© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Leichtes Fertiggericht aus schwerverdaulichen Fakten
Günther Lachmanns Buch über die Bedrohung der "offenen Gesellschaft" durch Islamisten bleibt in der Analyse stecken
Herbert Ammon

Während wir rätseln, ob Bundeskanzlerin Merkel den EU-Beitritt des Islamisten Erdogan ("den Reformer Recep Tayyip Erdogan") noch aufzuhalten gedenkt, nährt sich der Medienbetrieb von den blutig-spektakulären Szenen, die der "Krieg gegen den Terror" liefert. Mit Genugtuung registriert der TV-Konsument, daß die technisch perfekten US-Truppen in Bagdad einen der Erzbösewichter zur Strecke gebracht haben. Daß deutsche Gerichte mit den bärtigen Verdächtigen aus dem Umfeld "des ägyptischen Psychopathen Mohammed Atta" nachsichtig verfahren, weckt weniger Interesse. Erstens will der Bundesbürger um Himmels willen nicht "ausländerfeindlich" sein, und zweitens hat er ein paar Monate später die Terrorgeschichten bereits vergessen, außer den Namen von Osama bin Laden.

Dürfen wir so leichtfertig mit der bedrohlichen Wirklichkeit umgehen? Geht "unsere offene Gesellschaft" nicht an "tödlicher Toleranz" zugrunde, wie es der Welt-Journalist Günther Lachmann insinuiert? Auf dem Einband zerspaltet ein grüner Halbmond die deutsche Fahne, Gefahr ist im Verzuge. Wie die Gefahr erklären, wie ihr begegnen? Wenn es schon morgen, infolge der Schwierigkeiten der Bundeswehr bei der Errichtung einer friedlichen Zivilgesellschaft am Hindukusch, auch bei uns einschlägt?

Das Buch gibt Antworten von bestechender Schlichtheit. Er beginnt mit türkischen Jugendlichen in der Berliner U-Bahn, die bei der Nachricht vom Anschlag in Madrid (15. März 2004; 191 Tote) den auf dem Bildschirm eingeblendeten Bin Laden "echt cool" fanden. Dies führt zu Betrachtungen über die trotz Anwerbestopps von 1973 und Rückwanderungsprämien in der frühen Ära Kohl unaufhaltsame Einwanderung sowie "die gescheiterte Integration". "So bitter es klingen mag: Die Heimat der Muslime in Deutschland ist das Ghetto." "Es ist abzusehen, daß der in dieser Isolation geförderte fundamentalistische Islam in Deutschland und Europa in eine schwere gesellschafts- und machtpolitische Auseinandersetzung führen wird." "Wenn sich nichts ändert, werden auch sie an der Wissens- und Leistungsgesellschaft scheitern. Und sie werden diese Gesellschaft ablehnen, vielleicht sogar hassen." Wie wahr.

Das Ghetto sieht der Autor als Nährboden für den "politischen Islam" - ein Begriff, mit dem der Autor der feinsinnigen Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus aus dem Weg geht. Der "Neo-Islamismus von al-Quaida" inspiriert ihn zum folgenden Gedankenflug: "So wie die Nazis die Vorherrschaft der Arier propagierten und die ganze Welt in den Krieg stürz-ten, so propagiert Osama bin Laden die Herrschaft der Muslime und terrorisiert den ganzen Erdball." Der vom Europa-Parlament zum Berater in Islamfragen erkorene Tariq Ramadan, Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft Hassan al-Banna, fungiert als "Wortführer des Euro-Islam". "Auch der Euro-Islam wird nicht von seinem universellen Anspruch lassen, der im Zweifel allen demokratisch gewählten Regierungen jede gesetzgeberische Legitimation und damit jede Anerkennung aberkennt." Es ist zu folgern: Eine Begriffsidentität mit dem von Bassam Tibi propagierten liberalen Euro-Islam liegt nicht zugrunde.

Anno 2003 zählte allein in Hamburg der Verfassungsschutz über 2.000 Islamisten. Daß es soweit kommen konnte, daß ein Binalshibh, ein Al-Masri (soeben aus US-Folterhaft befreiter Bundesbürger), ein Mzoudi (vom OLG Hamburg in Sachen 11. September 2001 freigesprochen), ein Darkanzanli und wie sie alle heißen, ihr Terrornetz ausspannen können, hat für Lachmann mit Integrationsproblemen zu tun. Insofern eine ganze Reihe der Verdächtigen deutsche Pässe und deutsche Ehefrauen besitzen, scheint solche Analyse nicht unbegründet. Erwähnt wird auch das attraktive deutsche Asylrecht, das unbeschadet der Revision 1993 offensichtlich noch immer manchen in die Wirrnis der permissiven Gesellschaft und aus Abscheu darüber in den Terror gegen die Ungläubigen verleitet.

Schuld an den Zuständen in Deutschland und anderswo ("Die hohe Zahl von Immigranten und die damit verbundenen Veränderungen führten in der niederländischen Gesellschaft zu einem weitreichenden Verlust von protestantischen Wertvorstellungen") sind politisch korrekt betrachtet beide Seiten: die teils desinteressierte, teils von multikulturalistischen Fiktionen beherrschte Aufnahmegesellschaft und die aus dem Morgenland hereinströmenden Scharen. In Deutschland ist die Sache besonders knifflig, denn: "Es ist sicherlich nicht falsch zu behaupten, die Deutschen hätten ein unverkrampfteres Verhältnis zu den Ausländern, wären sie nicht durch den Massenmord an den Juden auf schier unüberwindbare Weise historisch-moralisch vorbelastet. Unverkrampft in diesem Sinne meint aber auch, daß Rassismus sowie die Ablehnung kultureller und religiöser Andersartigkeit weitaus offener in den Bürgerschich-ten zum Ausdruck gebracht würden, die sich heute aufgrund der historisch begründeten nationalen Schuld zurückhalten. Dieser moralische Zwang, wider das eigene Empfinden zu han-deln (...), hat überhaupt erst die allein auf Abgrenzung ausgerichtete besondere Form der deutschen Toleranz möglich gemacht. Man ließ den anderen gar nicht erst an sich heran." Historisch waren wir da schon einmal weiter: Der dem Christentum abgeneigte "Führer" äußerte einst - im Hinblick auf das Jahr 732 - deutlichere Sympathien für den Islam. Für den Autor beginnen die unfreundlichen Begegnungen zwischen Abendland und dem Islam erst mit den Kreuzzügen.

Werturteile, etwa bezüglich der Kontrahenten Aznar und Zapatero angesichts der Madrider Terroranschläge, fließen dem Autor leicht aus der Feder: "Genausowenig, wie eine Regierung Außenpolitik gegen die Interessen des eigenen Volkes machen sollte, darf sie sich von Terroristen erpressen lassen." Bei der Masseneinwanderung handelt es sich hingegen um Innenpolitik im Interesse des eigenen Volkes: "Ohne die Muslime, ohne Zuwanderung würden die deutschen Sozialsysteme in den kommenden Jahrzehnten kollabieren." Der gedankliche Widerspruch folgt auf dem Fuße: "Nach Deutschland und Europa drängt hingegen ein Millionenheer armer Leute aus vorwiegend muslimisch geprägten Entwicklungsländern."

Toleranz für das Kopftuch, wie sie die Lehrerin Fereshta Ludin sowie das von der CDU in Nordrhein-Westfalen hofierte Deutsch-Türkische Forum fordern, hält Lachmann für unzumutbar: Die von orthodoxen Muslimen "geforderte 'Kleiderordnung' ist Ausdruck eines Sexismus, der die Frau allein auf ihren Körper reduziert." So ähnlich sagt es Rita Süssmuth auch, sofern sie nicht gerade als Gastrednerin bei Milli Görüs auftritt. Ob jene "linken" Parteischranzen, die nach der Fußball-WM wieder auf die nazigene deutsche Leitkultur ein-dreschen, über gleiches "dämagogisches (!) Talent" verfügen wie der "unter rätselhaften Umständen" verewigte Islamist Abdullah Azzam, drängte sich dem Rezensenten als Frage auf. Ayaan Hirsi Ali, seit kurzem Asylantin an einem "konservativen" Think Tank in Washington, schlägt in ihrem Nachwort sanfte Töne an: "Muslimische Frauen, fordert eure Rechte ein!"

Vonnöten sei ein Konzept für "eine kritische Toleranz": In den Moscheen - laut Wolfgang Schäuble eine Bereicherung der europäischen Kulturlandschaft - soll künftighin nur noch auf deutsch gepredigt werden. Mädchen dürfen vom gemeinsamen Sportunterricht mit Jungen nicht mehr ausgeschlossen sein. Sozialwohnungen sollen gut durchmischt vergeben werden. "Damit in Zukunft ein intensiver interkultureller Dialog möglich wird, sollen auch nichtmuslimische Kinder im Unterricht über den Islam aufgeklärt werden." Und so weiter.

Die Vorschläge eignen sich trefflich als Vorlage für CDU-Wahlkämpfe. Statt einer Lektüre des Buches empfiehlt sich aber auch schlicht ein Satz des Sozialdemokraten Helmut Schmidt: "Meine Damen und Herren, Sie können all das vergessen, was ich Ihnen erzählte und andeutete, wenn es den zur Zeit Regierenden in den nächsten zwei Jahren nicht gelingt, den Islam in seine Schranken zu weisen, sind wir 2030 ein islamischer Staat!" 

Günther Lachmann: Tödliche Toleranz. Die Muslime und unsere offene Gesellschaft. Piper Verlag, München 2006, broschiert, 296 Seiten, 9 Euro

Foto: Demonstration für die Freilassung des "Kalifen von Köln", Düsseldorf 2000: Ghetto als Nährboden


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