© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Gleichnisse vom ewigen Kampf
"Nichts als Kino": Zum hundertsten Geburtstag des Schauspielers, Autors und Regisseurs John Huston
Werner Olles

Asphalt-Dschungel" ist ein Film der Nacht. Alles, was wirklich und offen geschieht, ereignet sich im helleren Halbdunkel des späten Abends oder im düsteren Halbdunkel der Großstadtnacht. Das erste Aufeinandertreffen der Gangster, bei dem es um die Besprechung eines Juwelenraubs geht, findet in einem Hinterzimmer einer heruntergekommenen Kneipe eines verwahrlosten Chicagoer Viertels statt. Die Gangster sind im Grunde bürgerliche Menschen mit kleinen Sorgen und Nöten, die sich durch den Coup von Existenzproblemen befreien wollen: Dix, dem Sterling Hayden die unnachahmliche Lakonie des pessimistisch gewordenen Berufsverbrechers verleiht, träumt von einer Farm im mittleren Westen, während der alternde Doc (Sam Jaffe) Spielschulden hat und zudem ein Faible für kostspielige junge Frauen. "Verbrechertum ist nur eine besondere Form des Lebenskampfes", läßt Huston ihn sagen, und da weiß man schon, daß die Sache nicht gut ausgeht.

In "Asphalt-Dschungel", 1949 gedreht, hat auch die entzückende blutjunge Marilyn Monroe als Geliebte eines die gesellschaftliche Macht repräsentierenden Anwalts ihre erste Rolle. Doch über "Asphalt Dschungel" zu schreiben, der zum Vorbild für den französischen Film Noir wurde, ohne näher auf den Regisseur John Huston einzugehen, hieße: den Film mißzuverstehen. Der Hauch von altem Kino, der einem durch den Kopf weht, das Gefühl extremster Einsamkeit, das Bewußtsein vom Reichtum des Kinos, all dies haben wir Huston zu verdanken.

Am 5. August 1906 in Nevada, Missouri, als Sohn des Schauspielers Walter Huston geboren, begann John Huston nach einer erfolgreichen Boxerlaufbahn Anfang der dreißiger Jahre Drehbücher zu schreiben. Er drehte Dokumentarfilme für die US-Army und 1941 jenen Thriller, den man ohne Übertreibung als ersten Film der amerikanischen "Schwarzen Serie" bezeichnen darf: "Die Spur des Falken". Zwei Monate vor dem Kriegseintritt der USA kam er in die Kinos und wurde ein großer Erfolg.

Doch die Hollywood-Studios sahen sich nun als Wahrer der amerikanischen Ideale, und Huston paßte sich an. Tatsächlich verstand er sich nie als Rebell gegen das Studiosystem und befand sich auch nie in einem antagonistischen Widerspruch zu diesem System. Vielmehr war er einer der starken individuellen Charaktere, die dieses System bedurften, um zu ihren besten Leistungen zu gelangen. Umgekehrt brauchte Huston den Rahmen und die Strukturen etablierter Produktionen, um arbeiten zu können. So entstanden seine besten Filme gerade innerhalb des Studiosystems und nicht in größtmöglicher Unabhängigkeit von ihnen.

Exemplarisch für die Spionage-Filme der vierziger Jahre ist Hustons routiniert inszeniertes "Abenteuer in Panama", sein zweiter Film mit Humphrey Bo-gart, der zu den "patriotischen Filmen" der Warner Brothers zählt. Bogart erledigt als angeblich unehrenhaft aus der Armee entlassener Offizier ganze Kontingente feindlicher Japaner und verhindert am Ende gar die Sprengung des Panama-Kanals. Huston wird Bogart übrigens noch viele Male einsetzen, so in "Gangster in Key Largo", in "African Queen" als Trunkenbold Charlie Allnut, der mit seiner heruntergekommenen Barkasse durch die Flüsse Zentralafrikas schippert, und dem die prüde, puritanische Katherine Hepburn hart zusetzt, in "Schach dem Teufel", einer ironischen Verulkung der üblichen Gangsterfilme mit den beiden rassigen Schönheiten Gina Lollobrigida und Jennifer Jones und - nicht zu vergessen - in der Verfilmung des Romans des mysteriösen B.Traven, "Der Schatz der Sierra Madre", einer düster-romantischen Allegorie der von Huston so oft thematisierten vergeblichen Suche nach dem Glück und der Identität in der Suche selbst.

Huston war aber auch ein außergewöhnlich guter Drehbuchautor und ein Schauspieler von Rang. Für Raoul Walshs elegischen Thriller "High Sierra" schrieb er das Drehbuch, und als Schauspieler ist er noch in bester Erinnerung als Faye Dunaways inzestuöser Vater in Roman Polanskis "Chinatown".

Auf zwei weitere Regiearbeiten Hustons ist noch hinzuweisen: "Misfits _ Nicht gesellschaftsfähig" und "Fat City". "Misfits" thematisiert zum einen die Begegnung des älteren Mannes (Clark Gable) mit der jüngeren Frau (Marilyn Monroe), die zunächst flüchtig ist, aber schließlich in der Verbindung von Monroes umwerfender Weiblichkeit und dem Respekt des Mannes vor der Urkraft der Schöpfung zu einem guten Ende kommt. Doch zuvor muß die Nachtclubtänzerin mit ihrer gescheiterten Ehe die harten Männer (Gable, Montgomery Clift, Eli Wallach), die ihren "machismo" beweisen, indem sie wilde Pferde jagen, von ihrem Tun abbringen. Monroe überredet Clift die Pferde freizulassen, doch Gable fängt den Leithengst wieder ein. Als er ihm dann doch seine Freiheit wiedergibt, setzt sie sich zu ihm in den Wagen und lehnt den Kopf an seine Schulter. Ihr Sieg über die männliche Gefühllosigkeit drückt zugleich ihre Hilflosigkeit gegenüber dem Leben selbst aus. Am Ende steht ihre Sicherheit, eine Zukunft ohne den Mann gibt es nicht.

Überwältigung durch Bilder von Zerfall und Zerstörung

Mit "Fat City" kehrte Huston endgültig zum Film Noir zurück. 1972 gedreht, erzählt der Film die Geschichte eines von Resignation und Hoffnungslosigkeit gezeichneten Boxers (Stacey Keach), der mit der ihn ständig demütigenden Alkoholikerin Oma (Susan Tyrell) zusammenlebt. Dennoch rafft er sich noch einmal auf und gewinnt mehr zufällig einen Kampf, was seinen Abstieg jedoch nicht aufhalten kann.

Hustons Gleichnis vom ewigen Kampf des Menschen gegen Mißerfolg und Verzweiflung gehört zu den pessimistischsten Filmen jener Dekade. Während die Musik Kris Kristoffersons leise einsetzt und Keachs Gegner, ein ebenso abgehalfterter mexikanischer Boxer, der das Geld dringend für seine hungrigen Kinder braucht, auf der schmuddeligen Toilette des Boxclubs Blut uriniert, dringt unser Blick ungehindert ein in das unerbittliche Leistungsprinzip und die psychologische Befindlichkeit einer maroden Gesellschaft, die nur Sieger oder Verlierer kennt. Kristofferson singt "Help Me Make It Through The Night", und dieser melancholische Song sagt mehr über die amerikanische Wirklichkeit nicht nur der siebziger Jahre aus als alle klugen Sozialanalysen zusammen.

"Fat City" ist aber auch eine ästhetische Form der Gewalt, der Überwältigung durch Bilder einer kalten Stadt, von Zerfall, Zerstörung und Scheitern und von Menschen, die unendlich einsam und einander fremd sind, auch wenn sie die gleiche Sprache sprechen.

Am 28. August 1987 ist John Huston, 81jährig, in Middletown, Rhode Island, gestorben. Jean-Luc Godard, als er noch Hans Lucas hieß und für Les Amis du Cinéma schrieb, auf die Frage, was ihm an Hustons Filmen am besten gefalle: "Der Ausdruck der schönen Gefühle." In diesem Satz liegen viele ungedrehte Filme verborgen.

Der Film "Asphalt-Dschungel" läuft am 8. August um 23.45 Uhr im NDR.

Foto: John Huston (r.) mit Lauren Bacall und Humphrey Bogart bei Dreharbeiten zu "Key Largo", 1948


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