© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Heroik im Kleinformat
"Reine Form": In Schwerin ist die erste Einzelausstellung zu Arno Breker seit 1945 zu sehen
Karin Erichsen

Das Schleswig-Holstein-Haus ist eines der wenigen Fachwerkhäuser in der Innenstadt von Schwerin. Mit lauschigem Hinterhof und Gauben im windschiefen Dach ist es ein beliebtes Kultur- und Veranstaltungszentrum. In den vergangenen Jahren hat es sich durch erlesene Ausstellungen, beispielsweise von Konstruktionen Leonardo da Vincis (2005) oder Werken Salvador Dalís (2004), auch überregional einen Namen gemacht. Trotzdem wären die hohen Säle des Staatlichen Museums mit Sicherheit der geeignetere Ort für eine Präsentation der Werke Arno Brekers gewesen. Doch während sich die Museumsdirektorin gegen eine Werkschau des "Lieblingsbildhauers Hitlers" in ihrem Hause verwahrte, wagte das Schleswig-Holstein-Haus den "Tabubruch" und zeigt in diesem Jahr die erste, ausschließlich den Werken Brekers gewidmete Ausstellung seit 1945.

Daß das Haus damit im Mittelpunkt massiver politischer und medialer Proteste stehen würde, war den Veranstaltern bereits im Vorfeld klar. Wäre Schwerin nicht so abgelegen, hätten die "Kassandrarufe" mit Sicherheit viel früher eingesetzt und die Ausstellung wäre wahrscheinlich verhindert worden, vermutet Rudolf Conrades, Kurator der Schau und ehemaliger Chef des Hauses, in seiner Eröffnungsrede am 21. Juni. Aber die Leute, gerade im Osten der Republik, ließen sich nach 40 Jahren DDR ungern bevormunden. Außerdem verstünde er nicht, warum ausgerechnet Breker so geächtet sei und woher die Angst vor seinem Werk rühre.

Erklärtes Ziel der Ausstellung sei deshalb, die Person Arno Breker und ihr Lebenswerk im distanzierten Überblick vorzustellen und eine politische Debatte anzustoßen, wie Künstler, die in der Diktatur Ruhm erlangt haben, heute behandelt und bewertet werden sollten. Entsprechend heißt die Ausstellung "Zur Diskussion gestellt: der Bildhauer Arno Breker".

Den etwa 70 Exponaten, die größtenteils von der Witwe Brekers zur Verfügung gestellt wurden, stehen umfangreiche Informationstafeln, Originaldokumente, historische Fotos und ein kritischer Begleitband zur Seite. So begleitet, können sich die Besucher auf einen Rundgang begeben, in dem die Ausstellungsstücke in chronologischer Reihenfolge gezeigt werden. Über tausend Gäste nutzten diese Gelegenheit gleich am Eröffnungswochenende.

Die ersten Räume beinhalten Werke aus der "französischen Zeit" des 1900 in Wuppertal geborenen Sohnes eines Steinmetzen, der 1927 nach Paris übersiedelte und dort Freundschaft mit zahlreichen Avantgarde-Künstlern schloß. Sein künstlerisches Schaffen orientiert sich in dieser Zeit vor allem an der antiken Klassik und an Werken Auguste Rodins, den er sehr verehrt und dessen Stil ihn ein Leben lang prägte.

Die Ausstellung zeigt zahlreiche kleine Plastiken mit ebenmäßig glatter lichtspiegelnder Oberfläche. Breker perfektioniert sein handwerkliches Können, das er bereits in der Werkstatt des Vaters erlernt hatte. Er entwickelt ein Verfahren, das später die "Reine Form" genannt wird und das es ermöglicht, Skulpturen ohne Abdrücke und Nähte aus der Gußform zu arbeiten. Aber auch expressionistische Werke, die dem Ausdruck gegenüber der schönen Form klar den Vorzug geben, wie "Die Flehende" (1928), sind vertreten. Eine der wenigen Skulpturen in Originalgröße ist die überlebensgroße Büste des "Romanichel" (1928), eines Zigeunerjungen. Durch eine aufgelockerte Oberfläche verleiht Breker dessen Gesicht reichlich Dreidimensionalität, es hat einen ernsten, ruhigen und klaren Ausdruck und zieht allein aufgrund seiner ungeheuren Größe die Blicke auf sich.

Ein großer Nachteil der Ausstellung ist, daß der beschränkten Räumlichkeiten wegen fast nur Miniaturabgüsse der Breker-Plastiken gezeigt werden können. Die "Siegerin", eine der Statuen, die Breker - 1934 auf Geheiß Max Liebermanns nach Deutschland zurückgekehrt - 1936 für das Berliner Olympiagelände geschaffen hatte und die entscheidend zu seinem Durchbruch in Deutschland beitrug, ist im Original 3,25 Meter groß. Der Abguß hier erreicht kaum Menschengröße. Lediglich vier Bronzeskulpturen darunter der "Wäger" (1938) und der "Wager" (1939), beide im Auftrag Albert Speers für die Reichskanzlei geschaffen, sind noch im Original ausgestellt und beeindrucken durch ihre Größe und antike Schönheit. Bewegte Figuren mit ausdrucksstarken, teils heroischen Gesichtszügen und idealisierten Körpern finden sich auch auf zahlreichen Reliefs wieder, so bei den "Kameraden", dem "Opfer" oder dem "Rossebändiger", alle 1940 geschaffen. Die für das Berliner Mussolinimonument geplante elf Meter große Skulptur "Bereitschaft" (1939), die in Form und Haltung an Michelangelos "David" erinnert und mit entschlossener Ernsthaftigkeit erscheint, ist in der Ausstellung leider nur wenige Zentimeter groß.

Die beeindruckendsten Arbeiten in dieser Schau sind die Porträtbüsten, unter anderem von Richard Wagner, Gerhart Hauptmann, Ernst Fuchs, Salvador Dalí, Ernst Jünger, Ägyptens Staatschef Anwar as-Sadat sowie den deutschen Bundeskanzlern Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, die expressionistische Ganzkörperskulptur des gealterten Freundes Jean Cocteau und die träumerisch bewegte Gestalt des jungen Heinrich Heine, die Breker 1982 knapp zehn Jahre vor seinem Tod schuf.

Die Besucher reagierten überwiegend mit überraschtem Staunen und die wenigsten von ihnen werden sich der Ansicht der Direktorin des Staatlichen Museums Schwerin anschließen, die in Brekers Werken "gar keine Kunstaspekte" erkennen kann. Dafür ist es aber dem kleinen, von den großen Kulturzentren abgeschiedenen Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin gelungen, einer politischen und kunsthistorischen Auseinandersetzung mit Arno Breker den Weg zu bahnen. Damit ist das Ziel der Ausstellung bereits mit ihrer Eröffnung erreicht.

Die Ausstellung läuft bis zum 22. Oktober im Schleswig-Holstein-Haus Schwerin, Puschkinstraße 12. Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr. Tel.: 03 85 / 55 55 27, E-Post: Schleswig-Holstein-Haus@schwerin.de .

Foto: Kurator Rudolf Conrades, Besucher der Ausstellungseröffnung im Garten des Museums, Ausstellungsbesucherin vor Breker-Büsten

Foto: Arno Breker bei der Arbeit an einem Modell (1940): Streben nach künstlerischer Perfektion


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