© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Inbegriff deutscher Romantik
Appell gegen Mittelmäßigkeit und Erstarrung: Der Komponist Robert Schumann
Andreas Strittmatter

Behaglich knistert im Kamin ein Feuer. Im Hintergrund: Musik. Richard Clayderman seufzt sich am Klavier durch Robert Schumanns "Träumerei". Das flimmerte irgendwann in den 1980er-Jahren per Werbefernsehen in der Glotze. Die Masche mit den Metaphern von Sehnsucht und Geborgenheit ging auf, die verschmonzte Interpretation des bekanntesten Stückes aus dem Zyklus "Kinderszenen" verkaufte sich, gemeinsam mit ähnlich exekutierten Klassikern, trefflich. Und Schumanns "Träumerei" wurde immerhin die Ehre eines Jingles zur besten Vorabend-Sendezeit zuteil.

Zum Glück, mag man sagen, war Friedrich Nietzsche da schon lange tot, sonst wäre sein Verdikt über Schumanns Musik wohl noch drastischer ausgefallen. Nietzsche bescheinigte Schumann, daß dessen Geschmack "ein kleiner" gewesen sei, ein "unter Deutschen doppelt gefährlicher Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls".

Diese Worte, mehr Ab- als Beurteilung, stellen eine wichtige Wegmarke dar, wie Schumann von vielen Altvorderen und so manchem Zeitgenossen wahrgenommen wurde und wird: nett, romantisch und gut geeignet, um sich beim Konzert bequem im Sessel verdrücken zu können.

Um so seltsamer, daß es unter eben denselben Verehrern noch eine zweite Meinung zu Schumann gibt: manchmal langweilig, weil unverständlich. Unverständlich? Unverständlich deucht Schumann vor allem in jenen Werken, die der allgemeinen Erwartung zuwiderlaufen. Werke, in denen die ersehnt-versüßende "Romantik" grotesk unterlaufen wird. Schumanns frühe Klaviermusik zählt zu dieser Kategorie, die "Papillons" etwa. Oder anders gesagt: Wer sich sonst gerne von Schumann verzaubern läßt, besucht nicht zwingend einen Klavierabend, weil die "Abegg-Variationen" auf dem Programm stehen. Man geht bestenfalls trotzdem hin - zum Beispiel weil Lang Lang spielt.

So gilt ein nicht unwesentlicher Teil des Gesamtwerkes von Robert Schumann - dazu läßt sich auch das Gros der Lieder rechnen - noch heute als Futter für Kenner. Breit rezipiert werden nur die vier Symphonien, und selbst diese in unterschiedlicher Gewichtung. Liegt es also allein an den Hörgewohnheiten, daß Robert Schumann - dessen 150. Todestag am 29. Juli im Kalender steht - im Marathon dieses Gedenkjahres nicht nur vom Datum her als Dritter nach Wolfgang Amadeus Mozart und Heinrich Heine durchs Ziel läuft?

Schumann war kein Wunderkind wie Mozart. Auch brachte er nicht - wie Heine in der Literatur - Kunst und Politik, Inspiration und Revolution auf den Punkt. Schumann blieb, auch wenn er danach strebte, mehr zu sein, letztlich "nur" Musiker. Als der Zwanzigjährige 1830 beschließt, sich künftig voll der Musik ("Ich bleibe bei der Kunst, ich will bei ihr bleiben") zu widmen, ist der junge Mann voll von Ideen und Plänen und zudem begeistert von den liberalen Aufbrüchen seiner Epoche. Die Begeisterung bleibt allerdings ziellos, schwärmerisch, unstet - und schreckt vor allem vor Disziplin und konsequenter Tat zurück. Die Ausbildung zum Konzertpianisten verfolgte Schumann, bezeichnend für eine Persönlichkeit zwischen Sturm, Drang und Lethargie, mit einer Mischung aus Schlendrian und Feuereifer. Zeitweilig drückte er sich vor den monotonen Klavierübungen, dann intensivierte er sie so sehr, daß er 1832 sämtliche Karrierepläne eines versteiften Mittelfingers wegen aufgeben mußte. Seine Energie steckte der von der Lektüre Jean Pauls begeisterte Schumann zudem in eine teilweise fiktive Gruppe, die Davidsbündler, in denen er Freunde, aber auch geschichtliche Persönlichkeiten versammelte. Man solle - einer Mode der Zeit entsprechend unter phantasievollen Pseudonymen - "die Philister, musikalische und sonstige" totschlagen.

Schumanns Appell richtete sich somit nicht nur gegen die musikalische Mittelmäßigkeit und Erstarrung seiner Zeit, sondern auch gegen restaurative Tendenzen in der Gesellschaft. Während aber Richard Wagner 1849 tatsächlich auf die Barrikaden stieg, zog sich Schumann in entscheidenden Momenten ins Private zurück, sorgte sich etwa um die Zukunft seiner Familie, nachdem er 1840 unter zehrender Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Mentoren Friedrich Wieck dessen Tochter Clara, eine berühmte Pianistin, heiraten konnte. Wagners revolutionäres Engagement führte diesen ins Exil, Schumann hingegen übernahm 1850 die Stelle eines Musikdirektors der aufstrebenden Stadt Düsseldorf.

Auch musikalisch verlor Schumann, der mit seiner aus den Davidsbündlern hervorgegangenen Neuen Zeitschrift für Musik eigentlich eine Lanze für die Avantgarde brechen wollte, den Anschluß an seine Zeit. Einen Franz Liszt schätzte Schumann als Virtuosen am Flügel, die "Weimarer Evangelien" auf den Notenpapieren des neudeutschen Kreises mit "Heroen" wie Wagner betrachtete er jedoch mit hoher Skepsis. Die Wortführer der Gegenseite ließen ihrerseits keinen Zweifel daran, was die deutsch-musikalische Erweckungsbewegung von Schumann dachte: Er habe "als Genie begonnen und als Talent geendet", giftete der Komponist Felix Draeseke. Schumann wurde zum Exponenten einer scheinbar dem Untergang geweihten Ästhetik, die erst mit den Werken von Johannes Brahms wieder nachhaltige Urständ feiern konnte - zu spät für Robert Schumann.

Nach einem Selbstmordversuch 1854 starb der Komponist, geistig zerrüttet und an den Spätfolgen einer syphilitischen Erkrankung leidend, 1856 in einer Nervenheilanstalt bei Bonn. Der knappe Nachruf in der von ihm gegründeten Zeitschrift erschien - bezeichnenderweise - im Anzeigenteil.

Foto: Robert Schumann (1810-1856): Schlendrian und Feuereifer


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen