällen für ausländische Kinder übernommen haben, die von Abschiebungsmaßnahmen bedroht sind, als "republikanische Patenschaften" tituliert.

Die Schriftstellerin Marie Desplechin stand daher keineswegs allein, als sie die Abschiebung Minderjähriger im gegenwärtigen Frankreich mit der Deportation jüdischer Kinder im Zweiten Weltkrieg in Bezug setzte. Nicht zuletzt angesichts solcher monströsen Geschmacklosigkeiten ließ es sich der von Sarkozy als nationaler Vermittler in Fragen des Abschiebeschutzes beauftragte Arno Klarsfeld - der Sohn des "Nazi-Jägers" Serge Klarsfeld - nicht nehmen, die Demagogie der Anti-Abschiebungs-Aktivisten zu verurteilen und die "generöse" und "humanistische" Haltung des Innenministers herauszustreichen.

Die "Allianz" Sarkozy-Klarsfeld ist übrigens nur auf den ersten Blick überraschend. Angesichts der rasch wachsenden muslimischen Minderheit und ihrer engen Verbundenheit mit den Glaubensbrüdern im arabischen Raum sind insbesondere die franzöischen Juden immer häufiger das Ziel von Haß und Gewalt. Der Philosoph Alain Finkielkraut warnt inzwischen vor einem multikulturellen Europa und prangert "Rassismus gegen Weiße" an. Es gebe einen "brutalen islamischen Antisemitismus", der durch den Israel-Haß linker Antirassisten flankiert werde.

Polarisierendes Wahlkampfthema 2007

Der vielfach gegen Sarkozy erhobene Vorwurf, seine einwanderungspolitischen Vorstöße aus wahlstrategischem Kalkül zu starten und so die Positionen der nicht-etablierten Rechten (Front National (FN), Philippe de Villiers' MPF) aufzuwerten, entspringt wahltaktischem Kalkül. Denn die Haltung der "republikanischen Linken" zu Einwanderung und Integration ist durchaus heterogen. Zwar nahmen fast die gesamte PS-Führung sowie Kommunisten (PCF) und Trotzkisten an der erwähnten Abschiebungsdemo teil. Doch die designierte sozialistische Präsidentschaftsanwärterin Ségolène Royal - Lebensgefährtin von PS-Chef François Hollande - weiß, daß sie auch jene Wählerschichten ansprechen muß, die der Linken angesichts ihrer Multi-kulti-Seligkeit verlorengegangen sind.

2002 schied PS-Kandidat Lionel Jospin schon in der ersten Wahlrunde aus (JF 18/02). Und gerade diejenigen Franzosen, die besonders unter den Folgen der Einwanderung zu leiden haben, verhalfen FN-Chef Jean-Marie Le Pen zum Einzug in die Stichwahl.

Foto: Illegale drängen in französische Ausländerbehörde: Warnung vor einem multikulturellen Europa


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