© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/06 11. August 2006

Ordnungsträume eines sanften Hegemons
Der Aachener Historiker Klaus Schwabe präsentiert seine Jahrhundertgeschichte der US-Außenpolitik
Dag Krienen

Wie so viele deutsche Hochschullehrer hat auch der Georg-Ritter-Schüler Klaus Schwabe (Jahrgang 1932), vormals Professor für Neuere Geschichte an der Technischen Universität Aachen, erst als Emeritus Zeit und Muße gefunden, ein Opus magnus über den zentralen Gegenstand seiner wissenschaftlichen Forschungen zu verfassen. Und auch den Mut, statt einzelner Spezialstudien die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts der Außenpolitik der Weltmacht Nummer eins vorzulegen. Ein solches Buch kann nicht wie eine historische Spezialarbeit auf der Auswertung archivalischer Quellen beruhen, sondern nur auf der bereits existierenden Sekundärliteratur. Irgendwelche grundstürzenden neuen historischen Erkenntnisse sind somit nicht zu erwarten. Schwabe liefert vielmehr eine zeitlich umfassende Synthese der bekannten Forschungsergebnisse in einem geschlossenen Werk ab, das weniger die Fachkollegen im Auge hat, sondern ein breites Publikum mit den langfristig wirksamen Tendenzen in der amerikanischen Außenpolitik und ihren historischen Ursachen und Ausgangspunkten bekanntmachen will.

Um es vorwegzunehmen: Schwabe hat eine lesenswerte und auch gut lesbare Geschichte der amerikanischen Außenpolitik im 20. Jahrhundert und damit zwangsläufig auch der Weltgeschichte des internationalen Systems abgeliefert. Sein Verzicht auf alle Theoriegymnastik und leeres Geklimper mit Fachbegriffen kommt der Lesbarkeit ebenso zugute wie sein klares, auf Anglizismen verzichtendes Deutsch. Natürlich hat eine solche Vorgehensweise ihre Nachteile, auch jenseits der praktisch unvermeidbaren Kritikwürdigkeit vieler Details und einiger kleiner Fehler, die sich eingeschlichen haben. Eine Diskussion von in der Forschung strittigen Punkten muß ebenso unterbleiben wie das Eingehen auf nicht auf Linie liegende Darstellungen wie beispielsweise die von Dirk Bavendamm zur Politik Franklin D. Roosevelts.

USA als einziger Faktor in der Weltordnungskonzeption

Für Schwabe waren und sind die USA als Weltmacht ein unverzichtbarer Faktor bei der Etablierung einer Weltordnung, die in seinen Augen letztlich allen Staaten Sicherheit und Frieden zu garantieren versucht. Andere ernst zu nehmende weltordnungspolitische Konzeptionen kommen bei ihm nicht vor. In dieser Beziehung kann man auch ganz anderer Meinung sein und deshalb auch gelegentlich die zwar nicht kritiklose, aber doch insgesamt positive Einstellung des Buches zur amerikanischen Außenpolitik befremdlich finden. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die USA de facto derzeit der dominierende Spieler auf dem weltpolitischen Felde sind. Ob man dies nun wertschätzt oder nicht, bei Schwabe läßt sich auf jeden Fall nachlesen, nach welchen - historisch entstandenen und gewachsenen - Regeln die USA dieses Spiel spielten und immer noch spielen, welche Regeländerungen sich ergeben haben, und in welcher Bandbreite von Interpretationen die US-Außenpolitik diesen Regeln folgte und folgen wird.

Eine Jahrhundertgeschichte von amerikanischer Weltmachts- und Weltordnungspolitik im Rahmen einer Rezension auch nur in den gröbsten Zügen zu rekapitulieren, ist unmöglich. Man tut Schwabe aber kein Unrecht, wenn man das Pferd von hinten aufzäumt. In seinem abschließenden Kapitel läßt er erkennen, daß er die derzeitige, unbekümmert unilateral vorgehende amerikanische Politik unter George Bush jun., die zu Präventivkriegen bereit ist und auf Verewigung der globalen militärischen Hegemonie setzt, nicht goutiert. Aber er macht auch deutlich, daß der jüngere Bush im wesentlichen keine neuen amerikanischen Traditionen stiftet, sondern nur andere Schwerpunkte im Rahmen einer Reihe von alten setzt. Dazu gehört unter anderem der "demokratische" Missionarismus einer sich als von Gott oder der Geschichte als "auserwählt" betrachtenden Nation, aber auch der Drang zur Expansion des eigenen politischen Systems. Traditionen, die, in anderer Kombination und Akzentuierung als derzeit, im 20. Jahrhundert für Schwabe durchaus akzeptable und sogar sehr wünschenswerte Ergebnisse hervorgebracht haben.

Es stellt sich die Frage, zu welchen Formen von konkreter Politik amerikanische Traditionen des außenpolitischen Verhaltens gerinnen können und ob über Lernprozesse gesteuerte Modifikationen dabei möglich sind. Diese Wandlungen im 20. Jahrhundert zeichnet Schwabe detailliert nach. Eine prägende Erfahrung machten demnach die USA bei ihrem Eintritt in die Weltpolitik durch den Krieg gegen Spanien von 1898: Eine Expansion nach dem Vorbild der europäischen Mächte - die Bildung eines Kolonialreiches, über das die Metropole direkte territoriale Souveränität ausübte - war kein Pfad, auf dem sie im 20. Jahrhundert weiterschreiten konnten.

Indirekte Einflußnahme statt direkter Herrschaft ist seitdem die bevorzugte Form, in der die USA ihren damals errungenen Weltmachtstatus zu sichern suchen, als Hegemonie eines nur formal gleichen über eine Reihe von abhängigen, aber formal souveränen Staaten. Seit Wilson glauben die USA zudem, nur noch in einem globalen Rahmen ihre Sicherheit wahren zu können - einer Weltordnung, die offiziell allen Völkern Frieden und Sicherheit garantieren soll, allerdings zu Amerika genehmen Konditionen. Dabei zeigten die USA allerdings ebenfalls traditionell immer schon wenig Respekt vor der souveränen Unantastbarkeit fremder Staaten, wenn die-se sich nicht so benahmen, wie es die USA für richtig erachteten. Militärinterventionen und Geheimdienstoperationen, um nicht genehme fremde Regierungen zu stürzen, gehörten immer schon zum amerikanischen Repertoire. Schließlich unternahmen es die USA wiederholt und mit wechselndem Erfolg sogar, "neue Nationen" aus verkorksten Schurkenstaaten (Deutschland, Japan, Irak) oder aus "mißlungenen Staaten" (Kuba, Süd-Vietnam, Süd-Korea, Afghanistan) zu schaffen.

Schwabe sieht durchaus die problematischen Seiten dieser Traditionen Amerikas, betrachtet die USA aber doch als einen insgesamt wohlwollenden Welthegemon, der eine Frieden und Freiheit befördernde Weltordnung eingerichtet hat, deren Aufrechterhaltung im allgemeinen Interesse liegt. Natürlich wünscht er sich im Rahmen dieses Weltsystems ein möglichst kooperatives Verhalten der Vormacht. Ein Vorbild ist die Präsidentschaft von George Bush sen. Unter ihm habe Amerika im wesentlichen als "regelgebundener Hegemon" agiert, auf die partnerschaftliche Integration der niedergehenden Sowjetunion in ein verändertes Weltsystem geachtet, mit den Nato-Verbündeten und auch der Uno multilateral kooperiert und anders als später sein Sohn auf jede imperiale Attitüde verzichtet.

Das mag sein. Wichtiger aber ist, daß offensichtlich auf Basis der amerikanischen Traditionen ein breites Spektrum außenpolitischer Verhaltensweisen möglich ist. Und noch etwas kommt hinzu. Es war ihre isolierte Lage, die den USA über lange Zeit den "Luxus" einer traditionsverhafteten Außenpolitik gestattete. Sie konnten außenpolitisch stets unabhängiger operieren als es die meisten europäischen Nationalstaaten, eingebunden in ein kompliziertes Machtgleichgewicht, je wagen konnten. Anders ausgedrückt, die USA mußten bei ihrer Außenpolitik weit weniger Rücksicht auf andere Staaten nehmen, sondern konnten, unbeeindruckt von deren Belangen, vornehmlich ihren inneren Impulsen folgen. Schwabe zeigt, daß ihr außenpolitisches Verhalten tatsächlich oft weniger von der Logik der Mächte (gemäß Henry Kissinger die eigentliche "Vernunft der Nationen") abhing als von wechselnden und kaum zu durchschauenden inneren "Befindlichkeiten" Amerikas.

Hoffnung auf eine regelgebundene Weltmacht

Diese "splendid isolation" Amerikas besteht auf der Karte der globalen Machtpolitik immer noch. Es gibt derzeit kein auch nur annähernd den Vereinigten Staaten gleichkommendes weltpolitisches Subjekt. Diese Hegemonialstellung der USA im weltpolitischen System wird uns noch einige Zeit erhalten bleiben. Solange es keine besseren Alternativen gibt, können sich die Deutschen mit Klaus Schwabe zwar durchaus wünschen, daß Amerika sein Spiel als "regelgebundener Hegemon" spielt und "partnership in leadership" praktiziert. Allerdings kann man sich als Nicht-Amerikaner dieses eben auch nur wünschen.

Die Spannweite des den USA in Zukunft Möglichen ist aufgrund der weiten Auslegbarkeit ihrer Traditionen eben doch recht groß, und sie haben aufgrund ihrer Stellung als globale "Hypermacht" weiterhin das Privileg, sich außenpolitisch so zu benehmen, wie es ihnen jeweils paßt. Allen anderen weltpolitischen Subjekten - auch denen, die der Hegemonie der USA bislang manches abzugewinnen vermochten - bleibt somit neben dem Prinzip Hoffnung letztendlich doch nur eine Tugend: die Furcht des säkularen Herrn; Furcht nicht vor seiner Bösartigkeit und Herrschsucht, sondern vor seiner Unberechenbarkeit. Diese Furcht kann Schwabes Buch nicht wirklich bannen.

Klaus Schwabe: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006, XIV und 560 Seiten, gebunden, 44,90 Euro


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